WARUM ICH LIEBER ZUR HÖLLE FAHREN WÜRDE ALS JEMALS VON ULF POSCHARDT VERTEIDIGT ZU WERDEN

Diesen Kommentar habe ich am 9.1.2018 im Benno-Ohnesorg-Theater vorgetragen (mit der einleitenden Erwähnung, dass die anwesenden Kollegen Friedrich Ani und Ludwig Lugmeier wie ich rechtzeitig aus dem Wahlkreis 226 flüchten konnten):

DER TEUFEL KOMMT JETZT AUS DEM WAHLKREIS 226

Der Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt aus Peißenberg, das mitten in seinem Wahlkreis 226 liegen muss, hat vor einigen Tagen in der Tageszeitung Die Welt einen „Essay“ (so wird das auf der Homepage der CSU-Landesgruppe genannt) veröffentlicht, der seitdem heftig diskutiert und vor allem zerlegt wird.

Titel: „Für eine bürgerliche Wende“, angebliche Lesezeit (das ist eine schöne Einrichtung auf Welt-Online): 9 Minuten. Da muss man sich aber schon ranhalten und sollte sich beim Lesen nicht fragen, ob es in Deutschland seit dem Krieg (ich meine den II.) jemals eine andere als eine bürgerliche Regierung gab. Bei dieser Lesezeit darf man sich gar nichts fragen, und wenn man sich dabei auch nur einmal und nur ganz flüchtig an der Nase kratzt, schafft man es nicht.

Der 47-jährige ehemalige Verkehrsminister und Diplom-Soziologe wusste natürlich, dass sein Titel „Für eine bürgerliche Wende“ die Frage aufwirft, ob auch seine letzte Tasse im Schrank schon einen Sprung hat, und deshalb meinte er was anderes – er fordert nämlich eine „konservative Revolution“.

Zitat: „Fünfzig Jahre nach 1968 wird es Zeit für eine bürgerlich konservative Wende in Deutschland. Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus hatten ihre Zeit. Der neue Islamismus attackiert Europas Freiheitsidee und Selbstverständnis und darf seine Zeit gar nicht erst bekommen. Darum formiert sich in Deutschland eine neue Bürgerlichkeit. Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“

Mich erinnert das zuerst daran, dass mein Vater, wenn Willy Brandt im Fernseher auftauchte (der übrigens auch im Wahlkreis 226 stand), immer „dieser Vaterlandsverräter“ brüllte, wahrscheinlich auch noch „der linke Dreckhund“ (wobei ich glaube, der „Dreckhund“ ist als Schimpfwort inzwischen nicht mehr geläufig). Ich will die Lesezeit hier im Moment nicht mit einer genauen Analyse allein dieses Abschnitts verschwenden – nur zwei Punkte: mit einem „grünen Verbotismus“ war´s offensichtlich nicht so schlimm, und „die linke Revolution der Eliten“ habe ich auch verschlafen – und auf diese also „folgt eine konservative Revolution der Bürger“, da ist sich Dobrindt ebenfalls ganz sicher, was mich auf die Idee bringt, der Mann könnte jetzt Innenminister werden wollen. Das wäre logisch: denn wenn die Bürger den Arsch nicht richtig hochkriegen, was ja mit dem Begriff Revolution zwingend verbunden ist, könnte er dann mit seinem Verfassungsschutz etwas nachhelfen. Was auch die Frage aufwirft, ob der Soziologe, der aus der Jungen Union kommt, jemals über den Unterschied zwischen Revolte und Revolution nachgedacht hat und ob er vielleicht die G20-Proteste als Aufstand bezeichnet, und ob er – noch etwas weitergedacht, soviel Lesezeit nehme ich mir jetzt, vielleicht ist das „sozialdemokratischer Etatismus“, ich habe keine Ahnung! – der Meinung ist, dass der Welt-Türkei-Korrespondent Deniz Yücel gut im Istanbuler Knast aufgehoben ist, was ja die Meinung von AfD-Leuten ist.

Der Historiker Volker Weiß, Autor des Bestsellers „Die autoritäre Revolte – Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“, hat sich durch den Dobrindt-Textdschungel geschlagen und beleuchtet im ZDF-Interview den Begriff „Konservative Revolution“: „Der Begriff der „konservativen Revolution“ ist historisch ja eindeutig bestimmt. Der gehört in die Vorgeschichte des Faschismus. Wenn Dobrindt nun damit hantiert, zeigt er deutlich, dass er sich den Wählerkreisen der AfD öffnen möchte, in denen diese Begriffe normal sind (…) Und es signalisiert auch die Bereitschaft, Politik im Stile eines Donald Trump, Viktor Orban oder Wladimir Putin zu führen. Das sind heutzutage nämlich die Träger der sogenannten „konservativen Revolution“. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass dieser Begriff lange einen festen Platz in der CSU hatte. Der Schöpfer des politischen Begriffes der „konservativen Revolution“ war Armin Mohler, und der war Berater von Franz Josef Strauß. Was Dobrindt sagt, ist also nicht neu.“

Und das gilt für den ganzen „Essay“ (so wird das auf der Homepage der CSU-Landesgruppe genannt), den man, wenn die Lesezeit abgekürzt werden muss, auf Dobrindts Lebensthemen runterbrechen könnte: a) der Schutz der deutschen Familie vor b) den 68ern. Allerdings hat Dobrindt sich noch nie so deutlich ausgedrückt und den Teufel 68 so groß an die Wand gestellt.

Übrigens ist sogar die Stelle im Text, für die Dobrindt in die Essay-Geschichte eingehen wird, nicht wirklich neu: „Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg“. Mit dem Nachsatz phantastisch ergänzt: „aber der Prenzlauer Berg bestimmt die öffentliche Debatte“. Schon in einem Interview 2013 hatte der Minister an dieser Theorie zu arbeiten angefangen, als er sagte: „Was modern ist, wird demokratisch bestimmt und nicht elitär. Die Modernität einer Gesellschaft ergibt sich aus den Lebensphilosophien der Mehrheit der Menschen und nicht einer Minderheit, wie sie beispielsweise im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg zu finden ist.“ Die Frage, ob der Peißenberger die Kreuzberger anstatt der Prenzlauerberger meinte, wird uns ebenfalls noch länger beschäftigen wie die Frage, wie er wohl zu seinem Soziologie-Diplom gekommen ist.

In der weitreichenden Dobrindt-Diskussion ist die Tatsache untergegangen, dass keine alte Sau die Welt liest (so nennen das im Wahlkreis 226 die Leute), und deshalb ging auch ziemlich unter, dass Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt dem Dobrindt selbst für ein Springer-Blatt besonders eifrig die Stange hielt. Poschardt war vor einigen Jahren Chef der Springer-Magazine Rolling Stone, MusikExpress und Metalhammer, und tatsächlich arbeitet er seit Jahren wie kein zweiter daran, Elemente der Popkultur nach rechts zu verschieben – könnte sein, dass er nicht nur ein Buch über den „Porsche 911“ geschrieben, sondern ihn etwas zu oft an die Wand gefahren hat.

Originalton Poschardt: „Alexander Dobrindt ist der Fritz Teufel unserer Zeit. 50 Jahre danach tritt ein CSU-Politiker das provokative Erbe der 68er an. Das empört vor allem jene, die sich als Gralshüter der Studentenrevolte verstehen (…) Wieder einmal geht ihm die Gesinnungslinke auf den Leim. Sie formiert sich freiwillig als eine Art publizistische Volksfront (…) Dobrindt ist ein Diskurspragmatiker der Mitte, der gerne mit den Linken spielt. Die reagieren wie die Spießer damals auf Fritz Teufel. Dabei ist der CSU-Politiker den 68ern in seiner Art des Aufruhrs näher als dem selbstgerechten Establishment.“

Die Springer-Presse schlägt wieder zu, könnte man daraus schließen, oder: Poschardt versucht Dobrindt im Abfeuern von Worthülsen, Verzerrungen und unsinnigen Behauptungen zu schlagen. Nach dieser Dobrindt-ist-der-Teufel-von-heute-Logik könnte ich auch behaupten, dass Dobrindt heute den Hitler macht, weil er sich in den letzten Jahren so vehement wie kein anderer für die Rechte von Autobahnen einsetzte.

Ich gehe nicht in die naheliegende Falle, zu sagen, dass nicht einmal ein Dobrindt diese Verteidigung verdient hat. Im Gegenteil: Wer, wie Dobrindt, behauptet, „die christlich-jüdische Glaubenstradition (formiere) eine Wertegemeinschaft des Abendlands“, sollte eine Weile in den Knast gesteckt werden. Es muss ja nicht in Istanbul sein.

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