DER JÜDISCHE FRIEDHOF

in Bialystok sieht, das ist normal, im Gegensatz zu christlichen Friedhöfen trist aus. Keine leuchtenden Blumen, nicht die vielen, wie frisch geputzt aussehenden Grabsteine, nicht die Atmosphäre der fröhlichen Kleingartenanlage.

Dann erkennt man schnell, dass hier lange niemand mehr beerdigt wurde. Und dann erkennt man, dass der erste Eindruck – es sieht aus wie nach einem Kampf – richtig war: Viele Grabsteine wurden von ihren Sockeln gestürzt, viele mit SS-Zeichen beschmiert, viele Flaschen wurden zerschlagen. Trist ist ein viel zu schwaches Wort für die Atmosphäre…

Man möchte einen Turm sehen, in dem oben, geschützt vor Regen und mit ‘nem guten Ofen und immer bestens verpflegt, ein Mann mit einer Maschinenpistole seinen Dienst tut.

Der Gegensatz zu den christlichen polnischen Friedhöfen könnte krasser nicht sein, sie sind noch schöner hergerichtet als die deutschen. Man baut gern ein Zäunchen um das Grab, das von einer schönen Platte bedeckt ist, und wenn Platz ist, ist der Platz um das Grab gepflastert, und wenn Platz ist, steht innerhalb des Zauns ein Bänkchen.

Doch die Päpste kommen und gehen – aber die Toten sprechen mit niemandem und sie sehen die Blumen nicht.

Die Hälfte der Bewohner der 120000-Einwohner-Stadt Bialystock waren Juden. Dann kamen im September 1939 die Deutschen; und als sie im 27. Juni 1941 zum zweiten Mal kamen, räumten sie richtig auf, ermordeten allein am ersten Tag 2000 Juden. “Am 1. August wurden ca. 50000 Juden in ein mit Stacheldraht umgebenes Ghetto eingewiesen, das unmittelbar an kriegswichtige Industrieanlagen grenzte, in denen sie arbeiten mussten”.

Zwei Jahre später, im August 1943, bekam der Nazi Odilo Globocnik den Auftrag, das Ghetto aufzulösen. Die Aufständischen des Ghetto Bialystock, angeführt von Mordechai Tenenbaum, waren zu schlecht bewaffnet, um eine Chance zu haben, “und die SS-Einheiten waren durch die Erfahrungen in Warschau gewarnt”: und eine Woche später hatten sie ihren Job anständig erledigt.

Heute ist im Viertel des ehemaligen Ghettos keine Spur davon zu finden, kein Schild, kein Stein, keine Platte in einer Hauswand. Im Militärmuseum hängen ein paar Pläne und amtliche Schreiben mit Namen und Fotos.

Chaika Grossmann, die mit 20 Jahren als Kurier zwischen Ghetto und Außenwelt fungiert hatte, schrieb ein Buch darüber. Darauf bezieht sich ein Aufsatz von Klaus Bittermann: “Partisanen – Zwei Kapitel aus der Geschichte des jüdischen Widerstands”.

“Trotz der in Deutschland so beliebten Tätigkeit des ‘Erinnerns’ war der gebührende Abstand von 44 Jahren notwendig, bis das Buch auf Deutsch erscheinen konnte, genauso lange wie die zu erwartende Lebenszeit der an den Greueln in Bialystock und anderswo Beteiligten”.

Genauer nachzulesen in Bittermanns Buch “Strandgut der Geschichte. Siebzehn Entführungen” (belleville, München 2001).

In dem Seile über große Entfernungen verknüpft werden, von Johnny Rotten bis zum Gangster Moose Malloy. Was hat dies und das und die Ghettogeschichte miteinander zu tun? Ich weiß es nicht genau – aber es sieht nach einer Materialsammlung dessen aus, was man (und jetzt wieder nicht so selten) ENTARTET nennt.

Hätte ich fast vergessen: Heute leben keine Juden mehr in Bialystock.
Und bei schlechter Laune könnte man hinzufügen: deswegen trifft man auch keine deutschen Touristen.

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