ÜBER DAS WOODSTOCK-FESTIVAL

veröffentlichte ich, in einer unerheblich gekürzten Version,  in der Taz vom 14.8.09 dies:

Das Bad in Gottes Freudentränen

Wenn man nur die Zahlen nimmt, ist es verständlich, dass „Woodstock“ als die Mutter aller Rockfestivals gesehen wird. Doch der Ausdruck Rockfestival trifft´s heute nicht mehr gut, Woodstock war ein Gesamtkunstwerk, in dem Gefühl, Haltung, Verbundenheit, Protest wohl stärker waren als die Kunst. 100 Meilen weg von New York begann die Show mit Richie Havens am frühen Abend des 15. August 1969. Eine halbe Million Menschen waren dabei, und grob geschätzt nochmal so viele wurden von Cops und anderen Umständen daran gehindert, zu ihnen zu stoßen.
Das überstieg die Erwartungen der Firma Woodstock Ventures um ein Mehrfaches. Diese Masse war weder zu kontrollieren noch ausreichend zu bedienen, und das dabei entstehende Chaos war, was Kulturveranstaltungen betrifft, ebenfalls weltrekordverdächtig – ach was, Unsinn, es war halb so wild. 50 Nazis, die man heute irgendwo frei herumhängen lässt, richten mehr Schaden an.
Woodstock hatte einen Unfalltoten zu verzeichnen. Ein paar Tausend wurden, zumindest vorläufig, erfolgreich medizinisch betreut. Kein wütender Farmer benutzte seine Flinte. Von Vergewaltigungen ist nichts bekannt, und „sogar Sonny Bargers Putztruppe“ namens Hell´s Angels „lässt sich einlullen von der geselligen Stimmung hier, wird von der Menge einfach absorbiert und neutralisiert“, schreibt Frank Schäfer in seinem Buch „Woodstock ´69“.
Ich denke, das muss man erwähnen. Und der wachsenden Zahl von Gestalten jeden Alters, die der sog. Woodstock- oder 68er-Generation die Schuld an den unfassbar vielen verletzten Seelen und kaputten Sitten in Deutschland oder den USA geben, mit Elvis Costello antworten, der nicht zufällig 1979 Nick Lowe zitierte: „What´s so funny ´bout Peace, Love, and Understanding?“ Sage ich, der ich, als Woodstock geschah, neun Jahre alt war, und erst etwa 1976 in der bayrischen Provinz zwangsläufig von Album und Film eine zeitlang fasziniert und angeturnt. Nur wenige Bands interessierten mich länger, und dann war Woodstock nur noch ein Kulturphänomen, das mich in den Spiegelungen von Autoren wie Thompson und Tosches beschäftigte, und vor allem in Ed Sanders´ Untersuchung über den Zusammenhang von Hippiekultur und Charles Manson, dessen Gläubige eine Woche vor Woodstock Sharon Tate u.a. ermordeten. Also, Woodstock und ich? Obwohl ich jetzt Mike Wadleighs Director´s Cut unbedingt im „Fännsäh“ (Fanny Müller) hatte sehen wollen, schlief ich nach einer Stunde ein. Und die neue 6-CD-Box „Woodstock 40“ mit, zusätzlich zu den bekannten, „über 38“ (Presseinfo) unveröffentlichten Aufnahmen (dabei keineswegs vollständig, das geht gar nicht), und das Ganze erstmals in der richtigen Reihenfolge, kann ich mir niemals auch nur annähernd komplett anhören.
Und dennoch, ich kann es absolut stark fühlen: ich würde mich lieber mit diesen Hippies im Schlamm wälzen und Joe Cocker hören, als am Arm des Dr. zu Guttenberg in Bayreuth einmarschieren, und ich würde mich in meinen dreckigsten Cowboystiefeln auf den Wohnzimmertisch von Christoph Schlingensief stellen und ihm das erklären.
Obwohl also dieses Chaos von einem Unwetter gefördert wurde, war es zu klein, um die Produktion von fast 50 Stunden Live-Musik zu verhindern und die daraus folgende Flut von Stoff davon und darüber. Allein jetzt zum Jubiläum – wer sich fragt, was an dieser „40“ eigentlich so toll ist, werfe „Woodstock“ und „Ed Ward“ in seinen Computer – sind in den USA mindestens 19 Bücher zur Masse der Woodstock-Literatur dazugekommen, darunter ein „Guitar Songbook“, das Drehbuch zum kommenden Ang Lee-Film „Taking Woodstock“ und die Erinnerungen der Tochter von Max Yasgur, der sein Land für die Jugend und 50 000 $ hingegeben hatte. Und sechs neue Bücher gibt´s auf Deutsch.
Es war der Untertitel von „Making Woodstock“, der mich wieder animierte: die Geschichte des Festivals „erzählt von denen, die es bezahlt haben“, im Original bereits 1974 mit dem Titel „Young Men With Unlimited Capital“ erschienen. John Roberts hatte „ein paar Millionen“ geerbt, Joel Rosenman, Sohn eines prominenten Kieferorthopäden, war Anwalt; beide Anfang 20, gebildet, abenteuerlustig, keine Hippies. Sie wollten ins Finanzgeschäft einsteigen und gerieten bei der Suche nach einem passenden Objekt, aus dem was zu machen wäre, an die Business-Hippies Artie Kornfeld, „Chef von Contemporary Product bei Capitol Records“, und Mike Lang, der schon das Miami Pop Festival mitorganisiert hatte, Männer, deren Vorstellung von „groovy“ etwas beschänkt war und die in der vor allem im Musikgeschäft blühenden Endphase der Hippiekultur immer irgendwas auf der Pfanne hatten. Aus der Idee, ein Tonstudio in Woodstock aufzubauen, entstand das Festival. Die Hippies waren für die Bands zuständig. Und das Chaos grinste bald durchs zugekiffte Bürofenster.
Diese beiden gegensätzlichen Freundespaare stehen für alle Widersprüche, die an Woodstock zu erkennen sind (außer im Film), und sie konnten schon lange vor dem Festival nicht mehr gut miteinander. Ich gesteh´s: die beiden Woodstock-Kapitalisten und ihr genau genommen Anti-Woodstockbuch sind mir sehr sympathisch (weiß schon: man soll ihnen nicht alles glauben). Sie erzählen mit Gespür für Komik und Irrsinn und die verschiedenen Kulturen, die da aufeinanderprallen, und es liest sich wie ein Cheech & Chong-Film von Woody Allen, der seinen Reiz aus diesem Finanzblickwinkel bezieht. Ich mag die Kapitelanfänge, z.B. 15. Juli 1969: „Gelände: keins … Einnahmen aus Ticketvorverkauf: 537.123 Dollar / Gebuchte Musiker: unklar / Rechtsanwälte: 5 … einer in New York City zwecks politischer Einflussnahme … Mobile WCs: weitere 500 bestellt, insgesamt 2000 / Ausgaben: 481.519 Dollar“.
Erst nach zwei Dritteln des Buchs schreit Richie Havens „Freedom!“ Dass er bei seinem Auftritt so brennt, als kniete er vor dem Jüngsten Gericht, wird mit keinem Wort erwähnt. Logisch: weil die Erzähler, wie alle seriösen Organisatoren von größeren Veranstaltungen, von ihrer Show wenig mitbekommen haben, stattdessen beschäftigt waren, Hubschrauber, Geld, Spezialkram für Musiker oder Ärzte zu beschaffen. Während Mike Lang, der sich schon damals als „the man behind the legendary festival“ etablierte (so auch der Untertitel seines neuen Buchs), den Reportern erzählte, dass aus Überzeugung und um des lieben Friedens willen keine Polizisten im Einsatz wären, organisierten Roberts/Rosenman sowohl uniformierte als auch New Yorker Polizisten, die frei hatten und keine Erlaubnis, in Woodstock zu arbeiten, und sie bedanken sich bei ihnen.
Als Jimi Hendrix am 18. August, Montag vormittag, auf die Bühne geht, und bei nur noch 30-40 Tausend Leuten nichts mehr schiefgehen kann, haben es die beiden so satt, dass sie zurück nach New York fahren – und deshalb muss, wer über dieses Finale alles erfahren will, zu Frank Schäfers „Woodstock ´69“ greifen. Da steht, was dort fehlt – und umgekehrt: bei Schäfer ist der Zoff zwischen dem linken Polit-Chef Abbie Hoffman und Pete Townsend auf der Bühne detailliert beschrieben samt Hintergrund; und Roberts/Rosenman erzählen detailliert, wie Hoffman Woodstock Ventures ziemlich fies erpresst hat. Dass Schäfer ein Autor ist, der nicht nur selbst Literatur schreibt, sondern auch gleichermaßen immer gut über Popmusik und Literatur, ist der Glücksfall für diese Art Darstellung. Es ist das Woodstock-Buch, das man lesen kann, wenn man nichts mehr davon hören will (außer, übrigens, die vielen bislang unveröffentlichten An- und Durchsagen auf der Neu-Edition).
Hendrix hatte sich nicht als Vietnam-Gegner hervorgetan, als er sich als Headliner des Festivals lang nach der geplanten Zeit dem letzten müden Rest der Truppe präsentierte, schreibt Frank Schäfer, und er hatte seine Version der Hymne schon oft gespielt, ohne dass es eine Wirkung gehabt hätte. Es war der „adäquate Schauplatz“, der „Star Spangeled Banner“ zur Legende machte, und Hendrix war vom Ereignis so beeindruckt, dass er ein Gedicht darüber schrieb. Was für manche nur Dreck war oder ist, hatte er anders empfunden: „Wir badeten in Gottes Freudentränen und tranken davon“.
„Happy Birthday, liebes Woodstock-Festival!“, textet die Bildzeitung 40 Jahre später, und da brauche ich dann aber was Stärkeres zu trinken als die Tränen, die mir da kommen.

Joel Rosenman/John Roberts/Robert Pilpel: Making Woodstock. Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel/Stefanie Fahrner. Orange Press, 2009, 280 S.
Frank Schäfer: Woodstock ´69 – Die Legende. Residenz Verlag, 2009, 206 S.
„Woodstock 40 Years On: Back To Yasgur’s Farm“: 6-CD-Box, Rhino/Warner, 2009

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