MEINE GROSSEN GEFÜHLE

oder besser gesagt meine überwältigenden bezüglich des bayrischen Biergartens habe ich im August-Heft des Magazins A GUIDE so ehrlich wie noch nie beschrieben:

DOOF / Ich wurde dann doch nicht wahnsinnig, aber ich war, wie immer, kurz davor, es zu werden, und im Sommer hat ein Mensch mit einer minimalen Restsensibilät sowieso kaum eine Überlebenschance.

Einmal eine Stunde in einem Biergarten sitzen, und ich bin eigentlich schon so gut wie selbstmordgefährdet, beziehungsweise umgekehrt.

Einige Sätze, die in den letzten Wochen durch mein Trommelfell kamen, weil sie von meinem körpereigenen Akustikabwehrsystem nicht rechtzeitig entdeckt wurden. Es sind nichtmal die besten, und es sind nichtmal fünf Prozent.

„Mag sein, dass sie nicht doof ist, aber ihre Wohnzimmergarnitur ist vier Jahre alt und grün, das würde ich mir echt nochmal gut überlegen, wenn ich du wäre“. Genau an dem Punkt und ohne eine nennenswerte Ergänzung blieb diese an sich schon mörderische Frauenstimme eine Stunde lang hängen, und obwohl ich mich selbst geradezu behämmert intensiv mit jemandem unterhielt, entkam ich ihr nicht.

„Du kannst über Seehofer sagen, was du willst, aber er will´s wirklich wissen“. Genau an dem Punkt blieb der Rettet-die-Bürokratie!-Mann, der nur einen Wunsch in mir weckte, in die Deutsche Demokratische Republik flüchten zu können, eine Stunde lang hängen.

„Das musst du mir erstmal beweisen, dass Michael Jackson nicht ermordet wurde“. Genau an dem Punkt und mitten in einer bayrischen Kleinstadtmetropole, die bis heute stolz darauf ist, von einer der übelsten Bankiersfamilien der Weltgeschichte geprägt und beseelt oder,  von einem anderen Blickwinkel gesehen, umgelegt und eingemottet worden zu sein, blieb das Paar, von dem ich überzeugt war, dass es sein Kind sofort über den Zaun nach Neverland werfen würde und eine Klage wegen Kindesmissbrauch eingereicht hätte, noch bevor das Kind auf dem Boden aufgeschlagen hat, eine Stunde lang hängen.

Es gibt Schlimmeres, ich weiß; allein schon die Vorstellung, man wäre gezwungen, sich jedes Interview von diesem vernagelten Bischof in voller Länge anzuhören, ist schlimmer.

Aber weil ich zum Glück nicht ganz blöd bin, habe ich dann herausgefunden, dass es in Bayern kein Gesetz gibt, das einen zum Biergartensitzen verpflichtet.

Ja, das war mir auch neu. Wie alle, die ich kenne, die nicht wahnsinnig geworden sind und in einer Geschlossenen sitzen, bin ich immer davon ausgegangen, dass jeder von uns verpflichtet ist, pro Saison mindestens zwanzig Stunden im Biergarten zu sitzen. Es ist nicht zu fassen, wieviele Qualen ich mir in meinem Leben hätte ersparen können. Kann man sie nicht verklagen? Wegen Vortäuschung eines Gesetzes?

Darüber habe ich dann nachgedacht, wieder einmal im Biergarten. In dem ich nur saß, weil das Gefahrenpotential gegen Null ging. Weil es grade geregnet hatte und gleich wieder regnen würde. Und weil mein Hirn schon erheblich verregnet war, hatte ich nicht bedacht, dass sich in dieser Wetterlücke der Biergarten naturgemäß innerhalb von Minuten füllen würde. Und obwohl ich aus meinem Schädel schaute wie der Serienmörder Ed Gein in seinen dunkelsten Momenten, setzte man sich auch zu mir.

„Ach, ist das schön hier“, sagte die Frau.
„Wunderbar“, sagte der Mann, „wie im Paradies“.
„Bei uns damals in Jena vor der Mauer gab´s ja auch viele Biergärten“, sagte die Frau zu mir und lächelte mich an.

„Ich weiß schon, dass bei euch nicht alles gut war“, antwortete ich freundlich. Dann musste ich laut werden. Ich spürte, dass ich kurz davor war. Und dass ich noch nicht bereit war. „Franz!“, schrie ich, „ein Notfall! Zehn Halbe für mich, aber auf einmal und pronto!“

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