OUTLAW BLUES

Zum 70. von Bob Dylan erschien in der jungen Welt eine Serie über einzelne Songs, von Kristof Schreuf, Frank Schäfer, Christof Meueler u.a. (teilweise online, der Link zur jW siehe rechts). Ich nahm den „Outlaw Blues“:

VERGESSEN UND VERROTTET

Von der Höhe eines anderen Jahrhunderts aus gesehen, sieht Bob Dylans „Outlaw Blues“ heute aus wie eine gehisste Flagge. Die im Gegensatz zu anderen seiner Flaggen heute zerrissen, verrottet und vergessen ist. Sieht so aus, als wäre der „Outlaw Blues“ eben nur ein Sandkörnchen im großen Werk. Vielleicht weil er nicht zu den Songs gehört, die einen von Dylans Riesentexten zu schleppen haben, deren Ausdeutung einem Beschäftigung für ein ganzes Leben verschaffen können. Ich weiß es nicht und werd´s nie wissen und das macht nichts.

Begraben liegt der Blues seit dem Frühjahr 1965 auf Dylans fünfter LP „Bringing It All Back Home“. Doch der Blues ist kein Blues, sondern ein Rhythm´n´Blues, der solide und hämmernd nah am Rock´n´Roll gebaut ist, nicht weit weg von den Rolling Stones, die im Jahr zuvor mit der britischen Beatinvasion die amerikanischen Charts geentert hatten. Auf der Platte präsentierte Dylan sich wie bisher mit akustischen Songs wie „It´s All Over Now, Baby Blue“, aber ebenso viele waren  elektrisch wie „Subterranean Homesick Blues“. Damit hatte er sein Entfernen von der Klampfe angekündigt. Später im Jahr kam es zum berühmten Aufruhr beim Newport Folk Festival, als Dylan nicht den ehrlich-bescheidenen Folk, sondern den kommerziell-schrillen Rock und damit den Feind machte. Oberfolker Pete Seeger tobte, versuchte fast alles (außer mit der Axt die Stromkabel zu kappen, wie oft erzählt wird), um den Scheißkrach zu stoppen, berichtete der Festivalmitarbeiter und später gefragte Produzent Joe Boyd.

Wer den „Outlaw Blues“ kannte, wird da nicht „Verräter“ gebrüllt haben (es sei denn, um dem Freund nicht zu verraten, dass man inzwischen selbst zum Folk-Verräter geworden war). Denn Folkheld Dylan hatte doch die neue Flagge gut sichtbar gehisst, sich auch im Text zur LP relativ klar ausgedrückt. Doch wie dann der kürzlich verstorbene große Dylan-Fan Günter Amendt vor wenigen Jahren verblüfft bemerkte, es ist ja selbst heute noch der Klampfen-Bob, der das allgemeine Gehirn beherrscht, nicht  der Rocker-Bob. Der Solo-Klampfer, den ich als Teenager vermutlich 1975 mitbekam, verbaute mir den Weg zum Rocker und dem sonstigen Dylanwerk ziemlich gut; erst sein Spätwerk, speziell ab „Love & Theft“, trieb mich neugierig in den Keller meines Halbwissens, um dann solche Songs auszugraben. Ich bin kein spezieller Dylan-60er-Jahre-Fan und wundere mich, dass in der Tonne Artikel, die grade erschien, so wenig vom Spätwerk die Rede ist. Zu dem der „Outlaw Blues“ eine starke Brücke baut, an deren Ende mein Lieblingssong „Summer Days“ bereit steht.

Es ist nicht leicht, singt der Sänger, so rumzustolpern und in einem komischen Sumpf zu landen, „und ich sehe vielleicht aus wie Robert Ford, aber ich fühle mich wie Jesse James.“ Er fühlt sich wie der legendäre Outlaw, der als Erfinder des Eisenbahnraubs gilt und, im Gegensatz zur Legende, ein mieses Stück war, das keine Robin Hood-Ambitionen hatte. Und er sieht aus wie Robert Ford: ein Möchtegernmitglied der James-Bande, diente und wanzte sich langsam näher und erschoss den Boss von hinten, als ihm klar war, dass er nur durch den Mord berühmt werden würde. Tolles Drehmoment in zwei Zeilen, sozusagen Jesse James gespielt von Dylan in Robert Ford-Maske.

Falls Dylan auf sich anspielt, dann sieht es also so aus, als wäre er der Verräter (der die Folkszene killt), ist tatsächlich jedoch der Outlaw, der gejagt wird, keinen Platz hat und auch noch vom vermeintlichen Kumpel erledigt wird. Ford schießt in dem Moment, als James ein Gemälde an seine Wohnzimmerwand hängt, deswegen die Zeile „Ich werde kein Bild aufhängen“. Verräter überall: Ford verrät James, James verrät den Staat und seine Gesetze, Dylan die Folkmusik. Außerdem gibt´s auch noch den Mann, schreibt Dylan im Text zur LP, der ihn anbrüllt: „Du bist derjenige, der an den Aufständen drüben in Vietnam schuld ist.“

Man muss da nichts interpretieren. Aber von der Strophe versteht man nichts und den Witz sowieso nicht, wenn man nicht weiß, was sich hinter diesen Details aufbaut. (Bis in die hintersten Fußnoten getrieben: der sensationelle Mord wurde damals sofort als Theaterstück durchs Land geschleift, mit dem echten Mörder Robert Ford als Darsteller des Robert Ford, der dann in echt von einem Typen erschossen wurde, der als Mörder des Mörders von Jesse James berühmt werden wollte).

Aus der schnell skizzierten James-Tragödie macht Dylan keine Outlaw-Romanze, es geht mehr um das Gefühl verschwinden, sich entziehen, abtauchen zu wollen. „Ich wünschte, ich wäre auf einem Gebirgszug in Australien“, singt der Sänger, „gibt keinen Grund, dort zu sein, aber ich kann mir vorstellen, dass es eine Veränderung wäre.“ Gespiegelt im LP-Text heißt das mit schwerster Outlaw-Romantik: „Verantwortung/Sicherheit, Erfolg bedeuten absolut nichts.“ Da lacht der harte Rhythm´n´Blues und schlägt sich weiter durch.

„Ich trag meine dunkle Sonnenbrille, ich hab, weil´s Glück bringt, einen Zahn schwarz angemalt“, singt der Sänger. Und kommt damit als Pop-Gestalt oder R´n´B-Typ ins vage Outlaw-Bild; der geschwärzte Zahn war ein alter Entertainer-Trick, damit kriegte man immer ein paar Lacher. Man sieht mit so drei schwarzen Löchern im Gesicht auch unberechenbar aus, und der Sänger schickt am Ende der vierten Strophe eine Warnung hinterher: „Don’t ask me nothin’ about nothin’, I just might tell you the truth.“ Robert Shelton, dessen Lebenswerk von 20 Jahren, die ausufernde Biographie „No Direction Home“ gerade neu aufgelegt wurde, interpretiert es als persönliche Aussage. Dylan hatte den immergleichen Fragenschrott der ahnungslosen Journalisten satt und allgemein seine Position als Wegweiser, Leitfigur, Ratgeber, Auskenner. Die sollten ihn bloß nichts mehr über gar nichts fragen, sonst würde er ihnen noch die Wahrheit reinhauen!

Doch was ist die Wahrheit? Mit den von Produzent Tom Wilson gebuchten Studiomusikern Kenny Rankin, Al Gorgoni, Joseph Macho, William E. Lee, Paul Griffin, Bobby Gregg und Bruce Langhorne nach kurzer Besprechung in einem Lauf den „Outlaw Blues“ zu spielen, obwohl es „keine wirklichen Proben, kein Programm und keinen Plan“ gab, auf eine brennende Art, als hätten sie nie was anderes gespielt, brüderlich angetrieben von Dylans einpeitschender Stimme – ist sie das? Zu der in der letzten Strophe noch eine ganz bodenständige Wahrheit kommt über den Krieg der ungeschriebenen mit den geschriebenen Gesetzen.

„Ich hab eine Frau in Jackson, ich werde ihren Namen nicht sagen“, singt der Sänger, „sie ist eine dunkelhäutige Frau, aber ich liebe sie eben“ („She´s a brown-skin woman, but I love her just the same“). 1965 war das kein so harmloser Vers, wie´s für uns heute klingt (falls wir nicht in einem Streifen leben, wo irgendeine Scheißsittenpolizei kontrolliert, ob wir einen verfluchten Hurenlippenstift tragen…). Wenige Wochen davor hatte Dylan bei einem Besuch in New Orleans die Lage checken können, berichtet Shelton. Sie wollten mit einem Schwarzen in eine Kneipe gehen, kamen aber nichtmal gemeinsam in schwarze Kneipen rein und Dylan rastete aus. „Wir wollen keinen Ärger“, erklärte ihm ein schwarzer Barmann, „die Bullen werden kommen und uns alle einlochen. Geh weiter, Sohn. Irgendwo liegt deine Mutter auf den Knien und betet für dich.“

Dieser Outlaw im Song rastet nicht aus, er ist charmant und verspielt. Und passt zu dem „Alias“, den Dylan dann in Sam Peckinpahs „Pat Garrett & Billy The Kid“ spielte, ein undurchsichtiger Typ, der zu Billys Bande stößt, kaum je was sagt und so nett wirkt, dass man sich nicht vorstellen kann, wie schnell der mit dem Messer ist. Und doch (und irgendwie passend zum Titel) wurde der kleine „Outlaw Blues“ von allen verstoßen. Der Sänger hat seinen Song, sagen die unglaublichen Zählwerke der eifrigen Dylanologie-Homepages, nie gespielt, erst vor wenigen Jahren dann einmal live mit Jack White. Auch die Dylanforschungsarmee beachtet ihn nicht. Wir wissen nicht warum, aber das macht nichts.

Hohes Gericht, dieses dünne Ding von 3:06 Minuten hat lange genug in dunkler Zelle gesteckt! Es wird kein Gesetz mehr brechen und keine Best-Of-Sammlung zerballern, lasst es ins Freie wegrocken, die Zeiten haben sich doch geändert! Aber wohin? Und wem sag ich das?

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