MEHR DYLANOLOGY

Noch ein Dylan-Artikel, auf Papier in  junge Welt/Literaturbeilage v. 15. Juni (weil´s so schön ist, man möchte ja fast, und wäre nicht der erste, sein Leben lang nur noch irgendwie über Dylan bzw. diverse Bobs schreiben womöglich bzw. so what):

Dylan und die dünne Taxifahrerin

Bob Dylan ist ein sehr dünner Mann, aber diese Taxifahrerin vor unseren Nasen war so dünn, dass man glaubte, nicht richtig zu sehen, und mein Freund, der Autor Friedrich Ani sagte: „Ein Wahnsinn.“

Vor ihm auf dem Tisch – wir saßen draußen vor der Augsburger Bahnhofskneipe – lag das von Klaus Theweleit herausgegebene Bob-Dylan-Lesebuch „How does it feel“. Hatte ich auch grade bekommen und ebenfalls noch nicht genauer gecheckt.

Ich war etwas überrascht, dass Ani sich ein Dylan-Buch kaufte, weil er als Oberfan sicher schon eine Tonne zum Thema kannte. Irgendwann wird jemand eine Arbeit schreiben „Dylan im Werk von Ani“, hier ein Einstieg: mit „Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel“ hat er den Song „Man In The Long Black Coat“ in den Titel genommen und auch eingebaut, und am Ende des großartigen Kriminalromans heißt es: „Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, summte er A Hard Rain´s A-Gonna Fall in der Version der Rolling Thunder Revue von 1975, wie er mir anschließend nach mehreren Bieren durchaus ausführlich erklärte.“

Ani war als Teilnehmer einer Talkrunde bei den „DylanDays“ hergekommen (ich würde anschließend Musik auflegen; ich spiele als Dylanfan nicht in der ersten Liga, hatte mich jedoch rechtzeitig an das schöne Heftchen von Oswald Wiener erinnert: „Wir wollen auch vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren“). Er erzählte, dass er die erste deutsche Dylan-Biografie von Anthony Scaduto 1976 gleich mehrmals verschlungen hatte. Während ich zur selben Zeit und ebenfalls sechzehn von D. noch nicht angesprochen worden war. Inzwischen hatte ich etwas aufgeholt, allein in letzter Zeit die Neuausgabe der riesigen Shelton-Biografie gelesen, außerdem Colin Irwins Buch über das Highway 61 Revisited-Album. Im Scaduto aber nur geblättert, weil sich alles nur noch zu wiederholen schien und der Reiz der ersten Nacht nicht mehr zu haben war. Mein Kanal für Dylan-Bücher ist wohl langsam voll; die Biografie von Suze Rotolo, seiner ersten großen Muse in New York, aber sei „unbedingt“ zu empfehlen und nicht nur als Dylan-Buch, meinte Ani.

Die dünne Taxifahrerin war ein Wahnsinn, aber die Masse an Dylan-Literatur ist der echte Wahnsinn. Allein die Neuheiten seit dem letzten Jahr sind unpackbar. Man sehe sich das mal an, ein Wahnsinnsmarkt. Fühlt sich an, als würde über jede Station, alle Gitarren und Hauskatzen, jedes Album, jeden einzelnen Text/Musik/Mensch-Aspekt ein Buch geschrieben (da war die Serie zu einzelnen Songs in dieser Zeitung leider zu kurz) und dazu Enzyklopädien und immer neue Biografien. Diese Bedeutung hat Kinky Friedman (der Ex-Countrysänger, der auch mal Gast bei Dylans Rolling Thunder Revue war) in seinen Krimis als Standard-Gag eingebaut, indem er erzählte, dass sein Freund Ratso eine zehntausend Bände umfassende Bibliothek über drei Persönlichkeiten habe: Jesus, Hitler, Dylan. Natürlich hat auch der echte Larry „Ratso“ Sloman ein Dylan-Buch geschrieben.

Während die dünne Taxifahrerin inzwischen garantiert noch dünner geworden ist, kann ich nun sagen, dass das von Prof. Dr. Klaus Theweleit zusammengestellte Lesebuch in meinen eigentlich vollen Dylanbücher-Kanal gut reingekommen ist. Weil es mit seinen zwei Dutzend Beiträgen durch alles kurvt, was es so gibt, und damit maximal abwechslungsreich, also unterhaltend ist, ohne den Stoff, den Künstler, an dem sich so viele, zum Teil in Lebenswerken, abarbeiten, dadurch zu vereinfachen. Wie vom Herausgeber beabsichtigt ist das keine „Ersatzbiographie“ (und es gibt nur „eine (grobe) Chronologie“), sondern ein wildes Cruisen durch die Dylan- und die Dylanberichte-Welt. „Zwar kommt auch der Ehe- und Family-Mann vor; auch der Junge vor dem Spiegel, der das rechte Outfit prüft; aber an erster Stelle soll dies ein Buch über den Song- & Wordman Dylan sein. Für den Danceman, wie er sich auch genannt hat, waren weniger Belege zu finden.“ Womit angedeutet ist, dass Theweleit mit seiner Sammlung mal wieder – anders als einige (wenige) Texte – eine  Kopf/Bauch-Balance hergestellt hat. Musikbücher, die das nicht schaffen, will man ja nicht lesen.

Das Spektrum (ohne alle zu nennen): von Suze Rotolos Erinnerungen (sie wollte nicht als Dylan-Puppe an der Seite dieses starken Typen im aufbrechenden Starrummel verdämmern) bis zur Elke Heidenreich-Episode, wie sie (bzw. ein „Ich“) endlich in einem Jugendfreund die wahre Liebe erwischt, dank eines Dylan-Tribute-Konzerts im Fernsehen („Guck Willi Nelson an, wie der sich immer treu geblieben ist…“). Erstmals übersetzt Nat Hentoffs Portrait im New Yorker 1964, 20 Seiten klassischer Journalismus, und direkt dahinter Theweleits Analyse eines Ereignisses, das Dylan bei Hentoff erzählt: wie er bei einer Preisverleihung kurz nach der Ermordung Kennedys ausgebuht wurde, weil man dachte, er würde den Attentäter Oswald verteidigen. Ein Missverständnis, das bis heute tapfer verbreitet wird bzw. Dylan habe betrunken eben wirren Scheiß von sich gegeben. Tolle Kombination im Buch. Und immer spannend, wie sich manche Texte verzahnen, manches taucht woanders und wieder anders wieder auf. Stellen aus Sam Shepards Logbuch zur Thunder Revue, dem für mich schönsten Dylanbuch, sehr  freie, nicht so an D. klebende Doku-Poesie; Hunter S. Thompson (für seine Verhältnisse sehr verhalten, über D. als das Hippiesymbol vor dem Hippietotalausverkauf); Abschnitt aus einem DeLillo-Roman: sein D. nachempfundener Held lässt wie der echte junge D. einen Interviewer so komisch wie verzweifelt ins Leere laufen.

Das Literarische ergänzt von der Forschung: Wilfried Mellers über „Dylan als jüdischer Indianer und weißer Schwarzer“ (stolpert leider auch in diese Art Komik: „In seinen Songs hält Dylan die heikle Balance zwischen patriarchalischen und matriarchalischen Impulsen. Im wirklichen Leben scheint es ihm weniger geglückt zu sein, war er doch zu vielen der Frauen, die ihn liebten, äußerst grausam…“). Großartig dagegen Heinrich Deterings Artikel über die Inszenierung, die Details, die Anspielungen in der Radio-Show, die Dylan bis vor kurzem präsentierte. Ebenso Diedrich Diedrichsen (über D. als Pionier neuer Formate) oder Sean Wilentz über Aneignung, Klauen, Fortführen, Bewahren, Montieren.

Unter den Respektsbezeugungen ist Theweleits eigene die stärkste: Was er an Dylans Kunst bewundert, ist dessen „umfassendere Wirklichkeit“, die „die Welten der Objekte, der Bilder, der Gefühle, der Räusche und insbesondere des Traums gleichermaßen“ einschließe, und das sei „nicht zu finden in den Büchern unserer Top-Ten-Philosophie-Beamten…da ist eher kühles Valium…verabreicht Lesern, die die Power des (Sur)Realen nicht ertragen…“, das sei „Entertainment für Anspruchslose. Ich jedenfalls tausche den ganzen Suhrkamp-Laden gegen die gesammelten Columbia Records.“

Wie auch immer, Friedrich Ani und ich mussten dann also los, und ehe uns jemand zuvorkommen konnte, nahmen wir das Taxi der dünnen Taxifahrerin. Wir stiegen ein und sie stellte das Taxifunkgequäke aus. Wir fuhren los und sie drückte auf die Play-Taste. Und dann hörten wir „Man In The Long Black Coat“. Und wir schauten kurz auf zum Himmel, ob da ein Zeichen zu entdecken war, ich glaube, so war´s.

„Soll ich ausmachen oder vielleicht lauter?“, sagte die dünne Taxifahrerin.

„Unbedingt“, sagte Ani.

Klaus Theweleit: How does it feel. Das Bob-Dylan-Lesebuch. Geb., 302 S., viele Fotos. Rowohlt Berlin, 2011

Friedrich Ani: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel. Knaur Taschenbuch, 190 S., 2005

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