EINE (ECHTE!) PIRATIN

In den größeren Städten fand er im Bahnhof immer ein Buch, das ihn eine Weile begleiten sollte, und in der nahen Umgebung meistens einen Gebrauchtwaren-Importexport-Schuppen, in dem er was zu lesen fand, das aus dem Neuwarenangebot schon lange verschwunden war und ihn so reizte, wie ihn auch eine Kalaschnikow von 1947 gereizt hätte.

In Leipzig zog er aus einer Kiste, die unter einem Arsenal sensationeller Wassergewehre auf dem Boden stand, Piratin Fu heraus, die schon einiges mitgemacht hatte, seit sie von Robert H. Sperling auf die deutsch lesende Menschheit losgelassen worden war. Gisela Kopp hatte gleich auf die erste Seite der Lizenzausgabe für die Mitglieder der Stuttgarter Hausbücherei schwungvoll groß ihren Namen geschrieben. In der Hocke las er die ersten Zeilen.

Ich bin Fu, die Tigerin. Meine Landsleute sagen, ich hätte tausend Männer getötet. Das ist weit übertrieben. Trotzdem erheben sich alle Fischer im Perlflußdelta, wenn ich an Bord komme. Mit meinen sechsundzwanzig Jahren habe ich noch keine chinesische Frau gesehen, vor der Männer aufstehen. Ich meine gelbe, schlaue und mutvolle Männer, die zwischen Wasser und Himmel zu leben gewohnt sind. Warum ich diesen Bericht schreibe? Weil ich Silberdollars brauche – und zugleich jemanden mit diesen Seiten an den Galgen bringen will. Heilige Hölle, war das vielleicht kein Anfang? Er hatte in seinem Koffer nichtmal Platz für ein Gramm Heroin und er hatte das fast immer verfügbare weltweite Netz dabei, in dem er sich zu Tode surfen, lesen oder schauen konnte. Aber er fühlte sich besser, wenn er auch was dabei hatte, das er in die Hand nehmen konnte. Außerdem war die Piratin Fu sicher viel zu schlau, um sich im Netz mit derartigen Bekenntnissen zu präsentieren. Eines der Fotos zeigte die lachende Kriegerin, die sich auch als Luxuscallgirl tarnen konnte.

Jedes Buch 50 Cent, sagte der Ladenbesitzer, und wenn du zehn nimmst, eins umsonst. Er fand heraus, dass er es mit  1500 Prozent Gewinn verkaufen konnte. Was ihn aufgrund seiner Wohnsituation hundertprozentig überfordert hätte. Ihre Liaison hielt nur vier Tage. Dann musste er Piratin Fu in einem Zug liegen lassen. Sie lag lieber in einem Zug als in einem Hotel. Das war sicher.

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