DER ROMAN DES JAHRES 2012 (KNASTLESEN 2)

ist für mich kein anderer als dieser:

Andreas Niedermann hat mit seinem 8. Roman – der erste, „Sauser“, ist 1986 bei Edition Nautilus/Edition Moderne erschienen – seinen besten geschrieben. Was für einen Autor des Jahrgangs 1956, der so lange in den Wortfeldern unterwegs ist, keineswegs normal ist. (Wir lassen uns jetzt nicht darüber aus, was wir für normal halten).

Ein Kriminalroman, der in der Schweiz in den Zeiten von „Züri brennt“ spielt. Und der nebenbei mehr über die Arbeit des Schreibens und das Veröffentlichen und das Leben damit erzählt, als fast alle Bücher, die ich kenne, die behaupten, sie würden einem darüber etwas erzählen. Sowohl was die kriminelle Aktion als auch das Schreiben betrifft, bekommt man hier stark präsentiert: den Unterschied zwischen einem Autor, der spürbar weiß, wovon er schreibt – was ja nicht heißt, er müsste alles genau so selbst erlebt haben etc. -, und den vielen Angebern, die etwas behaupten, von dem sie zu wenig Ahnung haben. Weil hingeschrieben ist ja immer schnell was. Man erkennt den einen wie den anderen fast immer schon an seinem Stil. Eine Schriftstellerin, die sich in dem, worüber sie schreibt, ein wenig auskennt, kann sich mehr auf ihren Stil konzentrieren.

Ich habe das Buch in einer meiner Knastvorlesungen im Jugendarrest vorgestellt. Es war bald ruhiger als sonst. Vielleicht weil die meisten meiner Kinder schnell merkten, dass sie mal wieder besser Ohren und Hirne so weit wie möglich einschalten sollten. Denn dies sind die ersten Sätze: „Ich bin ein Scheißkerl. Einige sagen, ich sei nur kriminell, aber das trifft die Sache nicht genau. Wer sich umhört, kann auch auf die Meinung stoßen, dass ich ein Künstler sei. Diese Ansicht sollte man nicht ernst nehmen. (…) Kriminell zu sein ist einfach. Diesen Titel kriegt man umsonst. Der wird bei jedem Ladendiebstahl mit eingepackt. Aber Scheißkerl nicht. Den muss man sich erarbeiten.“

Etwa an dieser Stelle habe ich erstmals kurz unterbrochen, um zu sagen: „Wer von euch jetzt den Eindruck hat, ich lese euch das vor, um euch zu sagen, was ihr tun oder lassen sollt, der täuscht sich, das interessiert mich nämlich einen Scheiß.“

Eine 16-jährige Frau verfolgte das derart fasziniert, auch fassungslos, vollkommen überrascht und alle Ablenkungsversuche konsequent ignorierend, dass ich ihr das Buch danach schenkte. Ich wusste, dass sie es vom Christkind nicht geschenkt bekommen würde. Das Christkind, das in das Heim für Waisen und Kinder aus Problemfamilien kommt, in dem sie nach ihrem Arrest wieder abgeliefert wird, verschenkt solche Bücher nicht.

Ich habe das Vergnügen und die Ehre, den Schweizer Autor (und Verleger) seit 25 Jahren zum Freund zu haben. Außerdem hat er meinen letzten Gedichtband verlegt. Ich finde es schwierig, über die Arbeiten von Freunden zu schreiben. Wie schon Ernst Jünger, ich glaube in „Autor und Autorschaft“, hinreichend dargelegt hat: Über seine Freunde und Feinde sollte man sich öffentlich nicht auslassen (ebenso wie man für Applaus so empfänglich sein sollte wie für Kritik, nämlich am besten gar nicht). Ich finde das bedenkenswert.

In seinem Blog auf songdog.at schrieb Niedermann vor einigen Tagen über ein tolles Beispiel für die Art Kumpelei, der man einfach nur in die Eier treten sollte: eine Jury prämierte das Buch aus dem Verlag des Schweizer Verlegers Urs Engeler, ohne dass sich jemand daran gestört hätte, dass der Engeler in der Jury sitzt und eines seiner Bücher im Rennen ist. In Deutschland sind das die Momente, in denen jemand eine scheinbar ultraseriöse Rede über seine Scheißleitkultur hält, die dann auf irgendeiner Literaturseite reingedrückt wird.

Nun gut. Hier also einige Stimmen zum Buch, die das sagen, was ich schreiben würde. Viel mehr gute Zeugen und Kritiken kann ein Autor für sein Werk nicht bekommen:

“Andreas Niedermann, dem in Wien lebenden Schweizer Autor und Buchverleger … ist mit „Goldene Tage“ ein wunderbarer kleiner Roman geglückt. Ohne Special Effects und ohne etwas künstlich aufzupeppen. Ruhig, stilsicher, elegant und reduziert ist Niedermanns Prosa, und man fühlt sich von ihr aufs beste unterhalten.“ Schrieb Klaus Bittermann in der jungen Welt, und es gibt sehr wenig zeitgenössische deutsche Literatur, für die Klaus Bittermann, Verleger der Edition Tiamat (wo kein Buch von Niedermann erschienen ist), solche Worte auffährt.

„Ein Buch, das durch seine Authentizität und herbe Schönheit wie ein funkelnder Nugget aus dem Bodensatz gegenwärtiger Neuerscheinungen hervorsticht”, schrieb Benedikt Kramer (Hrsg. des Superbastard, in dem auch Niedermann-Texte veröffentlicht wurden) nicht in irgendeinem, sondern im derzeit besten deutschen Literaturmagazin,  Drecksack.

Auf satt.org ist zu lesen.“Im Subtext – und dies macht den Roman zu einem Stück echter, großer Literatur – handelt Goldene Tage davon, wie man mit der Vergangenheit umgeht.“

 

Andreas Niedermann: Goldene Tage. Roman. 210 S. Songdog, Wien 2012

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