WIE FRANZ JUNG EINMAL VOM DR. SERNER GEHOLFEN WURDE

Heute ist der 50. Todestag von Franz Jung: „Protagonist der Literaturrevolte, Expressionist, Dadatrommler, Revolutionär, … Deserteur, Börsenkorrespondent, Meuterer, Schriftsteller, Agitator…“

Mein liebstes Buch von den vielen, die ich von ihm gelesen habe, ist seine Autobiografie „Der Weg nach unten“, sicher auch, weil es das im banalen Sinn lesbarste und am leichtesten bis in unsere Zeit rüberstrahlende ist, erstmals 1961, dann bei Edition Nautilus erschienen.

Dies ist für mich die schönste und bedeutendste Anekdote der deutschen Literatur seit Walther von der Vogelweide:

Rückblende zum Anfang des 1. Weltkriegs (S.91): „Ich befand mich in der Gruppe der Kriegsfreiwilligen. (…) Mit dem ersten Einsatz zum aktiven Regiment, mitten hinein in die Schlacht bei Tannenberg. (…) Den größten Teil des darauf folgenden Rückzuges … habe ich allein gemacht, als Mitglied der Grünen Armee, einer Gruppe von Deserteuren, die sich auf eigene Faust in die Heimat absetzte … Unser Feind war die berittene Feldgendarmerie.

Ich bin durchgekommen. Ich kam nach Berlin. Im Café des Westens wurde ich von einem Dr. Serner in Empfang genommen, der von Margot gebeten war, sich meiner anzunehmen. Dr. Serner empfing mich im Café in einem pompösen Pelzmantel – das war aber auch alles; darunter war nur spärliche Unterwäsche, den Anzug hatte er versetzen müssen. Dieser Serner war auch kein Doktor und hießt nicht Serner, sondern Seligmann. Sohn eines Zuckerbäckers aus Karlsbad. Serner schrieb unter seinen vollen Titeln einen ärztlichen Rapport an das Ersatz-Regiment, wonach er auf der Straße einen Soldaten mit dieser und dieser Nummer aufgefunden habe, in einem desolaten Zustand, so daß er sofort die Überweisung in ein Spital veranlaßt habe – er vergaß, den Namen des Spitals anzugeben. Ich hatte damit einen Vorsprung von gut einer Woche für meine Flucht nach Österreich gewonnen.

Walter Serner schrieb später eine Reihe Kurzgeschichten, darunter den Sammelband ‚Der Pfiff um die Ecke‘ (oder sein bekanntestes Buch, den Roman ‚Die Tigerin‘; A.d.V.), aus dem man ganze Serien von amerikanischen Kriminalromanen herausstehlen könnte. Es mir eine große Freude gewesen, später zu hören, daß Dr. Serner sich nach der Schweiz absetzen konnte, und zwar am gleichen Tage, als die Polizei im Café des Westens bereits mit dem Verhaftungsbefehl auf ihn wartete.“

Der Jurist Dr. Walter Serner starb vermutlich am 23.8.1942. Er war Sprachenlehrer im Prager Ghetto, als er am 10.8. mit seiner Frau Dorotea ins KZ Theresienstadt deportiert wurde, „am 20. August 1942 mit dem Transport Bb nach Riga“, und dort „wahrscheinlich am 23. August 1942 –  im Wald von Bikernieki zusammen mit seiner Frau Dorotea und allen anderen 998 Menschen dieses Transports ermordet“ wurde (Wikipedia).

  Dr. &  Deserteur

NeuausgabeDas Trottelbuch

bei Edition Nautilus. Und das Gesamtwerk:

http://www.edition-nautilus.de/programm/franzjung/list-self.html

 

Tags: