SCHULD UND SURFBRETT

Nicht ganz unpassend vielleicht zu den derzeitigen Außenbedingungen eine Buchbesprechung, die – mit dem Untertitel „Schmuddelkram wie Dostojewski: Don Winslows „Pacific Private“ – am 11.6.2009 in der jungen Welt erschien:

SCHULD UND SURFBRETT

Kürzlich durfte ich im Feuilletonbusineß mal wieder einen schönen Moment erleben. Ich wollte einer nicht ganz kleinen Tageszeitung einen Beitrag über einen Kriminalroman verticken und fragte eine Redakteurin, wem ich die Sache verklickern sollte. Die Frage war nicht so blöd, wie ich im selben Moment gedacht hatte. Ihre Antwort: »Unseren Literaturchef brauchst du nicht fragen, für den sind Krimis keine Literatur, sondern generell Schundkram«. Ich schwöre, das war vor ein paar Wochen.
Wahrscheinlich ist dieser Meister jetzt auf der Suche nach einem Essay zur Frage, warum nun auch (oder dennoch) bei Suhrkamp eine Krimireihe gestartet wurde – (ich würde so anfangen:»Schon Samuel Beckett hatte keine Lust mehr, jeden Krimi in die Schmuddelecke zu werfen, gegen die er sowieso nichts hatte«, und dann einschlafen) –, während wir uns eher fragen könnten, warum ein Suhrkamp-Krimi aussieht wie einer von Goldmann. Wenn’s interessant wäre. Oder ob die Reihe das Niveau halten wird, mit dem Don Winslow die Tür eintritt.

 
»Ich bin ein total beschissener Surfer «, erzählte der 54jährige Winslow im Interview mit Luan Gaines,»meistens falle ich runter und schwimme. Aber ich hab’s in der ein oder anderen Form mein ganzes Leben lang getan«.
Mit seinem zehnten und neuesten Roman »Pacific Private«(Originaltitel »The Dawn Patrol«) stürzte er sich voll auf seinen Sport und erfand die kalifornische Surflegende Boone Daniels, ein ehemaliger Polizist, der als Privatdetektiv nur so viel arbeitet wie nötig, um sein Surferleben zu finanzieren. Auch die anderen fünf vom Surfer-Elitetrupp Dawn Patrol, die sich jeden frühen Morgen am Strand treffen, pflegen diesen lässigen Lebensstil mehr oder weniger; Johnny Banzai, Kommissar bei der San-Diego- Mordkommission, eher weniger; und Sunny Day, die Frau in der Bande und deren sportliche Nummer eins, will den Sprung in die Profiliga schaffen, was mit Lässigkeit bekanntlich wenig zu tun hat. Das Surfen und dieser berühmte Küstenstreifen sind nicht Kulisse in Winslows Krimi, sondern sein Herzstück. Ein Buch im Buch, mit Begriffs-und wellentechnischen Erklärungen und Philosophie und sozialpolitischer Geschichte. So leidenschaftlich, rasant und stilvoll geschrieben und bestens mit dem Kriminalfall verwoben, daß ich bald, obwohl am Surfkram schon immer nur nachlässig interessiert, ins große Netz ging, um mal wieder Musik von Dick Dale oder Duane Eddy zu hören, aber auch die »Bikini Girls with Machine Guns« der unsterblichen Cramps. Hätte ich je geglaubt, daß Surfer mehr im Kopf haben können als »Sea, Sex and Sun« (Serge Gainsbourg)? Privatdetektiv Boone hat keinen Fernseher und liest abends harten Schmuddelkram wie zum Beispiel Dostojewski; was er den jüngeren Kriegern der Dawn Patrol dann doch nicht auf die Nase binden will.


Ihre »Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es soweit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben. Wie Hang Twelve meinte, wird das ein›klassischer Fall von hammerhart‹« und»vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehen bekommen, zwei pro Minute. Double Overheads, Tubes wie Tunnel, echte Donnerbrecher, die einen problemlos mitreißen und in den Waschgang spülen«.
Die heranrollende Naturgewalt verbindet sich mit den übelsten Verbrechen, die auf diese recht friedlichen Leben runterkrachen, als hätten die Götter gesagt, diesen netten Supersurfern an der kalifornischen Postkartenküste, denen zeigen wir’s jetzt mal, und den Ehrenkodex, auf den sie sich so viel einbilden, ballern wir ab. Eine »verdammt« schöne und taffe Anwältin, für die der extrem surfende Lebensstil nur eine alberne Weigerung ist, erwachsen zu werden, treibt den »Private Dick« erbarmungslos an die Arbeit. Eine Frau wurde ermordet. Der Fall hinter dem Fall wird immer größer und fieser. Dann gehen die Blutspuren bis in Boones Freundschaften rein.

 
»Ich mag die beautiful People nicht«, erklärte Winslow in der San Diego Union-Tribune, »ich finde sie wirklich langweilig, und es wird zuviel über sie geschrieben– zu viele Filme und zuviel TV.« Er schreibt lieber über Arbeiter und Underdogs und »über Leute, die kämpfen müssen«. Über diese und jene schreibt er großartig, und nicht nur seine witzigen Dialoge, sondern auch seine Beschreibungen von Elend sind überwältigend. Zur Zeit arbeitet Winslow auf seiner 40 Meilen vom Meer entfernten Farm am zweiten Teil der Boone-Serie. Wenn der bei Suhrkamp erscheint, könnte er mit dem für September angekündigten Thriller »The Winter of Frankie Machine« den Durchbruch in Deutschland (der mit den in den 90ern bei Piper veröffentlichten Titel nicht gelingen wollte) geschafft haben. Weil der Film kommt. Mit De Niro als Frankie Machine. Regie: Michael Mann. Viel mehr geht doch nicht. In der Abteilung für Schund und ,Sühne. Wo Don Winslow so oft mit einem Sexschreiber gleichen Namens verwechselt wird oder die Frage gestellt bekommt, ob er auch dieses Genre bediene, daß er inzwischen »jeden öffentlichen Auftritt« (John Wilkens) mit dem Hinweis beginnt, nicht dieser Typ zu sein,»ich habe ›Die Sklavenmädchen von Rom‹nicht geschrieben. Ich schwör’s«. Aber kann man denn einem surfenden Krimischreiber, der angeblich selbst mal Privatermittler war, irgendwas glauben?

Don Winslow: Pacific Private. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/Main 2009, 396 Seiten, 9,95 Euro * Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
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