HIER DIESE GESCHICHTE

wie ich vor einigen Jahren meinen kroatischen Freund und Kollegen Edo Popovic kennengelernt habe. Und wie es kam, dass wir uns eigentlich schon viel länger kannten … Weshalb es was Besonderes ist, wenn wir uns bald in Zagreb treffen … (Aus meinem Buch Letzte Stories, erschienen bei Blumenbar, Berlin, 2010)

ZUFALL

Die Vorträge waren gelaufen, die Masse der Zuhörer schob sich aus dem Saal ins Freie auf den großen Platz mit den Tischen, an die Getränke geliefert wurden. Endlich raus in den Sommerabend! Ich spürte die Erleichterung des Publikums.

So ein literarischer Abend mit Vortrag, Gedichten und Musik hat´s nicht leicht in einem heißen Sommersaal. Ich selbst war pünktlich zum Ende gekommen. Hatte einen Tag Schreibarbeit hinter mir und wäre eher in ein Scorpions-Konzert mit Sting und Hinterseer als Gastsänger gegangen, als mein Gehirn mit mehr Literatur vollzustopfen. Locker an einem Literatentisch sitzen und bei ein paar Gläsern Bonvivant möglichst besonders gescheit daherreden, das war mein Ziel, mehr war nicht drin.

Der kroatische Kollege Edo Popovic wurde mir von einem bekannten deutschen Verleger vorgestellt. Jener sagte mir nichts, diesen kannte ich nicht. Die Stimmung war schnell aufgeräumt, und irgendwelche Sätze, die nicht unter einer bedeutenden Dichtungslast ächzten, klackerten munter herum; wahrscheinlich lag das mal wieder an der Anwesenheit hübscher Frauen. Michael Krüger verstrickte sich in ein Gespräch über die Geschichte und Bedeutung des Bleistiftrocks mit meiner Tochter, und meine Frau erzählte Friedrich Ani, wie sich der Dr. Stoiber eines Tages an das Werk des jungen Bertolt Brecht hingewanzt und -gelabert hat, und ich hörte dem Lied zu, das mir Frank Spilker vorsang.

Es war so ein Abend, an dem es einem okay vorkam, dass die Amerikaner die Stadt nicht komplett weggebombt hatten.

Nur dieser Edo Popovic schaute doch etwas gequält aus. Selbst dem Verleger gelang es nicht, ihn stärker in die Runde reinzuziehen. Wahrscheinlich nerven ihn solche Literatentische grundsätzlich, auch wenn keine Sprachbarrieren herumliegen, dachte ich, und ganz generell war mir der Mann sympathisch. Er sah aus, als sei er in einem Film von Emir Kusturica vom Weg ab- und hier rausgekommen und wartete auf das Motorrad mit Beiwagen, das ihn endlich wieder reinbringen würde. Mir fiel auf, dass er keinen Alkohol trank. Ich wusste schon, dass das manche aus diesen Gründen tun und andere aus jenen, und mir war klar, dass Popovic aus jenen Gründen nur Wasser trank. Aber von kroatischer Literatur hatte ich keine Ahnung.

In der nächsten Nacht gerieten wir wieder aneinander, diesmal im lauten Partyzentrum des Literaturfestivals. Innerhalb von wenigen Minuten palaverten wir, als würden wir uns schon lange gut kennen.

Don´t mention the war“, sagte ich.

Fuckin why not?“

Weil ich als Deutscher dann eh nur Prügel bekomme.“

Ich war weder prokroatisch noch proserbisch“, sagte Edo.

Das überraschte mich nicht. Was er mir nicht erzählte, war etwas, das mich beeindruckt hätte, und wie ich mich kenne, wäre ich ihm damit auf die Nerven gegangen. Über zehn Jahre lang hatte er die Literatur Literatur sein lassen und Kriegsberichte geschrieben; das Netz erzählte mir, dass er für seine unparteiischen Reportagen geschätzt wurde. Wenn ich mich als Kriegsreporter durchgeschlagen hätte, würde ich das jedem verdammten Kollegen überbraten.

Seine Eltern waren in Münster als Gastarbeiter gelandet, und in den Achtzigern hatte er viel Zeit dort verbracht, um sie zu besuchen und zu jobben. Dort und etwa zur selben Zeit wie ich hatte er wichtige Bücher entdeckt, die auch mir etwas aufgezeigt hatten, von Ludwig Fels oder Peter-Paul Zahl.

Das habe ich dann alles für unsere Literaturzeitschrift Quorum übersetzt“, sagte Edo, „die war dick wie ein Ziegel, da verbreite ich keine Lügen.“

Sicher schwierig, die Rechte zu bekommen“, sagte ich.

Sehr schwierig“, sagte Edo.

Und besonders durch Jörg Fauser fühlten wir uns verbunden, dessen früher, damals kaum bekannter Gedichtband „Die Harry-Gelb-Story“ unser beider Einstieg war. Den hatte Edo dann sogar komplett ins Kroatische übersetzt. Und einem Freund nach Sarajevo geschickt, der ihn veröffentlichen wollte; als seine Wohnung von einer serbischen Phosphorgranate getroffen wurde, verbrannte das einzige Exemplar der Übersetzung.

Da war er schon tot“, sagte ich, „und wir sind jetzt älter als er damals.“

Ich glaube, sein Tod war sehr seltsam, oder?“

Ja“, sagte ich, „man hat nie herausgefunden, warum er am frühen Morgen an der Autobahn am Münchner Stadtrand stand, was er in der Gegend gewollt hatte, wie er dorthin gekommen war.“

Er war betrunken“, sagte Edo.

Schon, aber für einen Trinker nicht besonders betrunken.“

Kann viel mit dir passieren, wenn du betrunken bist, plötzlich kommt was aus dem tiefsten Schatten in deinem Kopf.“

Ich hatte gerade bei einem Dokumentarfilm über Fauser mitgearbeitet, und konnte von einigen seltsamen Begegnungen berichten, die wir bei den Dreharbeiten gehabt hatten; wir trafen einen alten Freund, der behauptete, ihn kurz vor seinem Tod in einer Kneipe außerhalb Münchens getroffen zu haben, und er habe verzweifelt auf ihn gewirkt, und gesagt, er wolle in ein neues Leben untertauchen; aber irgendwann hatten sich die Leute gehäuft, denen wir nicht unbedingt alles glauben wollten, und die uns etwas erzählten, für das es keinen Beleg gab.

Wir sprachen mit dem Lastwagenfahrer, der Fauser als Letzter lebend gesehen hat, fuhr auf der Autobahn, sah einen Typen an der Leitplanke gehen und hielt an. Er kam ihm verwirrt vor, nicht unbedingt betrunken, eher verwirrt. Er fuhr weiter, hat an der nächsten Notrufsäule die Polizei angerufen, aber zehn Minuten später hat ihn der andere Lastwagen erwischt.“

Auch in der nächsten Nacht trafen wir uns im Discobereich des Literaturfestivals, ohne uns verabredet zu haben. Wir tauschten Bücher aus und wandten uns dann sofort den wichtigen Fragen zu, zuerst der Frage, welche Sprache die übelsten Schimpfwörter zu bieten hat.

Die kroatischen sind die schlimmsten“, sagte Edo.

Das behaupten doch alle Jugos.“

Vergiss die Jugos.“

Schlimmer als Bluatshuaraarsch?“

Er lachte nur, winkte ab und nannte einige, die er nichtmal übersetzen wollte.

Schlimmer als Motherfucker?“

Motherfucker?! Dass ich nicht lache.“

Und dein beschissener Nationalstolz soll im Arsch deiner dämlichen Mutter gefickt werden?“

Da geht’s los, kann man sagen.“

Was soll´s“, sagte ich, „die Nationalisten und die religiösen Fundamentalisten werden uns sowieso irgendwann umbringen.“

Und den Rest erledigt der Turbokapitalismus, egal, ob du in Kroatien oder Bayern bist.“

Sein erstes Buch erschien 1987, ein Jahr vor meinem. Wir waren nicht nur von ähnlichen Literaturzonen angezogen worden, in denen man allein mit Seminarscheinen und ein paar grammatikalisch korrekt formulierten Sätzen keine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, sondern hatten uns dann zuerst auch auf ähnliche Art darin bewegt.

Wir haben Lesungen organisiert, bei denen gesoffen und geraucht werden sollte“, sagte Edo, „alles war besser als diese Ruhe in den Buchhandlungen, mit diesen ruhigen Autoren, die aus ruhigen Büchern vorlesen, damit wollten wir nichts zu tun haben, es sollte sich anfühlen wie bei einem Punkkonzert.“

An der Idee haben wir auch die Rechte“, sagte ich, „wir im Westen waren immer schneller, tut mir leid.“

Dobler, dein Name sagt mir irgendwas, aber ich komme nicht drauf“, sagte Popovic zum Abschied.

In den nächsten Tagen las ich sein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt worden war, den Roman „Ausfahrt Zagreb-Süd“, und obwohl ich schon vorher eine präzise Vorstellung von seinem Stil hatte und worum´s ihm ging, war ich doch verblüfft, wie genau ich es vorausgespürt hatte. Als wäre ich im Traum durch die mir unbekannte Szenerie gelaufen.

Einige Tage später bekam ich einen Brief aus Zagreb. Aus dem vagen Gefühl heraus, meinen Namen zu kennen, habe er die alten Ausgaben von „Quorum“ durchgesehen, schrieb Edo. Und in der Ausgabe 1989 zwei Erzählungen von mir gefunden, „Dobro jutro, Gestapo“ und „Karo, moja marka“. Die er selbst aus meinem ersten Buch übersetzt hatte.

Heilandsack, dachte ich, das ist aber eine schöne Geschichte.

Und das wird’s wohl sein, was wir am Ende von unserer Arbeit gehabt haben werden.

Ein paar gute Geschichten.

Ein paar gute Leute.

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