Die seit Jahren von Ina Bösecke verfasste Kolumne „Pol & Pott“ erscheint jeden Samstag auf der letzten Seite der jungen Welt und ist seit Jahren meine Lieblingskolumne in deutscher Sprache. Natürlich weil sie verdammt gut geschrieben ist, aber auch weil sie zugleich so far out, exzentrisch, freundlich und nützlich und außerdem mit diesem nicht so häufigen sog. Mutterwitz ausgestattet ist (der also mit der kürzlich verstorbenen Fanny Müller keineswegs ausgestorben ist). Das Buch gleichen Titels stammt übrigens aus der Zeit bevor I.B. allein für die Kolumne zuständig wurde und sie grandios veränderte, d.h. wir brauchen endlich einen Band mit ihren Texten.
Die Kolumne verbindet seitdem jeweils einen Film mit einem Kochrezept, oft ergibt sich das Kochrezept aus dem Film. Das klingt, als könnte jemand fragen, ob man sich nicht für Wichtigeres interessieren sollte, aber Ina Bösecke genügt oft ein kleiner Nebensatz, um ganze politische Kommentare lasch schmecken zu lassen, soviel dazu. Typisch, dass der Titel ihres neusten Gerichts (vom 3.9., Link s. unten) so harmlos klingt, dass man in einem Mafiafilm sofort das Schlimmste erwarten würde: „Crostini mit Fenchel“.
„Fenchelgrün abzupfen, fein hacken. Knollen in ein Zentimeter dicke Spalten schneiden…“ – das landet sozusagen und grob gesagt in einem Topf mit dem bösesten aller Hollywood-über-Hollywood-Filme, „Boulevard der Dämmerung“ von Billy Wilder, ein vielschichtiges Psychodrama weit jenseits vom Rande des Nervenzusammenbruchs, dessen Aktualität im fortgeschrittenen Paparazzi- und Promi-Wahn-Zeitalter ständig zunimmt, falls man mehr kapiert als nur, dass die 1950 keine Handys hatten. Typisch für den Bösecke-Humor ist, dass sie diesen Psycho mit dem gleichen Abstand wie z.B. auch Komödien behandelt: „Düsternis, Vergeblichkeit und Tod. Es herrscht ungefähr die Stimmung, die man nach dem Urlaub, kurz vor Arbeitsbeginn hat.“ Dann der U-Turn: „Natürlich kann man von Stars und Drehbuchautoren nicht erwarten, dass sie sich vernünftig ernähren. Außer Champagner und Kaviar scheinen Norma und Joe nichts zu sich zu nehmen.“
Ich schreibe diese Zeilen – einerseits egoistisch, andererseits erfreut über die Verbindung – , weil „Boulevard der Dämmerung“ in meinem neuen Roman zweimal vorkommt, sogar ein eigenes Kapitel prägt: der Ex-Kommissar sitzt mit der Schauspielerin im Auto, deren Stalker er aufspüren und ausschalten soll, und sie erzählt ihm von diesem Film. Titel des Kapitels: Ein Mord, den nicht jeder begeht. Auszug: „>Sie kennen also nicht Sunset Boulevard von Billy Wilder?< Er schüttelte den Kopf, und sie schlug schockiert die Hände zusammen – mit was für Männern war sie nur gezwungen in einer Hartz-IV-Blechkiste zu sitzen! Ein Skandal!“
Da geht´s lang: https://www.jungewelt.de/2016/09-03/070.php