ZYANKALI VOM WEIHNACHTSMANN

Für die Neuausgabe des Nero-Wolfe-Klassikers von Rex Stout, neu übersetzt von Gunter Blank, habe ich ein 23 Seiten langes Nachwort geschrieben, das nicht nur auf den so sophisticated wie strikt antifaschistischen Autor eingeht, sondern auch aktuelle Bezüge bringt. Hier ein paar Auszüge:

„Stouts Story klingt heute romantisch, ein Mord mit Zyankali ist ebenso ein Symbol für die guten alten Tage wie Bullen ohne Handys (während wir jedoch, fällt mir erst jetzt auf, ein Comeback des armchair-detective erleben, ohne dessen Ermittlungsarbeit am Computer nichts mehr geht). Parallel zur Entwicklung, dass aus dem gemütlich freundlichen Nikolaus eine Weihnachtsmannpuppe wurde, die die Wand hochgeht (was wiederum als Zeichen einer umfassenden Comedysierung anzusehen ist), haben wir jetzt ein modernes, kaum zu steigerndes Weihnachtsverbrechen im kollektiven Kopf: den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, bei dem am 19.12.2016 zwölf Menschen ums Leben kamen und der das Erscheinungsbild von Weihnachtsmärkten in Deutschland verändert hat. Ein Weihnachtsverbrechen, das bewusst auf das westliche Fest der Liebe abzielte und das kein irgendwie gemütliches oder humoristisches Potential für einen Weihnachtskrimi enthält.

Allerdings wäre es ein Stoff für einen düsteren Thriller vor Weihnachtskulisse: Was den Aufklärungswillen des Falles betrifft, für den offiziell ein Einzeltäter, der islamistische Terrorist Anis Amri, verantwortlich gemacht wird, müsse man „ernüchtert feststellen, dass das Credo der Bundesregierung wohl aus drei Dingen besteht: Täuschen, Tricksen, Tarnen“, schrieb im Berliner Tagesspiegel vom 19.12.2018 nicht ein möglicherweise übereifriger Journalist, sondern Benjamin Strasser, Obmann der FDP im Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz und Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestags. Und weiter: „Entgegen der anfänglichen Beteuerungen scheint der Attentäter von V-Personen geradezu umzingelt gewesen zu sein“, genauer gesagt „von mindestens acht“, und der Fall insgesamt „erinnert stark an den Fall des rechtsterroristischen NSU-Trios“, wo „40 V-Leute von sieben Behörden“ aktiv waren. Ich frage mich, was aus dem Fall wurde, wenn Sie dies lesen.“

„Der deutschsprachige Produktion zum Subgenre Weihnachtskrimi hat sich auf Anthologien konzentriert. Wer bisher der Meinung war, der Regionalkrimi oder auch Heimatkrimi sei der Totengräber des Kriminalromans, hat die Rechnung ohne den als Ansammlung von Kurzgeschichten auftretenden Weihnachtsregionalkrimi gemacht (dem mit der Hinzufügung von Rezepten gerne zusätzliche Durchschlagskraft verliehen wird). Nehmen wir den Titel „Hessisch kriminelle Weihnacht“ und die unschlagbare poetische Verlagswerbung: „Versprechen oder Verbrechen. Küche oder Kittchen. Duft oder Schuft. Verheißungsvolle Köstlichkeiten aus hessischer Küche schließen verhängnisvolle Leidenschaften und verruchte Gewohnheiten nicht aus, nicht einmal zur Weihnachtszeit. Gerade dann tauchen die 24 Autorinnen und Autoren besonders genüsslich die Feder in die Tinte und wetzen die Messer. Sie verwickeln Boeuf Bourgignon, Diebchen mit Duckefett, Bethmännchen, Bratapfelcookies und andere Besonderheiten der Regionen Hessens in kriminelle Handlungen, und niemand kann sie stoppen.“ Ebenfalls Federn in Tinte getaucht wurden für „Badisch kriminelle Weihnacht“ und „Schwäbisch kriminelle Weihnacht“ und „Das kriminelle Nürnberger Weihnachtsbuch“ und „Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel. Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz“.

Ich könnte jetzt aufhören, Sie zu quälen, aber ich stehe auf „Entertainment Through Pain“ (Throbbing Gristle) und möchte deshalb auch „Tödlicher Glühwein. 21 Weihnachtskrimis aus der Pfalz“ erwähnen (wobei die Zahl 21 in diesem Zusammenhang eher selten ist) und „Killer, Kerzen, Currywurst. Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Ruhrgebiet“ und „Stille Nacht, tödliche Nacht. 24 mörderische Adventsgeschichten“ und „Stollen, Schnee und Sensenmann“ und „Süßer die Schreie nie klingen“ und „Maria, Mord und Mandelplätzchen“ und „Glöckchen, Gift und Gänsebraten“ und „Kerzen, Killer, Krippenspiel“ und „Türchen, Tod und Tannenbaum“ und „Plätzchen, Punsch und Psychokiller“ und „Makronen, Mistel, Meuchelmord“, nicht zu verwechseln mit der Sammlung „Makrönchen, Mord und Mandelduft“, deren Titel mir fast so gut gefällt wie „Der kleine Mord. Heitere Weihnachtskrimis“, womit diese unvollständige Liste neuerer Produktionen leider doch beendet werden muss.“

Klett-Cotta, 139 S., 12.-

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