ALFRED HILSBERG R.I.P.

Er hat mich seit 1980 begleitet, immens beeinflusst, der wichtigste Labelmacher von German Sounds-Anti-Schlager und bezeichnenderweise von sehr viel mehr als nur Punk, Alfred Hilsberg (mit 77 am 19.8. verstorben) – und das, obwohl ich ihn fast nicht kannte, nur zwei- oder dreimal mit ihm telefonierte, als ich für Trikont 1993 anfing, die Serie „Perlen Deutschsprachiger Popmusik“ herauszugeben, ihn aber durch eine Vielzahl seiner Produktionen eben doch irgendwie gut kannte… Irgendwie auch seltsam, dass ich vor wenigen Tagen seinen Namen in einen Text tippte, als ich für das jetzt erscheinende Album „Invincible“ von The Creeping Candies paar Zeilen schrieb, deren erstes Album vor fast 40 Jahren eben auf Hilsbergs Whats-So-Funny-About-Label rauskam (dessen Bedingung, es müsste aber von Nikki Sudden produziert werden, gut ankam, weil die Band eh mit ihm befreundet war)… Irgendwie auch seltsam, dass ich, als die Todesnachricht reinkam, in Köln bei Torben Wesche war, dem Saxophonisten des Knarf Rellöm Arkestra, denn einige Rellöm-Alben kamen ebenfalls bei Hilsbergs ZickZack oder WSFA raus und Knarf spricht in der Hilsberg-Biografie „Das ZickZack Prinzip“ von Christof Meueler (2016 bei Heyne Hardcore) mit größter Verehrung von Hilsberg, der den Begriff „Neue Deutsche Welle“ zwar erfunden hatte, aber mit dem, was dann damit erfunden, vermarktet und versaut wurde, garnix zu tun hatte…

Mit der Stimme von Alfred Hilsberg hier der charmant-witzige Track von Knarf Rellöm „Langweiliger Nachmittag für Rockford“:

Einige Nachrufe (von f-book), die viel mehr als die Feuilletons erzählen:

Die Tödliche Doris/Wolfgang Müller: „Dem gerade verstorbenen Alfred Hilsberg werde ich immer dankbar sein. Er veröffentlichte die ersten beiden Die Tödliche Doris-Vinyls auf seinem Zickzack-Label. Die Maxi 12inch 1981 und die LP 1982. Wer hätte das seinerzeit sonst gemacht? Niemand. Die Westberliner Druckerei Dressler stellte das Beiheft für die erste Doris-LP her und lieferte 500 Stück nach Hamburg. Da die Rechnung von Alfred nie bezahlt wurde, schmissen sie die restlichen 2.500 Hefte irgendwann auf den Müll. Aus diesem Grund ist das Heft heute ein gesuchtes Sammlerstück. Alfred hatte vertraglich die Option auf eine dritte Doris-Produktion, lehnte aber den Vorschlag ab: Eine Box mit Puppenplattenspieler, Buch, 16 Songs auf 8 Minischallplatten und Batterie. Zu aufwändig, zu teuer, kauft niemand. Carmen Knöbel vom Label Pure Freude und Ursula Block von Gelbe MUSIK realisierten schließlich das Projekt. Chöre & Soli (siehe Foto von Ilse Ruppert) war in wenigen Monaten ausverkauft. Es ist bekannt, dass Alfred Hilsberg seitenlange Verträge aufsetzte, aber nie Abrechnungen mit den Musiker:innen machte. Wer nicht von Haus aus Geld besaß oder über ein festes Einkommen verfügte, musste dann notgedrungen nach anderen Möglichkeiten suchen oder (wie die Müllerbrüder) eigene schaffen. Da Alfred unablässig und mit anarchischer Lust neue Musik produzierte, Großartiges und Überflüssiges gleichermaßen, konnte niemand wirklich sauer auf ihn sein. Ich dachte nur, kein Wunder, dass Alfred nicht steinreich und weltberühmt ist, wie Richard Branson, der Gründer des Virgin Labels. Aber das hätte ihn gar nicht interessiert. Und das ist dann auch wieder sympathisch. Im Herbst 2025 erscheinen die ersten beiden Doris-Zickzack-Produktionen von 1981 und 1982 wieder auf Vinyl beim us-amerikanischen Label https://www.superiorviaduct.com/ Für die Maxi ist es dann ein erstes Vinyl Re-release – nach 44 Jahren.“

Doctorella/Ella Grether: „�� The one and only Alfred Hilsberg (ZickZack Platten) ist tot. Schock. Er war der einzige Labelmacher, Denker, Autor, Mensch, Mann im dummen deutschen Musikgeschäft, der zu jeder Zeit eine – soziologische, menschliche, rebellische – Idee davon hatte, wie es jetzt mal wieder gehen müsste; die richtige Musik, die den Zeitgeist aufwühlt, nicht nur zu veröffentlichen, sondern auch als „Fremdes“, bewusst Anderes einzuschreiben. Er war gerne „fremd im eigenen Land.“ Ein antifaschistischer, antisexistischer, intellektueller Autor als Labelmacher. Der Ende der 70er den Faden von Dada wieder aufnahm und als Dank dafür als Vater von „Dadada“ galt. Für uns beide war er auch wie ein Vater. Und er war der einzige Labelmacher im ganzen fucking Grrrlmany, der nicht im Traum auf die Idee gekommen wäre, unsere musikalischen Talente aufgrund von Geschlecht nicht zu erkennen oder zu unterstützen. Er war der einzige, der Parole Trixi bedingungslos von Anfang an auf seinem Label veröffentlicht hat. Und alles für uns getan hat, was geht! Und noch mehr! Er hat im schlimmsten anti-feministischen Backlash der 90er Jahre das Geld, was er für den Deal mit Blumfeld beim Major bekommen hat, in die radikalste Riot Grrrl Band investiert. Und alles wegen dem „Igelsong“, wie er munter nicht müde wurde zu betonen, die andern wahnsinnigen Songs von Parole Trixi waren ihm fast zu kommerziell. Igel ging so: „dein schlechter Ruf eilt dir voraus, du kommst gar nicht mehr hinterher, egal was du auch tust, der Igel ist schon da im Heer und hinterhältig lauert er…“, und mit so viel „Dreck im Dorfversteck“ kannte er sich aus. Immer wieder musste er sich verteidigen für seinen radikalen Lebensentwurf. Er lehnte auch später sehr erfolgreiche Indierock-Bands ab ( z.B. Tomte, Kettcar, die Sandra ihm vorspielte), weil ihre Musik nicht in seine gesellschaftliche Utopie passte. Immer wenn ich an mich selbst glaube und nicht an das, was die unsolidarische Gesellschaft will dann denke ich an Alfreds Motto: “ eine eigene Gesellschaft mit eigener Moral.“ Dazu gehörte auch dass er den genauen Gegenentwurf von Parole Trixi, die Nachfolgeband The Doctorella (weil sie statt dem Albtraum den großen TRAUM verkörpern wollte) mit derselben Konsequenz unterstützte und auf Zick Zack Records rausbrachte. Wenn man mit ihm arbeitete, bekam man oft jeden Tag eine Mail oder einen Anruf: „So und so muss es jetzt gehen…“ Er sprühte vor tollen, klugen Ideen, wie man die pop-feministische Band jetzt mal wieder nach vorne bringen könnte. Und auch wenn er den Erfolg im Sinn hatte, blieb er, radikal und poetisch, beim Thema der Kunst. Mit über 70 begriff er mehr von The Doctorella ( und den noch radikaleren Candelilla) als fast alle anderen. Mit Brockdorff Klang Labor hatte er auch noch eine weitere Band mit toller Gitarristin und Sängerin am Start. Von Katrin Achingers wegweisenden Kastrierte Philosophen in den 80ern ganz zu schweigen. Und Michaela Meliáns/Thomas Meineckes FSK. sowie Xmal Deutschland. Bernadette La Hengst und Conny Losch arbeiteten fürs Label. Also auch hinter den Kulissen tolle Künstlerinnen von vor den Kulissen (wie man auch in CHRISTOF MEUELERS Buch über Alfred nachlesen kann; „das Zick Zack Prinzip“ von 2016). Aber das Beste: er schuf immer neue Kombinationen von Wort und Musik Wahnsinn und Wahrheit, Originalität und Neuanfang. Punk und Electro. Ost und West. Berlin, Hamburg, London und New York. Der Anrufbeantworter von Alfred Hilsberg war wahrscheinlich der einzige Ort, auf dem sich in den 90er Jahren eine liebeskranke Autorin im Zustand einer Psychose aussprechen konnte, ohne am nächsten Tag zu Stadtgespräch und Gespött zu werden. Stattdessen sagte er dann aufgeräumt zu Kersty: „Ist doch normal, dass man durchdreht, wenn man eine große Story für die Spex schreibt.“ Scham und Schuld erledigt, weiter ging`s im Text , so ist das in der eigenen Gesellschaft mit der eigenen Roman. äh Moral. Madness nur eine Episode. Und die Kunst macht weiter. Nur heute bleibt sie stehen. Denn Alfred ist tot und es wird nie mehr einen Besseren geben! Unsere Gedanken sind bei seiner bezaubernden Lebensgefährtin, der Fotografin Sabine Schwabroh, die er glücklicherweise bis zuletzt an seiner Seite hatte. ❤, R.I.Punk, lieber Alfred!“

Markus Nägele, damals Verleger der Biografie bei Heyne Hardcore: „Eben habe ich erfahren, dass Alfred Hilsberg von uns gegangen ist. Ich wusste, dass er gesundheitlich schon lange angeschlagen war, trotzdem haut mich das ganz schön aus der Spur. Denn mit Alfred verbinde ich neben einer Reihe prägender Bands und Weggefährten auch dieses eine Buchprojekt für Heyne Hardcore, was mich und Christof Meueler mehrere Jahre absorbierte, zur Weißglut trieb, an den Rand der Verzweiflung brachte. Eigentlich sollte es Alfreds Autobiografie werden. Dafür führte Christof als Co-Autor zig Interviews mit ihm. Anschließend führten die beiden noch mehr Interviews mit unzähligen Protagonisten, die Alfreds Lebensweg seit den späten 60ern – erst als freier Filmverleiher, dann Journalist und Konzertveranstalter, später Labelmacher und Bandmanager – gekreuzt hatten. Ich erinnere mich an einige surreale und unvergessliche Treffen, auch wunderbare Spesenquittungen (mit Sahnetörtchen und Rotkäppchen-Sekt aus dem Deutsche-Bahn-Speisewagen!) und viele denkwürdige Telefonate. Irgendwann sollte das Buch dann mal erscheinen, Christof hatte Alfreds Erzählungen zusammengetragen, redigiert und in Form gebracht. Ich war begeistert. Bloß Alfred nicht. Da müsste noch der Hilsberg’sche Ton rein. Kein Problem. Er könne das Manuskript gern noch überarbeiten. Und damit begann eine Odyssee sondergleichen. Deadline auf Deadline verstrich. Es gab immer neue Gründe, warum Alfred wieder nicht dazu kam. Und irgendwann wurde Christof und mir klar, dass die Geschichte nie erscheinen wird, wenn wir auf Alfreds Überarbeitung warten. So kam es letztlich zu der Idee, das Material als Biografie zu veröffentlichen, nicht mehr als Autobiografie. Das wäre zwar nur halb so verkaufsträchtig, aber besser als nichts. Also musste Christof Alfreds O-Töne wieder umschreiben und in eine Erzählung in der dritten Person umwandeln. Alfred war davon nur so halb begeistert, aber die Alternative wäre gewesen, dass Projekt einzustampfen. Die Vorschüsse waren natürlich schon längst verbraten. Also willigte Alfred ein. Als das Buch dann 2016 Jahre nach dem ursprünglich geplanten Erscheinen endlich veröffentlicht wurde, machte er es uns dann nicht leicht. Natürlich wollten die Journalisten vor allem auch mit ihm sprechen, ging es doch vor allem um sein Lebenswerk. An einigen Veranstaltungen zum Buch nahm er dann doch Teil, wetterte mal mehr, mal weniger dagegen, um sich dann doch weitere Exemplare (und dazu immer gern den neuen Stephen King) schicken zu lassen. Irgendwann wurde es stiller, zuletzt hörte ich nichts mehr von ihm. Das Buch bekam zwar einiges an Presse, ein großer Verkaufserfolg war es nicht. Inzwischen ist es nur noch antiquarisch erhältlich. Ich bin trotzdem sehr froh, dass wir es damals gemacht haben. Die Geschichte musste festgehalten werden. Auch wenn die Zusammenarbeit mit Alfred alles andere als einfach war, ich möchte sie nicht missen. Er war ein Original, in jeder Hinsicht. Mach es gut, Alfred, und bestell dir ruhig noch ein Sahnetörtchen und Rotkäppchen-Sekt dazu. Den neuen Stephen King treib ich dir auch auf.“

***++Und eine Diskussion/Streitgespräch mit Hilsberg und Meueler zum Erscheinen der Biografie 2016, die den chaotischen Prozess von Buch und Background, der für beste Ergebnisse wahrscheinlich sogar nötig war, genau wiedergibt:  

https://jungle.world/artikel/2016/24/alfred-hilsberg-christof-meueler-zick-zack-prinzip-ich-fand-das-gut-durchdacht-damals?

Schlusswort vom Hilsberg: „Aber Vorsicht bitte: Der sich bei Facebook Alfred Hilsberg nennende Typ bin nicht ich, der hat sich dank der offenen Geschäftsbedingungen bei ­Facebook eingeschlichen. Bitte also lieber direkt mit mir Kontakt aufnehmen.“

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