Produktion

WEIHNACHTSGEDICHT

Die Süddeutsche Zeitung hatte gefragt, ob auch ich für die Ausgabe vom 23.12. ein Gedicht, in dem irgendwie „Stille Nacht“ vorkommt, schreiben könnte. Folgendes fiel für mich vom Himmel:

RUHE, KINDER! JONATHAN MEESE SPRICHT IN BILD!

Stille Nacht, stille Nacht – wir hören jetzt auch einmal

wieder AC/DC, bis dass es kracht.

Heut besucht uns der Freiherr vom Karl-Theodor.

Viel Glück wünscht er uns im AC/DC-T-Shirt.

Schaut aber schon auch scheißneu aus.

Ruhe, Kinder! Marius Müller-Westernhagen spricht in BILD!

Ein Schneechaos wieder auf der Hartz 4 und

mein Kopf ist ein brennendes Auto.

Wer will das selber gestrickte Unterhemd

mit dem Aufdruck schwarz auf weiß (oder umgekehrt)

Freiherrin vom Stephanie loves u 2

beim RTL-zwo gewinnen?

Die Mutti kniet breit unterm Bäumchen und

in meinem Kopf geht es zu wie nach

der letzten Zugabe von der AC/DC-Coverband.

Ruhe, Kinder! Jonathan Meese spricht in BILD!



ROCK’N’ROLL FEVER II

Text aus dem Buch, Ergänzung zur vorhergehenden Eintragung:

RICHARD BERRY (Abb. 102) Noch ein One-Hit-Wonder. Doch bei ihm steht ein großes Werk hinter einem der besten Hits, die je geschrieben wurden: „Louie, Louie“. Der 20-jährige Sänger und Komponist hatte es 1955 in der Pause zwischen zwei Auftritten geschrieben, das Potential hörte niemand. Erst 1957 veröffentlichte er sein Original mit den Pharaos, und weil er dabei war, seinen Sound zu verändern, gab er zum R´n´B eine Spur Calypso. Als mir Guido das vorspielte, kam es mir sofort wie die beste Version vor, die ich je gehört hatte.

Die Single war nur ein kleiner Erfolg in der Los Angeles-Region, und weil Richard Geld für die Heirat mit Dorothy brauchte, nahm die Tragödie ihren Lauf: für 50$ warf er alle Rechte aus dem Fenster. Der Ruf von „Louie Louie“ verbreitete sich unter den Nightclub-Bands, ehe die Beat-Version der Kingsmen 1963 dermaßen einschlug, dass sogar das FBI alarmiert wurde. Von besorgten Eltern, die ihre Teens davon gefährdet glaubten. Im Namen von „ITOM“ (Interstate Transportation of Obscene Material) wurde der Text zwei Jahre untersucht, auch bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Berry und einige Kingsmen wurden befragt. Offizielles Ergebnis: der Song sei „unverständlich bei jeder Geschwindigkeit“; man kann sich den ganzen Ordner bei Louielouie.net bestellen. Positiver Effekt: der Spezialeinsatz wurde von Radioboykotten begleitet, was Louie bekannt, berüchtigt, gefährlich machte. Aus dem Hit wurde ein Superhit, gefolgt von hunderten Covers.

Richard Berry, „one of the great underdogs in the American music story“, konnte erst am Ende seines Lebens ein wenig davon profitierten. Aus dem Berg von Einspielungen sei auf die außergewöhnliche der 39 Clocks verwiesen, die sozusagen den FBI-Einsatz in den Partyoldie wieder einbauten und, vom Ballermann der Neuen Deutschen Welle umzingelt, ein düster hämmerndes „Psychotic Louie Louie“ schufen.



ROCK’N’ROLL FEVER

Der Band „Rock’n’Roll Fever“ mit Gemälden und Zeichnungen von Guido Sieber und Texten von mir ist ab jetzt im Handel. Edel Verlag, Caricatura Museum Edition. 240 Seiten, 348 Abbildungen, 39.90

Die Ausstellung bis Ende Januar 2011 im Caricatura Museum Frankfurt, danach in Kassel. Mehr dazu bei caricatura-museum.de und atelier-sieber.de

Erste Pressestimmen: „Kein Rocklexikon, sondern ein Buch voller Geschichten… das geht wunderbar zusammen“ (Klaus Walter). „Drastisch, fiebrig, übergenau“ (Ambros Waibel/taz).  „Zwar hat jeder schon einmal  vom großen Rock’n’Roll-Schwindel gehört, selten aber ist er von Gospel bis Prince so plakativ in Szene gesetzt worden“ (FAZ). „…enzyklopädisches Text-Bild-Kompendium aus radikal subjektiver Sicht“ (Welt).  „… mehr als eine ziemlich komische Seite“ (Frankfurter Rundschau). „****“ (von 5, Musikexpress). „Tolles Buch“ (Christos Davidopoulos/Optimal Records München).

Und nach 25 Jahren im Buchstabensteinbruch bin ich endlich erstmals hier: „Schrecklich böse, entlarvend…“ (Bild).

Als Nachtrag zu den John Lennon-Feiern dieser Textauszug: „YOKO ONO (Abb. 253) Viele werfen ihr vor, die Beatles getrennt zu haben – warum wirft niemand diversen Stones-Frauen vor, dass sie nicht die Eier hatten, die Stones zu trennen?“



GROSSER DANK IM KRANKEN HAUS

ist der Titel einer neuen Erzählung, die am Montag, 24.5., um 10.03h auf SWR2-Radio gesendet wird. Ein Abenteuer, das ich, mal wieder, nicht erfinden musste:

Ein Schriftsteller liegt im Krankenhaus, hat einen Tritt an den Kopf bekommen. Sein Gedächtnis ist beschädigt, und ihn quält die Frage, wieviel er in seinen Büchern geklaut hat. Alles? Nicht genug? „Großer Dank an Kathy Acker“  (oder Frank Schätzing etc.), lautet sein Mantra. Zugleich steigert er sich in eine paranoide Wut, er glaubt, ausgerechnet an ihm werde man ein Exempel statuieren, ihn vor Gericht zerren. Sogar die dafür eigentlich bestens geeignete Krankenschwester kann ihn nicht ablenken…



MANSON MIXA REMIX

Das Kind war das Ideal von Charly Manson und seiner Familie. Denn auf dem Kind an sich lag nicht der Fluch der Kultur. Denn die Kinder handelten spontan aus der Seele heraus.

So war das Kind das wichtigste Glied in der evolutionären Kette des Lebens nach Mansons Meinung. So war Charly ein Fan der Fortpflanzung. So waren in seiner Familie jede Form von Verhütung oder Vasektomie verboten.

Nicht selten erzählte Charly, der sich selbst auch als Man Son erkannt hatte, in seinen Predigten, dass die Frau keine Seele habe. Frauen waren überbewusste Sklavinnen, deren Pflicht darin bestand, Kinder zu bekommen und dem Mann dienlich zu sein.

Dem Schicksal gefiel es jedoch, dass es in der Familie Man Son entgegen jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung zu sehr wenigen Schwangerschaften kam, und in große Wut geriet darüber oft der Man Son.

Gelegentlich war er auch in Stimmung und befahl den besten unter seinen Mädchenjüngern, ihn an einem Kreuz zu befestigen. Sodann durchlitt der Man Son die Leiden Jesu Christi, und eines seiner Mädchen kniete vor dem Kreuz, und er stöhnte und schrie, und es wurden Tiere geopfert und ihr Blut getrunken, um dem Wunsch der Familie nach Fruchtbarkeit Ausdruck zu verleihen.

Mansons sehr persönlich gefärbte Interpretationen des christlichen Glaubens erregten auch bei deutschen Philosophie- oder Theologie-Studenten Aufmerksamkeit, die sich etwa 1968 oder 1969 zu einem sogenannten Studienaufenthalt in den Vereinigten Staaten befanden.

Einer, vielleicht der ernsthafteste von ihnen, predigte viele Jahre später seiner viel größeren Man Son Gemeinde, sie möge sich gegen die atheistischen Tendenzen in der Gesellschaft auflehnen. Denn die Hölle auf Erden sei eine gottlose Gesellschaft.

Das brachte auch etwas Freude in die karge Zelle, in der Charly Manson nun seit ebenso vielen Jahren saß. Und er küsste seinen Siegelring und betete um Frieden und Versöhnung im Zeichen des Kreuzes, an dem auch er gelitten hatte.



MISTER & MISSIS.SIPPI AM TV

sollte niemand mit entsprechendem Interesse verpassen. Vom 3.-5.4. jeweils 20.15 auf 3sat. Mein Artikel dazu in der jungen Welt vom 3.4.:

AUF DEM MISSISSIPPI NACH MARK TWAIN Volker Strübings Abenteuer als TV-Serie und Buch.

Am 21. April jährt sich der Todestag von Mark Twain zum 100. Mal. So kam die Berliner Filmproduktion MonstaMovies auf die schöne Idee, die Mississippi-Floßfahrt von Huckleberry Finn und seinem Freund Jim neu zu inszenieren. Den 3-Teiler, der vom 3.-5. April um 20.15 Uhr auf 3sat läuft, sollte man nicht verpassen.

Für alle TV-Hasser hat Drehbuchautor Volker Strübing, zudem Co-Regisseur und Hauptdarsteller des potentiellen Straßenfegers, auch das Buch „Mister&Missis.Sippi“ bereitgestellt; nur dort bekennt der Berliner Autor, abenteuer-erprobt durch viele Einsätze bei Lesebühnen und eine Antarktis-Expedition („Nicht der Süden“), was alle Couch-Kartoffeln unter den Autoren beruhigen wird: das Buch war der härtere Job.

Aber wenn man wenige Sekunden nach Beginn des ersten Teils das Floß sieht, das von der Quapaw-Canoe-Company für die 2000 Kilometer lange Fahrt von St. Louis bis New Orleans gebaut wurde, werden sich viele genau wie ich denken: Jesus, ohne mich! Lieber schreibe ich für Bild! Minuten später verüben Naturgewalten den ersten Überfall auf Floß- und Filmcrew, und man glaubt´s, wenn ZDF-Morgenmagazin-Moderatorin Patricia Schäfer, die mit Strübing durch den Film führt, sagt: „Eine Reise auf dem Mississippi ist eben keine Butterfahrt.“ Auf die Frage, warum auf dem Strom außer riesigen Transportern keine Spuren von Menschen zu sehen sind, hat Kapitän und Floßbauer John Ruskey eine einfache Antwort: „Die Leute haben Angst.“

So schippern sie runter, geplagt von Sonne und Moskitos, beseelt von Naturschauspielen, Lagerfeuerabenden und Abstechern an Land. Wo man die Qualitäten der Serie schnell erkennt: die Balance zwischen Geschichte und Gegenwart, Twain-Echo und den angenehm durch die Gegend laufenden, kommentierenden, interviewenden Schäfer&Strübing. Man hat genug Zeit für Gesprächspartner, liefert nicht die bekannten Bilder: in New Orleans gibt’s keinen Jazz, aber das Portrait einer Drag Queen. Und ausführliche Informationen darüber, wie der Hurrikan Katrina genutzt wurde für den Versuch, Sozialprojekte und missliebige, also arme Bewohner buchstäblich aus dem Stadtbild zu entfernen. Patricia Schäfer wird in Memphis zwar in einem 1955-er Cadillac herumchauffiert, aber nicht nach Graceland, während man sich fragt, warum Strübing eine Kurzausbildung bei der Müllabfuhr bekommt, ehe man erfährt, dass Martin Luther King sich vor seiner Ermordung mit streikenden Müllarbeitern solidarisch erklärte, während die blonde Patricia bei der Burlesque-Truppe Memphis Belles gestylt wird, nachdem sie den Ausführungen eines afroamerikanischen Richters über Rassismus damals und heute zugehört hat.

Das ehemals blühende Städtchen Cairo ist heute abgewrackt, aber plötzlich sieht es so aus, dass man nirgendwo anders sein möchte. Wegen der Leute vor allem. Eine Polizistin gibt ein offensichtlich nicht eingeplantes, langes, großartiges Interview. Auch das ist eine Qualität des Films, dass er nicht nur vielen Bildern unkommentierten Raum gibt, sondern allen Leuten genug Zeit, um sich auszudrücken; eine Lektion über diese einfachen Leute, die kluge Sachen sagen. Sogar der allzu typische, biedere Waffenhändler („guns don´t kill people, people kill people“) verleitet Strübing zu einem flappsigen Kommentar im Sinne Mark Twains, der meinte, Reisen sei gefährlich für „Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit.“

Es gibt eine starke Nebenfigur im Film (wie der Bob Dylan, der durch Sam Peckinpahs „Pat Garrett&Billy The Kid“ geistert), der Zeichner Matthias Seifert. Und der hat im Buch mehr Platz als im Film. Zum Glück. Denn Autor Strübing hatte nach all den Dreh- und sonstigen Filmarbeiten zu wenig Zeit, und gibt das auch zu: „Es gäbe noch jede Menge zu schreiben.“ Sein Buch ist gegenüber dem Film nur skizzenhaft, hängt zu lang an den Vorbereitungen, Nebenschauplätzen, baut nicht den Bogen, den der Film so toll schafft. Hätte die Äußerungen der Polizistin aus Cairo einfach abdrucken sollen. Aber: großer Auftritt des Zeichners Seifert. Und weil Strübing ein Autor ist, den man einfach gerne liest, selbst wenn er sein Thema eher umgeht, ist das Buch mit CD, auf der er liest, empfehlenswert, ein besonderes Ding eben.

Für Buch und Fernseh-Serie gilt, was der Fahrer des Cadillac in Memphis zu Patricia sagt: „Wenn du dir keinen Psychiater leisten kannst, kauf dir eine Flasche Whisky und geh in einen Blues-Club.“

Volker Strübing: Mister&Missis.Sippi. Buch/CD, mit Zeichnungen von M. Seifert, Verlag Voland&Quist, 176 S. Die Serie auf 3sat: 3.-5.4. jeweils 20.15 Uhr

 



DRESDEN

Der lukrativste Markt für den Dichter – abgesehen von den Coups, bei denen sich die Dichtungspolizei zu dumm anstellt, um dich einkassieren zu können – ist das Anlass-Gedicht (gibt einen Fachausdruck, den ich nicht kenne).

Bei mir ist es so, dass ich mich auf Städte spezialisiert habe. Praktisch sieht das so aus: das Kulturamt der Stadt BWL ruft mich an und bestellt ein Gedicht über ihre Stadt. Ich sage okay, fuffzehnhundert, und ca. 24 Stunden später haben sie ihr Ding. Bei der Länge vereinbare ich immer „mindestens 10 Zeilen, wobei die Leerzeilen mitzurechnen sind“.

Angefangen habe ich mit diesem auch nicht zu verachtenden Service, nachdem ich vor zwei Jahren mit diesem Gedicht angefangen und es auch gleich Erfolg gehabt hatte:

DRESDEN

Ach, du schöne Elbestadt / muss leider dir gestehn / meine bescheidene Ansicht.

Es war schon / okay & allright / dass die Bomben / am 13. Februar 1945 / über dich kamen

deine Schönheit / nur in den Schatten gestellt / von der schönen Eva Braun / neu gestaltend.

 



AUFRÄUMEN

ist soeben bei btv als Taschenbuch erschienen, ohne dass ich am Original (Kunstmann Verlag, 2008) etwas verändert hätte; im Gegensatz zu Gedichten und Short Stories, wo ich bei jedem Neuabdruck mehr oder weniger viel verändere, kann ich das bei Romanen nicht bzw. habe sogar eine innere Stimme, die das nicht erlaubt (und wer bin ich, dass ich sie ignorieren könnte?). Aber ich habe speziell für das Taschenbuch ein Nachwort geschrieben (das sich hier im Block einige technische Freiheiten rausnimmt, die ich nicht beheben kann):

EINE FUCKIN GERMAN IDEE

Aus Alienation ein Bericht von Johnny Metal :/: Im November 2006 habe ich angefangen diesen Roman zu schreiben, den ich nur ein paar Wochen im Kopf getragen hatte, und nach wenigen Seiten war der Titel glasklar. Als einige Mitarbeiter des Kunstmann Verlags die ersten 25 Seiten gelesen hatten, fanden sie auch, dass der Titel genau passte.

Mein Titel war „Strom“. Er hatte mich gepackt, als hätte ich eine Messerspitze in eine Steckdose gesteckt. Ich fand, er passte auf allen Ebenen, und vor allem passte er ideal zum Stil und der Atmosphäre, um die es mir ging; der Roman ist aus einer Vorstellung von Stil und Atmosphäre entstanden und nicht aufgrund eines aktuellen Ereignisses.

Einige Monate später setzte der Verlag einen Lektor auf mich an. Nicht irgendeinen, sondern einen speziellen, und die Idee begeisterte mich sofort. Nicht nur, weil ich Dr. Michael Farin seit vielen Jahren kannte und schätzte, als Person, Forscher, Autor und Verleger, sondern weil ich ein Buch aus seinem Verlag belleville schon in meinen Roman eingebaut hatte: „Amok“ von Lothar Adler, München, 2000. Ich weiß, dass einige Leser und Kritiker dachten, dieses Buch, das Beat beschäftigt, wäre meine Erfindung. Aber nein; und auch die Entstehung von „Alienation“ aus „Alienisation“ habe ich nicht selbst gefunden, sondern vom Zufall geklaut.

„Amok“ ist eine streng wissenschaftliche Studie, deren Ergebnisse und Überlegungen nicht leicht zu lesen und verstehen sind, wenn man selbst nicht vom Fach ist, und deshalb war meine erste Bitte an Dr. Farin, diese Stellen, die ich zum Teil zusammengefasst und manchmal auch meinem Stil angepasst habe, auf ihre inhaltliche Korrektheit zu überprüfen.

Das erste, was Dr. Farin zu mir sagte, war jedoch dies: „Dein Titel geht nicht, Strom gibt´s schon“. „Nein!“ „Doch“. Ich war am Boden. Aber es wurde noch schöner: der Gedichtband „Strom“ ging auf das Konto von Helmut Krausser, von dem der Doc, wie wir ihn nennen, nicht nur viel verlegt hat, sondern der auch ein langjähriger Freund von mir war. Krausser lachte, als er von der Sache hörte, und als wir uns dann trafen, konnte ich auch darüber lachen, musste aber sein Angebot, den Titel dennoch zu benutzen, natürlich in den Wind schießen.

„Der Titel ist mir jetzt total egal“, sagte ich zum Doc und arbeitete weiter. Bis der Doc eines Tages sagte: „Du hast ´nen tollen Titel, du hast ihn schon hingeschrieben“. „Auch okeh“, sagte ich, ohne zu verstehen, was er meinte, denn ich studierte gerade die Seiten 145 und 146 der 4. Auflage der deutschen Ausgabe von Leo Rostens „Jiddisch. Eine kleine Enzyklopädie“ (von 638 Seiten) und lachte mich (was Wunder, es ist eines der lustigsten Bücher, die auf diesem Planeten je geschrieben wurden) kaputt über den Begriff „Cholíle“ und die Beispiele dazu. Und wusste: das gefällt Kossinsky. Dem Mann, den ich komplett erfunden habe. Naja, nagut, ganz komplett auch wieder nicht. Aber das ist nun zu kompliziert für einen kleinen Bericht aus Alienation. Soviel kann ich sagen: wer die Bücher von Hans Frick (1930-2003) liest, kann da und dort ein wenig mehr über Kossinsky erfahren.

„Aufräumen“, sagte Dr. Farin. Der mir auch sonst sehr behilflich war. Viel mehr als die meisten anderen Doktoren heutzutage. Leider konnte er jedoch einige Fragen nicht für mich beantworten.

Die einfachste war noch die: warum haben Sie, wurde ich von mindestens zwei Leuten gefragt, nach dem ersten Roman – „Tollwut“ (ebenfalls bei btv erschienen) – 17 Jahre gebraucht, um einen zweiten zu veröffentlichen? Ich war a) meistens gut beschäftigt, oder b) musste mich gut beschäftigen, hatte mich außerdem c) mit einigen Romananfängen schnell gelangweilt und verweise d) auf mein Prosastück „Romanterror“ (in: „Sprung aus den Wolken“, Hamburg 1996), das sich e) etwa so grob zusammenfassen lässt: in einen Markt, in den sich jederzeit jeder Idiot nur aus Prinzip und weil der Markt das am liebsten hat mit einer mindestens 400-Seiten-Geschichte hineinschleimt, die schon mit 50 Seiten genug ausgewalzt wäre, muss ich mich nicht auch noch jederzeit mit einer etc. hineinwerfen und so tun, als hätte die Literaturarbeit nichts anderes zu bieten. Ja, ich habe den Eindruck, dass die Gefahr, bei permanenter Romanschreibarbeit leicht zu verblöden, doch etwas unterschätzt wird. Wobei man schon auch erwähnen darf, dass Johnny Metals Hobby die Selbstverteidigung ist. Wenn man keine Panzerfaust dabei hat, sollte man ihm nicht in die Quere kommen.

Die Zeit ist um. Ich habe in diesen Tagen nicht viel Zeit für Nachworte und andere Spielchen. Ich sitze seit Tagen neben dem Briefkasten und bin weder ansprechbar noch schlafbereit. Ich warte auf meinen neuen Gedichtband. Den Titel – „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“ – musste ich diesmal ohne den Doc finden. Was kann ich dazu sagen? Wer in diesem Roman die Grabinschrift mochte, wird im Gedichtband eine schönere finden.

Das sind die besten Tage, die ein Schreiber haben kann. Es sind die einzigen Tage, die in dieser Branche wirklich Freude bereiten. Man wartet auf etwas, von dem man weiß, es ist so gut wie nichts zuvor. Und für ein paar Minuten wird es dann auf diesem Planeten nur noch diese Blätter geben, die du beschrieben hast, und alles, alles, alles ist gut.

9-11-2009, 12:18 p.m.



LEE MARVINs

„Wandrin´ Star“ plätschert leicht aus der Box, morgens um 9h, da erstarrt man schon für eine Sekunde im Frühstücksraum des Hotels, und fragt sich, höre ich richtig? Und wo bin ich?

Zumal am nächsten Tisch Das plärrende Kind sitzt, und etwa einmal pro Minute gescheit plärrt. Das plärrende Kind ist so 11,5 Monate alt. Die Eltern, um die 30, sind beispielhaft geduldig. Haben aber auch sichtbar 11,5 Monate viel Geplärr mitgemacht. Und ich bin mal wieder erstaunt, dass die Menschheit noch nicht ausgestorben ist. Dass der Anblick gequälter Eltern seit Jahrtausenden keine Folgen hatte. Nicht mit mir, muss doch eigentlich jede/r sagen. Aber der Trieb. Gegen diesen Hammer kommt ja einfach gar nichts an.

Das Kindchen plärrt nervenzerfetzend, verstummt schlagartig, glotzt irgendwas friedlich interessiert an, und brüllt wieder auf, und nach Lee Marvin kommt jetzt „Bonanza“, und danach kommt  das Titel-Thema von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ich schwör´s.

Also nicht nur die Meyer´sche Buchhandlung, sondern insgesamt überhaupt ist es der reine Wahnsinn in Weißenburg. Ich glaube, es hätte auch Robert Johnson gefallen.

Für mein Patenkind habe ich einen kleinen Froschkönig aus weichem Gummi gekauft. Mein Patenkind ist erst 1,5 Monate alt. Trotzdem dachte ich, du kaufst einen Gummifrosch, der nicht quiekt, wenn man ihn in der Faust zerquetscht.



CHRISTIAN ANDERS

hatte ich aufgelegt, Single-A-Seite „Lass es uns tun“ von 1978, beim letzten Trashklubtreffen im Kreuzweise, und zwar, weil ich wie meistens der erste war und dann dachte, jetzt könnten die Kollegen langsam auch mal kommen, und weil mir Decker die Single mal geschenkt hatte – so wie er mir mal eine Platte mit Ku-Klux-Klan-Country geschenkt hatte mit seinem großen Humorverständnis -, dachte ich, wenn ich´s jetzt laufen lasse, kommt er, und so war´s auch, während der Anders lief kamen Patsch & Decker rein.

Und während der Anders lief, kam eine junge Frau zu mir und verpasste mir die schönste Anti-DJ-Attacke, die ich in ca. 15 Jahren zu hören geschenkt bekommen habe: „Bitte, bitte andere Musik, ich arbeite in einem Altenheim und muss mir sowas den ganzen Tag anhören, und wenn ich dann abends weggeh, will ich bitte was anderes hören“.

Wir lagen ihr zu Füßen, und Patsch meinte, er wünschte sich, dass er den Anders aufgelegt hätte. Aber ich war´s.

Den Trashklub machen wir nun seit 15 Jahren, und warum wir uns über den ganzen DJ-Deppenscheiß – in Folge von Ulf Poschardts „DJ Culture“ hatte das Berufsbild natürlich nichts anderes mehr verdient – kaputtlachen oder über so Ausdrücke wie Soundsystem und DJ-Namen sowieso, kann vielleicht meine so in etwa, allerdings nicht in dieser Reihenfolge, stimmende Set- bzw. Künstler-Liste dieses Abends verdeutlichen (und meine Kameraden haben es im Prinzip auch nicht anders, nur mit ganz anderen Schwerpunkten, gehalten):

Christian Anders, Kamerakino, Kraudn Sepp, Billy Moffet´s Playboy Club, Zen-Faschisten, Trash Groove Girls, Der Durstige Mann, Geile Tiere, Huah!, Wuide Wachl, Rosy Rosy (mit „Busenstar 68“ auf dringendsten Wunsch von der Julia von der Münchner Damenkapelle), Der Scheitel, Rhythm King & Her Friends, Milch, Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot, Family5, Familie Hesselbach, Geisterfahrer, Freiwillige Selbstkontrolle, Ichfunktion, Freygang, Fink, Guz, 39Clocks, Blacken The Black, The Presidents Of The United States, Fred Adrett, Wolfgang Protze & Instrumentalgruppe des Erich-Weinert-Ensembles (mit „Guten Morgen, Herr Frisör“) …

Einige der Künstler waren mehrmals zu hören, an andere kann ich mich im Moment noch nicht erinnern. Ansonsten war die Vorstellung  eigentlich ganz okay soweit.