GRABREDE FÜR NILS KOPPRUCH (25.10.1965 – 10.10.2012)

(Anrede) – Heute ist ein trauriger Tag für uns alle – einer mehr in einer Kette von traurigen Tagen, seit unser Nils vor zwei Wochen, am 10. Oktober, so überraschend verstorben ist. Wir alle hätten lieber gestern seinen 47. Geburtstag mit ihm gefeiert. Nils war ein Mensch mit einer starken zuversichtlichen Ausstrahlung. Und deshalb möchte ich mich jetzt hier bemühen, zumindest ein wenig von seiner Haltung zu übernehmen.

Wir alle können selbst an diesem traurigen Tag nicht ganz vergessen, dass wir so viel von Nils bekommen haben, das uns inspiriert, unterhalten, zum Denken angeregt, unser Leben auf irgendeine Art immer bereichert hat. Wir schätzen uns glücklich, so viele groß- und einzigartige Bilder, Songs, Schallplatten, Konzerte von ihm bekommen zu haben. Und einige, eher wenige von uns kamen angeblich sogar in den Genuss seiner Kochkünste.

Nils Koppruch wurde 1965 in Hamburg geboren, und er war schon als Kind, wie mir seine Mutter erzählte, so eigensinnig, wie wir es uns schon immer erträumt hatten: Eine seiner Höchstleistungen in der Disziplin Eigensinn war, eines Tages in der Pijamajacke seines Vaters zum Schulausflug zu erscheinen; was den Vater allerdings nicht so sehr verärgern konnte, dass er nicht viele Jahre später zusammen mit Nils bei einigen Gelegenheiten plattdeutsche Volkslieder vorgetragen hätte. Nach seinem Realschulabschluss absolvierte Nils eine dreijährige Kochlehre, ohne sich jedoch mit dem Beruf anfreunden zu können. Anschließend machte er das Abitur nach und studierte einige Semester Sport und Germanistik – ehe er herausfand, was seine Berufung war und bleiben sollte: Malerei und Musik.

Es war etwa 1990, als Nils Koppruch mit dem Alias „Sam.“ seine Bilder präsentierte; wobei es übrigens, wie mir Käthe gestern erzählte (und davon hatte ich noch nie gehört), noch eine allererste Phase zuvor gab, in der Nils Tierbilder malte und mit dem Namen „Gunnar Wiklund“ signierte. Als „Sam.“ malte er erstmal im Genre der Cheap Art. In seinem Katalog „Dilettant“ sagte er später dazu: „Natürlich wird es immer Kunst geben, die sich darüber hinwegsetzt, ihre Legitimation über hohe Preise einzufordern.“ Und beschrieb seine Position so: „Ich versuche, mich nicht zu sehr von Strömungen, Trends und vermeintlichen Erfolgsrezepten einschüchtern zu lassen. Kunst sollte selbst etwas behaupten und nicht nur auf schon bestehende Behauptungen eingehen (…) Der Anspruch, etwas wirklich ‚Neues‘ zu machen, ist, glaube ich (…) längst überholt. Also begnüge ich mich damit, etwas Eigenes zu machen.“

Ich kannte den Singer-Songwriter Nils viel besser als den Maler Sam. – aber ich kannte die Bilder, noch bevor ich Nils, nach der ersten Platte mit Fink, 1997 kennenlernte, denn zumindest bei meinen Hamburger Freunden hing ein Sam.-Bild in fast jeder Wohnung.

Ich mochte beide Männer – (und natürlich wünschte ich heute, sie wären tatsächlich zwei Menschen) –, die übrigens nicht ganz identisch waren, wie mir Nils einmal erklärte: mit Sam lebte Nils verstärkt seine fröhliche, komische, auch kindgebliebene Ader aus. Die auch beim Songschreiber vorhanden, aber doch weniger präsent war.

Als ich mich jetzt wieder einmal durch sein ganzes Werk hörte, war ich erstaunt, wie viele Songs Nils geschrieben hat, die irgendwas mit Sterben und Tod zu tun hatten. „Wir reisen hier nur durch und nehmen nichts mit… die Reise geht nur hin und nicht zurück“, heißt es in „Durchreise“, und das ist nur eins von vielen Beispielen.

Dass diese Thematik bei Nils so stark vorhanden ist, heißt jedoch nicht, dass das mit Verzweiflung oder Lebensunlust zu tun gehabt hätte, sondern mit dem Willen, Wahrhaftiges über Menschen und Leben zu erzählen, ganz im Sinn des Hank Williams-Klassikers „I´ll Never Get Out Of This World Alive“, auch wenn Tag und Stunde niemand weiß.

Neben anderen solche Songs zu schreiben und zunächst mit seiner Band Fink, dann mit Hotel Rex oder Der Wald und zuletzt mit Kid Kopphausen in dieser Art zu spielen, solche Songs in unserer Sprache so zu schreiben und so zu spielen – das hat ihm keiner vorgemacht. Das hat mich damals mit der ersten Fink-Platte buchstäblich umgehauen. Und ich schrieb damals auch dazu, es sei zugleich der Gedichtband des Jahres 1997.

Nils war – das mag zunächst wie selbstverständlich klingen – Nils war ein Mensch.

Ein Ausdruck, der im Jiddischen viel mehr als nur die Verbindung von Haut und Knochen und Gehirn bedeutet: Jeder ist menschlich, aber nicht jeder Mensch ist ein Mensch  ein  Mensch ist einer, der ein großes Herz hat. Nicht nur für seine Familie, sondern für alle sozusagen, für alles, was lebt.

Viele der vielen Einträge im Kondolenzbuch erzählen genau davon. Oder auch Tino Hanekamp in seinem bewegenden Nachruf, wenn er erzählt, wie er Nils kennenlernte: Er kam nicht in ein ausverkauftes Konzert rein, in das er unbedingt wollte, und redete mit ein paar Typen am Fenster, die er nicht kannte, und einer der Typen brachte ihm dann einen Backstagepass, und dieser Typ entpuppte sich dann als der Sänger der ihm unbekannten Vorband – das war Nils. Ein Mensch eben.

Und einer mit viel Humor. Tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, dass er bei einer unserer nicht wenigen Begegnungen jemals miese Laune verbreitet hätte. Was ja nicht heißt, dass wir immer mit guter Laune herumgelaufen wären.

Wir stehen an diesem traurigen Tag, jetzt, in diesen Minuten, an einer besonderen Stelle und befinden uns an einem besonderen Schnittpunkt: In unserer Kultur gibt es vielleicht doch zu wenig Hilfe für uns, wenn wir einen unserer Nächsten zu betrauern und zu beerdigen haben. Speziell in der afroamerikanischen Beerdigungskultur und speziell in der von New Orleans gibt es eine Sitte, an die zu denken uns heute vielleicht ein wenig hilft.

Was wir hinter uns haben, ist die 1st Line, den Gang zum Grab. Mit trauriger Musik. In Trauer. So stehen wir jetzt hier. Was wir nun vor uns haben, ist die 2nd Line, den zweiten Gang, den vom Grab weg. In New Orleans ist dieser ebenfalls unvermeidliche zweite Weg zunächst etwas fröhlicher, um dann immer mehr ein wenig noch fröhlicher zu werden, begleitet von einer Musik, die zunehmend funky wird.

Dieses Ritual dient keineswegs dazu, um möglichst schnell wieder zum normalen Leben oder sogar Partyleben übergehen zu können, sondern hat einen, wie ich finde, über alle geografischen oder religiösen Grenzen hinweg verständlichen, einfachen Grund: Die Hinterbliebenen möchten mit dieser Fröhlichkeit nach der Bestattung dem Verstorbenen den Weg in die andere Welt erleichtern, ja, sie fühlen sich sogar verpflichtet dazu. Und daran wollen wir zumindest ein wenig denken, jetzt, an diesem traurigen Tag.

Lieber Nils: Wir alle sagen: Danke für Alles! Und um es zum Abschied mit deinen eigenen Worten zu sagen: Na dann, guten Flug!

Hamburg, 26.10.2012

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