EIN AUFERSTANDENES ALBUM

kann man „They Call Us Country“ von DM Bob & The Deficits nennen. Der Artikel erschien Ende April in Junge Welt zum „letzten Konzert“ der Band, die´s schon lang nicht mehr gibt. Hallo, jetzt gibt es noch´n letztes Konzert! In Hamburg am 27. Juli an Bord der MS HEDI, welche liegt bei den St. Pauli Landungsbrücken 10 (Innenkante), 20359 Hamburg

ALBUM AUS DEM GRAB GEHOLT Völlig ahnungslos öffnete ich das Päckchen von Off Label Records, eine sehr kleine Firma aus dem tiefen Süden Germanistans, die bisher zwei Vinyl-Singles von The Dad Horse Experience veröffentlicht hat. Was mir nun erschien, war die schwere Langspielplatte „They Called Us Country“ von DM Bob & The Deficits. Und ich war gerührt.

Es erinnerte mich an diese Todesanzeigen, die bei genauerem Hinsehen keine Todes-, sondern Erinnerungsanzeigen sind. „Unvergessen“ oder sowas ähnliches steht in diesen Anzeigen, und die meisten erinnern an jemanden, der vor einem oder vor zehn Jahren verstorben ist. Vor bald zehn Jahren hat die Band aus Hamburg sich aufgelöst. „After 7 long fun but stressful years“, schreibt DM Bob in den Liner Notes.

Es muss 1996 gewesen sein, als ich zum ersten Mal ein Konzert der Garagen-Swamp-Rocker um Bob Tooke aus Louisiana überlebte, und ich kann mich an keine Band erinnern, die einen mit Cajun- und Countryklängen und -songs angeheizten funky Trash derart hinbekommen hätte. Dabei damals – wie auch jetzt – kein Gedanke an Retro, dazu war der Sound einerseits zu dreckig und zugleich verwirrend charmant. Ich weiß nicht, wie sie das hinbekommen haben, aber man kann sich zu Tode üben, ohne Soul geht wie immer gar nichts.

Die Aufnahmen, die jetzt auf LP/CD erscheinen, haben sie „vermutlich zwischen 1999 und 2002 aufgenommen“, schreibt Deutschmark, und wenn ich mich richtig erinnere, hat er mal erzählt, dass es nach den Platten u.a. für Crypt oder Voodoo Rhythm und, nicht zu vergessen, „Nikki & The Big Deficits“  mit Nikki Sudden, die neue, fünfte werden sollte, aber es fand sich kein Label. Das Zeug sei zu Country oder zu dies gewesen und dann plötzlich eben zu spät.

Natürlich ist „They Called Us Country“ nicht „zu Country“, sondern der typische Deficits-Sound über Countrysongs. Liebevoll, keineswegs kaputt, aber natürlich schon so, dass astreine Countryfans umkippen würden. Aber schon so, dass John Peel jedoch, der die Band mehrmals eingeladen hat, zum Mitsingen hingerissen war. Wenn man so will, passend zur unverwüstlich gültigen Forderung: „put the cunt back in country“. Was man bei den Deficits jedoch nie mit breitbeinig plumpem Countryrrrock übersetzt hat. Vielleicht sehen sie deshalb auf dem beiliegenden Foto eher aus wie die Mitglieder einer Sekte, die sich, möchte ich interpretieren, im Kampf gegen die Reinrassigkeit in der Musik formiert hat.

Auf dem Band-Höhepunkt mit großer Songauswahl, neben Traditionals und Tooke-Songs auch Lee Hazelwood („They Call Me Country“), Al Ferrier, Buck Owens, als Ausreißer Lou Reeds „Satellite Of Love“. Glen Sherleys absolut jugendgefährdende Verbrecherhymne „FBI´s Top Ten“ (meines Wissens der einzige Song, der schon mal veröffentlicht wurde, auf der Split-Single zu einer Split-LP von Silky/DM Bob) wurde wunderbar verdreht, aus dem „Ich“ des langjährigen Häftlings Sherley – der vor allem durch Johnny Cashs „San Quentin“-Aufnahme für ein paar wenige Tage berühmt war, dann erfolglos, unterschätzt und bald vergessen, ehe er sich mit einem Gewehr erschoss – macht Tooke eine „Sie“, die stolz auf diese Nr.-1-Position ist (fast wie ich auf diesen fast nicht zu rettenden Satz).

Das Album ist „wahrscheinlich das letzte“ der Band. Die im Hamburger Komet ebenso wahrscheinlich heute nacht ihr letztes Konzert gibt, um die „wahrscheinlich letzte“ Platte zu feiern. Nach der „wahrscheinlich letzten“ Platte ging die Musikgeschichte weiter, die von DM Bob mit The Watzloves und Jem Finer, die von Susie Reinhardt mit Hoo Doo Girl, die von Tank-Top mit Rock´n´Roll Hotel. Ein Salut auf sie alle. Und auf Off Label Records´ Johnny Hanke natürlich, der die „wahrscheinlich letzte“ Platte aus dem Grab geholt hat. Lobet den Herrn, frohe Ostern!

DM Bob & The Deficits: They Call Us Country. LP/CD, Offlabelrecords.de

Tags: