WER KENNT CREWS? (Pt 1)

Heute nachmittag im Deutschlandradio/Büchermarkt mein Beitrag über „Scarlover“ von Harry Crews. Zunächst hier im Block mein ebenfalls dort vor einem Jahr gesendeter Beitrag über Crews´ Roman „Nackig in Garden Hills“:

STRIPTEASE DER VERLIERER

Als 2006 Harry Crews´ 23. Buch erschien, wurde in der New York Times mit hochgezogenen Brauen darauf hingewiesen, dass der 71-jährige sich „mit seiner fortlaufenden Saga aus dem harten Süden“ zwar nicht den „ganz großen Ruhm“ erschrieben hat, aber den Status Kultautor. Mal sehen, was der Kult hergibt. Verdächtig genug, dass der Verlag den „Kultautor“ nicht aufs Buch druckt. Tun die doch immer. Und was bei Crews kommt, würde für zehn normale Kultautoren reichen.

Der großartige Sean Penn bekam das Geld für die Verfilmung des Romans „The Knockout Artist“ nicht zusammen, und auch ein anderer Plan, für den er Crews als Drehbuchautor anheuerte, hatte kein Glück; Crews spielte eine kleine Rolle in Penns Regie-Debut „Indian Runner“ und widmete seinem Freund den Roman „Scar Lover“.

Die Verfilmung von „The Hawk is dying“ lief 2006 in Cannes. „The Gypsy´s Curse“ (mit dem Titel „Der Fluch“ ebenfalls im mox & maritz Verlag erschienen) wurde mit Harvey Keitel, Johnny Depp und Vanessa Paradis besetzt. Die Schauspieler konnten sich  mit mehreren Dokumentarfilmen über Crews und seinen Stoff informieren: „The Rough South of Harry Crews“, „Survival is Triumph enough“, oder, 1978 von Georg Stefan Troller gedreht, „Der Süden bleibt unverweht“.

In Andrew Douglas´ berühmter Road-Doku „Searching for the wrong-eyed Jesus“, die den untoten musikalisch-religiösen Wurzeln des White Trash-Südens auf der Spur ist, erzählt Crews Geschichten und bringt die Essenz mit einem Goethe-Zitat: „Es gibt kein  Verbrechen, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dessen schuldig zu sein“. Ein zerfurchtes Gesicht, dem man´s glaubt. Gut möglich, dass der englische Filmer auf ihn aufmerksam wurde, weil  Nick Cave, Henry Rollins und Lydia Lunch seit Jahren kräftig für Crews getrommelt hatten (der also neben den Rollins/Lunch-Büchern in diesem Verlag, der sich nicht mehr MirandA nennen darf, bestens platziert ist).

Um das unvollständig zu beenden, was man nicht aufzählen müsste, wenn sich da irgendwelche Leute an Crews gehängt hätten wie Ben „Kultpunk“ Becker an die Bibel: Mit Sonic Youth-Bassistin Kim Gordon hatte Lunch die Band „Harry Crews“; während der Tournee warb sie für einen Autor, „der ungefähr zehn meiner Lieblingsbücher geschrieben hat“, und ihr einziges Album nannten sie „Naked in Garden Hills“.

Mit seinem zweiten Roman hatte sich Harry Crews 1969 als Autor etabliert. 1935 geboren, war er in ärmsten und brutalen Hillbilly-Verhältnissen aufgewachsen und mit 17 zu den Marines ausgebrochen. In der Army hatte er erfolgreich geboxt und zu lesen angefangen, „alles von Mickey Spillane und Graham Greene“, von dem er „mehr als von jedem anderen Schreiber gelernt“ hat. Er war dann 30 Jahre lang Professor für Kreatives Schreiben an der Universität von Florida (so ernsthaft wie beliebt, heißt es), ohne seine Rough-South-Umgebung je zu verlassen; beide Seiten auf dem Oberarm sichtbar: unter einem Totenkopf das Cummings-Zitat „How do you like your blue-eyed boy, Mr. Death?“ Durch seine Bücher geistern Freaks, Kampfsportler, Hoffnungslose, religiöse und Maniacs jeder Sorte. Genre „Southern Gothic“: das mystische Geheul weitererzählter Geschichten, verzerrter Realismus, rauher Humor. Sein Ruf als harter Hund wurde auch von Drogen, Alkoholismus, persönlichen Tragödien gefestigt und Reportagen in Magazinen wie Esquire oder Playboy und –girl. Ein Fan hat Crews eine tonnenschwere, großartige Homepage gebaut, aus der man einen Truck voll klauen könnte, wenn man nach dem Lesen der beiden deutschen Bücher in dieses abenteuerliche Crewsland reingezogen wurde.

 

„Nackig in Garden Hills“ ist die Geschichte eines Südstaaten-Kaffs, dessen Bewohner nach Schließung einer Phosphat-Mine aufgerieben und dann von modernen Strukturen verdreht werden: die Arbeit geht, der Tourismus kommt. Und erledigt den Rest. Und bietet Chancen: Teenager Wydalia freut sich, sie wird in der zum Go-Go-Club umfunktionierten Werkshalle tanzen. Auch ihr Vater profitiert von der neuen Entwicklung: „Er arbeitete in seinem alten Loch mit dem Bohrgestänge, das Bohrgestänge freischaufeln, außer dass jetzt kein Bohrgestänge mehr drin war, aber da machte er sich nichts daraus“, denn er wird bezahlt für die sinnlose Arbeit und „es war Anlaß für Glückwünsche. Es war Hoffnung“.

Und seine Tochter erklärt ihm dann auch den Sinn: „Du bist im Showgeschäft, Pa! Du bist in dem Loch, damit die Touristen was zum Gucken haben“.

Das ist zum Davonlaufen aktuell, und aus der Komödie, die in der Bewegung vom ausgebeuteten, abgewrackten zum aufblühenden Landstrich steckt, zerrt Crews die bitterste Verliererkomik. Der amerikanische Traum eine Fata Morgana, seine Gespenster versammelt. Der 600 Pfund schwere, fresssüchtige Fat Man beherrscht das Dorf gutmütig, hält die wenigen zurückgebliebenen Bewohner mit falschen Hoffnungen bei der Stange. Hier „war er ein Held, außerhalb von Garden Hills war er ein Freak“, das Ergebnis monströs religiöser Eltern, manischer Sammler von Büchern, die er nicht liest.

Sein Allround-Assistent ist der Jockey Jester, den manche natürlich Zwerg nennen; er war in seinem ersten Rennen für immer gescheitert, bekam sich nie wieder „in den Griff, konnte sich selbst nur mit Bezug auf Pferd ermessen“ und war eine Jahrmarktsattraktion, als er auf einem Schaukelpferd saß und ins Wasser fiel, wenn ein Baseball die Scheibe traf. Sein Gebrüll zu den Pferderennen im Fernsehen erschüttert den Ort. Seine Geliebte Lucy hat er vom Zirkus mitgebracht, „sie tanzte auf einer Tretmühle, die in einen transportablen Steg eingebaut war, der in das braune Zelt der Slideshow führte“, in der sie, „abhängig davon wie tolerant die örtliche Polizei war, mit der Vagina eine Zigarette rauchte oder sich auf einer Matte niederlegte, wo dann ein imaginärer Liebhaber von ihr Besitz ergriff“.

In der Tretmühle stecken alle, die Freaks und die Normalen, deshalb weiß man nicht, wer nun wer sein sollte. Crews beschreibt sie als Einheit am letzten Außenposten. Die Deformationen von Freaks, sagt Crews, dessen Werk aufgrund persönlicher Erfahrungen voller Freaks ist, sind eben äußerlich sichtbar, was ihr Leben so stark prägt. Dann packt das Normale Garden Hills: die Verbindung mit Außenwelt und moderner Zeit, hergestellt von der ehemaligen „Phosphatkönigin“ Dolly.  Sie hatte nie eine andere Chance, als mit ihrem Körper Geld zu machen, und aus New York bringt sie rettende Ideen mit: Tourismus, Sex, Organisation. Sie entmachtet den unbeweglichen Fat Man, der sich in einem bizarren, mit seltener Intensität beschriebenen Finale ergibt, um zu überleben. Das Dorf ist ein Zoo, als Zentrum ein Club, in dem die Stripperinnen in von der Decke hängenden Käfigen tanzen. Und „jeder einzelne von ihnen hatte die erste Lektion in Sachen Organisiertheit bereits gelernt: Gehorsam. Und sie waren entschlossen ihr zu gehorchen, denn sie hatte versprochen, ihr zerstörtes Land wieder erblühen zu lassen“.

Crews schreibt diese Geschichte eines Orts und seiner Bewohner nicht mit den klaren Stücken des sozialkritischen Romans, sondern mit den sich nur langsam verdichtenden und nie vorhersehbaren Splittern des Thrillers. Vergangenheiten, aus denen immer wieder immer mehr auftaucht, eine Gegenwart, die nach jeder Hoffnung dunkler wird. Geschrieben mit einem unheimlichen Unterton. Vergiss es, wenn du glaubst, du hast es im Griff, und wenn du glaubst, es wird besser. Könnte das heißen. In einer melancholischen Stimmung versinkt das Buch dabei nicht. Es ist etwa so, wie es der körperlich angeschlagene Crews dem New Yorker Reporter 2006 erklärte: „Es ist Zeit zu sterben, aber ich fühle mich nicht wie ein Sterbender. Ich fühle mich die ganze Zeit gut. Außer wenn nicht“.

Nach zwei Büchern bin ich mir sicher, dass Harry Crews zu den Besten der amerikanischen Literatur gehört. Und wenn Verleger Stefan Ehlert im Moment nicht mehr Bücher von Crews´ versprechen will, aber… dann ist das doch mal eine gute Nachricht. In diesen Zeiten. In denen sie ihr verdammtes Geld besser in so einen Verlag werfen sollten.

Harry Crews: Nackig in Garden Hills. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert, mit Illustrationen von Tobias Bornweilder. 224 S., mox & maritz, 2009

 

 

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