LETZTE STORIES: Q wie QUELLEN

Im Münchner Stadtmuseum ist bis 28. Juni eine Retrospektive des Fotografen Anders Petersen. Es war nicht sein Foto auf dem Tom Waits-Album Rain Dogs, das mich zu meiner Kurzgeschichte Quellen (in Letzte Stories, 2009) inspirierte, sondern der Bildband Café Lehmitz

    QUELLEN

Soll ich dir mal was sagen? Ich glaube, ich bin ganz übel verarscht worden“, sagte Margot, „aber mit mir kann man´s ja machen.“

Nicht nur mit dir, Madame, das ist die traurige Wahrheit“, konterte ich.

Margot hing wie üblich in ihrer acht-Stunden-Schicht auf der Bank und war mal wieder in der Beschwerdeabteilung tätig. Was mich mehr interessierte, war das fette Buch, das auf ihrem Schoß lag. Sah aus wie ein Bildband, und viel zu edel für so eine kleine Arbeitsmaus mit zerschrammter Leber und ohne Gewerkschaftsausweis.

Was hast´n da, hast du dem Bürgermeister sein Familienalbum geklaut?“

Das kannste mir jetzt glauben oder nicht, mir doch egal.“

Sie muckte beleidigt herum, meine Herren, trotz der vielen Schichten, die sie abgesessen hatte, war sie immer noch so sensibel wie eine Auszubildende.

Sie hatte die Bank zu ihrem Firmensitz erklärt. Der aber nicht genug abwarf, um bei einer Bank ein Konto eingerichtet zu bekommen. Wenn ich vorbeikam, überwies ich ihr eine kleine Spende, und es war mir egal, ob sie dann am Abend ihre vier Plastiktüten packte und mit einem dicken Schlitten heimfuhr. Wenn, dann hatte sie sich den Schlitten mehr verdient als jeder andere.

Sie behauptet siebenundvierzig zu sein, und dafür, dass sie der Krise länger ins Auge schaut als alle, die jetzt das Maul so weit aufreißen, dass man ihnen zehn kleine Bankerlein reinschieben könnte, hat sie sich in einer Branche mit überdurchschnittlich hohem Berufsrisiko sehr gut gehalten.

Erzählt aber fast immer, dass sie gerade verarscht wurde. Als würde sie ihre Bank dann doch für ´ne Bank halten.

Also erzähl schon, Margot, wer hat dich denn jetzt wieder verarscht?“

Keine Reaktion. Ich setzte mich zu ihr. Immerhin war es eine Bank, auf der man Klartext reden konnte.

Sag mir den Namen und ich schlag ihn aus seinem verkackten Anzug. Zum Freundschaftspreis, versteht sich.“

Dieser Typ!“, rief sie und haute mit ihren dreckigen Fäusten auf den Bildband.

Sie fing zu blättern an. Ich sah viele große Schwarzweiß-Fotos, und auf eines drückte dann ihr Zeigefinger: „Da! Das bin ich!“

Ich ging näher ran – es stimmte, sie saß in einer Kneipe am Tisch, lächelte betrunken, eine Hand an einer Bierflasche. Sie war jung, hatte so ein Hauruck in den Augen. Der Typ mit dem Kopf an ihrer Schulter war eingeschlafen, und er schien den besten Platz auf dem Planeten bekommen zu haben.

Sie blätterte weiter: „Und da und da und da!“

Die Fotos zeigten sie immer im selben Schuppen. Sah aus wie ein Treffpunkt für Barfliegen, die woanders rausgeflogen waren. Das ganze Buch war voll von ihnen.

Tolle Fotos“, sagte ich.

Vor zwanzig Jahren war das, und weißte, was? Der Kerl ist berühmt geworden! Steht da. Der hat uns alle geknipst und dann hat der Preise dafür bekommen. Findste das vielleicht in Ordnung?“

Du meinst, er hat das nicht verdient?“

Mensch, der hätte mir doch was abgeben müssen! Der hat da einen Sack voll verdient mit, und ich? Bin gearscht. Oder nicht?“

Aber du hast ihm erlaubt, dass er die Fotos macht.“

Hat doch keiner gedacht, Mensch – wenn ich das gewusst hätte!“

Du klingst wie Jesus am Kreuz, Margot. Aber da ist nichts zu machen, das passiert ständig“, sagte ich.

Ein Bekannter von mir hatte Interviews mit einem Dutzend eingebuchteter Hooligans geführt und machte jetzt einen Haufen Schotter mit ihren Ausführungen. Ein holländischer Journalist hatte sich ein paar Monate unter die Penner und fast am Nullpunkt rackernden Schrotthändler auf dieser berühmten Brücke in Istanbul gemischt und dann mit seinem Bericht groß abgeräumt. Eine andere Professionelle mit einem Theaterstück über Illegale in Deutschland, die sie aufgetan hatte, das sie auch zu einem Buch und einem Hörspiel verarbeitet hatte. Was für eine endlose Kette, mit der unendlich viele Parties gefeiert wurden.

Trotzdem“, sagte sie und gab ihrer Bierflasche einen Kuss.

Ich geb dir gratis einen guten Rat, Margot“, sagte ich und stand auf.

Das Problem in eurer Branche ist, dass ihr keine Verträge macht. Denk da mal drüber nach. Und auch über die Freiheit der Kunst. Die darfst du nicht unterschätzen.“

Schätzchen, wenn ich dich nicht hätte“, sagte sie und drückte mir mitfühlend die Hand.

„Ist doch wohl Ehrensache.“

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