NICHT TOT ZU KRIEGEN (3) / EIN SCHLAG INS GESICHT (24)

Am 10. August 20:15 im ZDF hat die Verfilmung meines Romans Ein Schlag ins Gesicht Premiere, genauer gesagt ist der Film ab 3.8. in der Mediathek. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe ich am 10.5. meine Reportage von den Dreharbeiten veröffentlicht. Hier der Originaltext, der doppelt so lang ist:

Nina Grosse verfilmt mit Iris Berben den Thriller Nicht tot zu kriegen. Nach dem Roman Ein Schlag ins Gesicht von Franz Dobler, der beim Dreh dabei war.

STARKE FRAUEN, HARTE ZEITEN

Die Tatsache, dass sich eine Geschichte in einem Genre bewegt,

schließt die Weite überhaupt nicht aus. – Roland Klick

Gerade in diesen Tagen! Das ist ein Textbaustein, den ich in den letzten dreißig Jahren so gut wie nie, in den letzten Wochen erschreckend oft benutzt habe. Vielleicht bin ich schon abhängig. Gerade in diesen Tagen: Will ich mal mit dem Glück anfangen. Das Virus kann nicht jedes Glück killen. Das wird man wohl noch sagen dürfen.

Die meisten Romanciers sind bekanntlich todunglücklich, wenn eines ihrer Werke verfilmt wurde: Diese tolle Figur fehlt und jener geniale Dialog, die zentrale Botschaft ist verdreht und vom Rest hat die Regie auch nicht viel kapiert. In dieser Situation wurde der berühmte Spruch „take the money and run“ erfunden.

Aber ich bin die Ausnahme. Ich bin glücklich damit, was meine alte Freundin Nina Grosse mit ihrem neuen Film Nicht tot zu kriegen aus meinem Kriminalroman Ein Schlag ins Gesicht gemacht hat. Ich bin nicht weggerannt, sondern ins Zentrum des Geschehens gegangen, als die Dreharbeiten dort beendet wurden, wo sich die Realität mit meinem Roman trifft, im Café Schiller am Münchner Hauptbahnhof.

In der Nacht, bevor die Filmcrew den Anfang der Schillerstraße und das Café übernehmen sollte, stand ich um drei Uhr auf meinem Balkon im Hotel gegenüber und dachte, das könnt ihr vergessen. Denn der angekündigte Orkan Sabine kam jetzt gewaltig, kein Flieger würde fliegen, kein Gerät stehenbleiben. Auch wenn immer noch ein paar Betrunkene wie üblich vor dem Schiller standen und diskutierten und schwankten, während Tonnen und Schilder gegen Wände krachten. In Münchens „Klein-Istanbul“ sieht man jederzeit viele Männer, die sich mit allen möglichen Problemen auskennen.

Sabine war heftig, aber halb so wild. Bald gingen die Flaschensammler unbeirrt ihrer Arbeit nach. Einer hatte um sieben Uhr schon drei volle Taschen, ein anderer schob einen Einkaufsroller vor sich her und zog einen nach – in München musst du schon über hundert Prozent geben, wenn du mithalten willst. Auch die Filmleute wurden mit dem Sturmchaos fertig. Und hatten viel mehr Glück, als sie und wir alle ahnten. Nur wenige Tage später kam der stille Sturm, der ihre Arbeit gestoppt hätte.

Allein schon der Gedanke langweilt mich, ich könnte hier die Unterschiede zwischen meinem Roman und Nina Grosses Drehbuch analysieren. Jedenfalls geht es um eine alternde bekannt-berüchtigte Schauspielerin, die kurz vor einem Comeback von einem Stalker attackiert wird, und ein Ex-Polizist soll den Stalker ausschalten. Der Fall führt die beiden auch zurück in die Münchner Film- und Halbwelt-Szene der frühen Siebzigerjahre, wo die Karriere des Filmstars anfing.

Nina Grosse hat diese Szene nicht mitbekommen. Wir waren beide knapp über zwanzig, als wir uns 1983 bei einem Studentenjob kennenlernten: Als Korrekturleser für die bedeutende Jura-Abteilung des C.H. Beck Verlags, wo unsere Tätigkeit ernst genommen wurde, schon ein kleiner Druckfehler konnte ein juristisches Chaos auslösen! Nina hatte grade ihr Literatur-Theater-Philosophie-Studium abgebrochen und an der Hochschule für Film und Fernsehen angefangen, und sie war so begeistert und selbstbewusst, dass ich an ihrer Karriere nie zweifelte. Während ich mit dem Traum vom Schriftsteller nur angeben konnte und keine Ahnung hatte.

Nina hat unsere Tochter auf dem Schoß geschaukelt, und nach der Premiere ihres ersten Kinofilms Der gläserne Himmel standen wir beide zuletzt fast allein an der Theke und ich konnte sie einfach nicht überreden, diesen Schein rauszurücken, den ich benötigte, um nicht zu verdursten. Starke Frau. Starker Start: Ihr Abschlussfilm kam 1987 nicht nur ins Kino, was kaum ein Studentenfilm schafft, sondern wurde mit dem Bayerischen Filmpreis für beste Nachwuchsregie ausgezeichnet; und mit einem Foto, das jahrelang in der Hochschule hing: Nina hatte sich nach der Preisübergabe schon umgedreht, als Ministerpräsident Franz Josef Strauß „genüsslich auf meinen Hintern und meine Beine schaute, ich hatte einen extrem kurzen Minirock an, und sich dabei die Hände gerieben hat.“ Ich freute mich am Fernseher wie der Teufel, und im Jahr darauf über einen kleineren Preis für mein erstes Buch.

Dreißig Jahre, über zwanzig Fernseh- und vier Kinofilme, Tatort-Folgen und zwei Serien später, war ich als Fan noch nie auf die Idee gekommen, dass die Grosse – die ich nach dem Umzug nach Berlin 1998 alle ein bis zwei Jahre traf, um ein paar gute Stunden mit ihr zu palavern – mal was von mir verfilmen könnte. Vielleicht weil ich beim Schreiben sowieso nie an Film dachte. Deshalb war ich perplex, als ich ihr meinen neuen Roman Ein Schlag ins Gesicht gab und sie mich am nächsten Tag am Telefon anbrüllte: „Doblaaa, das isses, das hab ich gesucht!“

Sie musste mich dann bearbeiten, bis ich ihr Drehbuch endlich las. „Wozu denn?“, sagte ich, „ich vertrau dir vollkommen, mach, was du willst.“ Da war das größte Problem schon erledigt, und mir ging´s nicht anders als Murathan Muslu: „Ich habe nur gedacht: Iris Berben!!!“, erzählte er mir im Interview, das wir im Lärm der Drehschlussparty führten.

Ich kenne Iris Berben, leck mich am Arsch, seit ich elf oder zwölf bin“, sagte er, „das ist einfach eine Ehre, mit dabei zu sein. Ich hab nicht gedacht, sie ist älter und ich bin jünger, sondern das ist fucking Iris Berben, hey, und ich bin dabei, das ist schön.“ Stärkere Worte des Respekts wird man von einem Ex-Rapper mit türkischen Eltern nicht zu hören bekommen.

Nicht tot zu kriegen - ZDFmediathek

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Murathan Muslu in der Hauptrolle meines Ex-Kommissars Fallner begeistert mich genauso. Ich hatte ich den Wiener gerade in der Serie Skylines gesehen, wo er als Boss eines Big-Money-Rap-Labels nochmal seine harten Rapper-Sprüche auspacken muss, von denen er sich längst verabschiedet hat, und ich hätte mir keinen anderen gewünscht. Außer vielleicht Harvey „Bad Lieutenant“ Keitel, der jedoch, bleiben wir realistisch, einundachtzig wird.

Auch bei Muslu spielte das Glück mit. Und gut für mich, dass Nina Grosse beim Interview dabei war, weil der Muslu kein Schauspieler ist, der bei sowas zur Quasselstrippe wird. „Ich bin nicht gut in solchen Sachen“, meint er; seine freundliche Art ist eher eine nett verkleidete Betonwand. Deshalb ging seine Regisseurin dazwischen, die nichts von ihrer Impulsivität eingebüßt hat: „Jetzt pass mal auf, mein Lieber. Es war ´n bisschen anders: Er wollte nicht mal zum Casting kommen! Dann habe ich aufgelegt und alle angerufen und gesagt: der Muslu macht´s nicht. Zwei Stunden später ruft mich jemand an: er kommt zum Casting. Da habe ich gesagt: nein, so geht’s nicht, wenn jemand keine Lust hat, kann ich auch nicht mit dem arbeiten.“

Für solche Krisensituationen wurden Agenten erfunden, die sich einen Schauspieler, der noch nie auf einer Schauspielschule war und gesteht, er schaue „kein deutsches Fernsehen, ich kuck kein österreichisches und kein deutsches Kino – sehr, sehr selten“, vorknöpfen und zu ihm sagen: „Nina Grosse, Nina Grosse! Kuck dir Die Protokollantin an!“

Nach 23 Drehtagen hat Muslu die Idee, er werde sich „nur noch von Nina leiten lassen“, und man kann über den Beginn einer großen Freundschaft lachen.

Diese Notizen hinzugefügt: Muslu verlässt die Party früh, kein Alkohol, ebenso Iris Berben. Beide geben mir kurz nach der letzten Klappe Interviews. Keine Pause, kein Umziehen. Nach drei Wochen permanent im Fokus sind sie erledigt. Egal, Konzentration im Partysound. Im Zentrum von „Klein-Istanbul“, so nennt der Volksmund diesen Sektor. In den er ungern reingeht.

Das legendäre Sport Café Schiller ist der Hot Spot meines Romans und des Films. Seit Neujahr ist das Café, wie wir es kannten, nur noch Geschichte. Eine schillernde Geschichte. In der Iris Berben ein wenig mitgespielt hat, damals, als die aufregenden Filme wie Rudolph Thomes Detektive mit ihr und Uschi Obermaier aus München kamen und „der Pate von München“ mehr als das Milieu am Bahnhof beherrschte, Walter Staudinger. Der damals, als sie von Hamburg nach München kam, erzählt mir Frau Berben, „ein Teil unserer Family“ wurde und bis heute „sicherlich einer meiner besten Freunde“ ist. Man muss Wolf Wondratscheks Staudinger-Biographie bzw. „Tatsachenroman“ Einer von der Straße, die der Pate persönlich beim Dichter in Auftrag gab und bezahlte, nicht kennen, um zu wissen, dass sich einer in dieser Position nicht nur Freunde macht. Besonders wenn er zuvor „einen Namen auf der Reeperbahn hatte wie ein Donnerhall“, den schon Teenager Iris vernommen hatte. Sie kannte eben mehr als die meisten anderen Girls, als sie von der Polit-Pop-Szene der späten Sechziger wie zufällig ins Filmbusiness tänzelte und von allen mit offenem Mund beobachtet wurde.

Mehr als fünfzig Jahre und tausend Berben-Filme später steht mein Mund immer noch offen, als sie ins Café Lessing, wie wir das Schiller in unseren Produktionen nennen, reinstolziert als wär´s ein Überfall. Ex-Bulle Fallner hat sie grade draußen auf der Straße gepackt (vor zweihundert Passanten) und in das Lokal gezerrt, das sie nie wieder betreten wollte. Die Szene ist abgedreht, aber die Berben im Pelzmantel bleibt in ihrer Rolle und keift uns abwartende Statisten an: „Und was ist denn mit euch in diesem Schuppen los!“

Ganz klar, Iris Berben ist diese sexy Diva-Zicke Simone Mankus, und das haben doch alle schon immer gewusst! Sie ist dieser Femme Fatal täuschend ähnlich, die noch mal alle Scheinwerfer haben will und alle fiesen Tricks kennt – und die Angst hat vor ihrem miesen unbekannten Stalker, so wie jede Frau unfassbare Angst vor einem Stalker hat, egal, ob sie ihn kennt oder nicht, und die auch Angst davor hat, dass bei der Jagd nach dem Stalker etwas aus ihrer Vergangenheit auffliegt. Hinter ihr steht Muslu, der schweigsame Ex-Bulle Fallner, der immer eine klare Komm-mir-bloß-nicht-blöd-Haltung ausstrahlt. Und versucht, sich nicht von ihren hübschen Beinen und der Diva-Show beeindrucken zu lassen … Ich bin schockiert, wie diese von mir geschaffenen und von Nina Grosse weitergeführten Figuren jetzt eine Gestalt haben. Ein irres Erlebnis. Ich möchte mit ihnen sofort reden und sie dazu bringen, dass sie mehr von sich preisgeben, alles, was ich nicht wusste, als ich über sie schrieb: „Ihr habt mir nicht alles erzählt, packt aus, mir könnt ihr alles sagen!“

Wir könnten ins Hotel Helvetia gehen, wo ich vorhin beim Frühstück mein Ei so bedächtig schälte wie Robert De Niro in Angel Heart und die Film-Lastwagen, die alles blockierten, bewunderte, und Murathan Muslu, der allein in einer Einfahrt stand und auf seinen Einsatz wartete und so aussah, als würde er in der Schillerstraße, wo sowas nicht auffällt, auf einen besseren Deal warten.

Wenn irgendwo in Deutschland in einem Viertel Menschen aus etwa 120 Nationen leben, nennen das die Deutschen Klein-Irgendwas – Bangkok, Istanbul, Kabul, egal – und möchten das Gebiet lieber nicht betreten. Es sei denn, man muss zum Zug oder nach dem Wiesnbesuch noch was trinken, in einer Table Dance Bar, im Schiller oder daneben im „Erotic Entertainment-Center“ Atlantic City. Während die Anderen kurz nach Sonnenaufgang auf einen der Typen warten, die mit einem Kleinbus kommen und dringend Arbeiter brauchen, die sie auf keinen Fall illegal übers Ohr hauen.

Andrea Langwieder kennt diese Bahnhofsgegend so gut wie kaum jemand und sagt, wie es ist: „Wir sind ja hier nicht in der Maximilianstraße.“ Sie war dreißig Jahre Chefin bei Schiller, das sie seit dem Tod ihres Mannes Hans Fretz 2001 allein führte; als alleinstehende Chefin bekam sie zwei Jahre Drohanrufe von Männern, die mit dem Café andere Pläne verfolgten. Langwieders Schiller-Gesetze waren auch für Fußball- und Wiesn-Truppen verständlich: „Jeder, der Ärger macht oder sich daneben benimmt, der fliegt sofort raus, und jeder, der sich anständig benimmt, darf bleiben, ob das jetzt der Generaldirektor von Siemens ist oder nicht, ist mir ehrlich gesagt wurst.“ Die Kündigung trifft sie hart. Obwohl ihr Arzt schon vor einiger Zeit Alarm geschlagen hat. Weil ihr ganzes Herz am legendären Lokal und dem Stressjob hängt. Sie hätte weitergemacht, nur bis September, dann werden das Schiller und die Häuser daneben sowieso abgerissen, damit München endlich sein sechstes und größtes Motel One bekommt – passend zum Großprojekt „Neuer Hauptbahnhof“, in dessen Sog noch einige etwas verlieren und nichts bezahlbares Neues finden werden.

Tatsache ist, dass ich beim Schreiben des Romans nicht an Iris Berben als Role Model dachte, sondern an weniger bedeutende oder vergessene Schauspielerinnen. Tatsache ist aber auch, dass ich ein paar Minuten an sie dachte und „Iris Berben“ tippte. Denn im Schiller hingen an den Wänden nicht nur spektakulär viele signierte Fotos von berühmten Boxern und Fußballern, signierte Handschuhe in Vitrinen, Plakate aus aller Welt und Zeitungsartikel sogar aus einer Zeit, als die Amerikaner noch glaubten, Deutschland entnazifizieren zu können, sondern an einer Stelle auch Fotos, auf denen der Gründer, Sportfan, Freund des „Paten von München“ und längjährige Geschäftsführer des Edelbordells Leier-Kasten, Hans Fretz alias „Karlsruher Hans“, mit Prominenten zu sehen war. Und von einem dieser Fotos strahlten mich Iris Berben und Hans Fretz an.

Als Nina Grosse auf der Suche nach einem Geburtstagsstoff zum Siebzigsten für Iris Berben war und etwas über die swingenden Jahre in München las und im Kapitel „Heiße Girls, coole Drinks, echte Männer“ auch noch „Iris Berben“ stand, stimmte also plötzlich alles. Und als ich hörte, dass der Star auf dem Foto diesen Film unbedingt machen wolle, dachte ich, spinnst jetzt? Der Star kann sich heute leider nicht mehr an dieses Foto erinnern. Und der Mann? Der war „eben ein Freund von Staudinger gewesen“, in dessen Kreis sie über ihren damaligen Lebensgefährten kam, den Gastro-Unternehmer Gabriel Lewy. Die Erinnerungslücken wundern mich nicht, denn es gilt die Regel: Wer in diesem heißen Post-68er-Pop-Polit-Film-Milieu dabei war und sich an alles erinnern kann, war nicht dabei. Tatsache ist, dass Iris Berben voll dabei war.

Die Politik, die Sounds, die Szenen rotierten: Hubert Fichte liest im Star-Club; Teenager Iris ist in Hamburg „auf allen Demos“ des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds dabei; Andreas Baader steht auf Londoner Diskotheken, ehe er durchknallt; Uschi Obermaier singt bei Amon Düül und übernimmt dann Iris´ Lover Dieter Bockhorn alias „der Prinz von St. Pauli“; Rosy Rosy veröffentlicht im März Verlag ihre Memoiren und singt bei Inner Space, die bald Can heißen; Hannelore Elsner spielt in einem Film von Wolfgang Staudte mit dem Boxer Norbert Grupe alias „der Prinz von Homburg“, der ein Freund des „Paten von München“ ist, der für die Eröffnung seines Striplokals Moulin Rouge Fellini-Filmstar Anita Ekberg engagiert, ehe Iris Berben für ihn nichts dergleichen macht, sondern nur für einige seiner Boxveranstaltungen „den Sieger geehrt“ hat, „ich hab dem den Preis überreicht und das nasse Gesicht an meines drücken lassen.“ In Wondratscheks Staudinger-„Tatsachen-Roman“ liest man über einen dieser Kämpfe in Anwesenheit von vielen „Freunden aus dem Milieu, schönen Frauen und stadtbekannter Prominenz“, der Pate habe sich entschlossen, dem Gegner seines kränkelnden Jungen „den Sieg abzukaufen“, und „man einigte sich schließlich auf eine Summe, die gut das Doppelte der vereinbarten Gage war.“

Soviel vom Sport, wir schalten wieder zur Party: Natürlich hat auch Iris Berben gesungen. Nicht mit Popstar Abi Ofarim, mit dem sie mal liiert war, sondern erst jetzt für den Film. Und als wär´s wirklich ihr Comeback, „Sunday Morning“ (mit der Berliner Band Gurr alias Laura Lee und Andreya Casablanca) so charmant-verspult wie 1966 das deutsche Model Nico mit Velvet Underground und – habe ich schon erwähnt, dass dies der objektivste Artikel ist, den ich je zu schreiben versucht habe? – bezaubernd.

Nicht tot zu kriegen - ZDF - 10. August 2020, 20:15 - Teleboy

c zdf / alexander fischerkoesen

In dieser glorreichen Vergangenheit, als Rolf Dieter Brinkmann mit der Anthologie Acid der deutschen Literatur den Finger zeigte, findet man jedoch auch die Erklärung, warum Iris Berben keineswegs diese Comeback-Diva ist, die sie spielt. In echt hat sie es nämlich vermieden, den Weg zum Filmclub der schönen Mädchen weiterzugehen: „Es gab so Angebote nach Rom zu gehen, und das war in einer Zeit Anfang der Siebziger-Jahre, wo einige der Mädels nach Rom gingen und mit Sicherheit keine Filme gedreht haben. Und es war auch so ´ne Zeit, wo diese deutschen Filme – das waren ja nicht mal Pornos – ja, die haben sie mir auch angeboten.“ Aber sie hat lieber „gekellnert, ich hab Englischnachhilfe gegeben, ich hab in Boutiquen gearbeitet.“ Sie war eben viel zu „anders großgeworden, um dann so ´ne Art Filme zu machen“, die sie „so spießig und so klein“ fand.

Heute ist sie die Grande Dame des deutschen Films. Weil sie diese unglaubliche Karriere würdig und gewitzt durchgestanden hat – und aus ihren frühen politischen Einflüssen eine Haltung gewonnen hat, die sie zu einer der prominentesten Stimmen gegen Antisemitismus und Faschismus werden ließen. Allein mit Kassenschlagern, Ehrgeiz und toller Figur wird niemand Ehrensenatorin der Hebräischen Universität Jerusalem oder Schirmherrin des Magen David Adom-Israel in Deutschland e.V. oder Mitglied der Jury zur Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises. Auch wenn man eine Tonne deutscher Filmpreise hat. Inklusive Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Plus neun Jahre Präsidentin der Deutschen Filmakademie.

Kein Zufall also, dass sie mit Nina Grosse unbedingt arbeiten wollte, nachdem sie 2012 Das Wochenende gesehen hatte, ihren großartigen Kinofilm über ehemals befreundete RAF-Mitglieder und -Sympathisanten und was aus ihnen Jahrzehnte später geworden ist, zwischen Knast und Landhaus, Protestbewegung und Lifestyle. Inspiriert vom französischen Wir-reden-über-alles-Filmgenre ein RAF&Talk-Wochenende auf dem Lande, das ohne erhobenen Zeigefinger lässig einen Berg teutonischen Diskussionsstoff transportiert. Natürlich hat sie auch, unvermeidlich, schwächere Filme auf der Liste, aber für dieses scheinbar frauenfreundliche „Herzkino“ hat sich Nina noch nie interessiert. Für die Bedingungen schon eher: Sie war, in den Jahren vor Berben, Vorstandsmitglied der Deutschen Filmakademie, und sie hat 2014 die Aktivistinnengruppe „Pro Quote Film“ mitgegründet, um Frauen mehr Gleichberechtigung im Filmgeschäft zu verschaffen, deren 50%-Quote an den Filmhochschulen sich in keinster Weise später im professionellen Bereich widerspiegelt. Vielleicht ist das die eigentliche Grosse-Berben-Verbindung: Eine große Klappe haben viele, aber es kommt darauf an, das Maul aufzumachen, wenn´s um was geht.

Es gab im Café Schiller eine Situation, wo die temperamentvolle Regisseurin ausrasten musste. Die 74-jährige legendäre österreichische Volksschauspielerin und Sängerin Marianne Mendt agiert etwa im zehnten Take einer Schlüsselszene, die ihr alles abverlangt und Probleme bereitet, und alle dreißig Leute im Raum spüren, dass sie jetzt auf dem Punkt ist und es hinbekommt – als lautes Handyklingeln die Aufnahme killt. Jetzt rastet die Grosse aus. Alle verstehen das. Garantiert auch die unbekannte verdammte Handysau. Tödliches Schweigen.

Und die Grosse sagt nur mit fassungsloser Wut, ohne laut zu werden: „Das ist wirklich unmöglich.“

Ich hätte geheult, Iris Berben brüllt, Nina macht sofort weiter. Und erzählt später, dass es bei einigen Drehs Probleme gab, weil sie schnell mal laut werden kann. Aber wenn sich eine in dem Gewerbe länger behaupten will, muss sie das können; genauso wie Misserfolge wegstecken, gute Ratschläge vergessen. Oder sich um ihre alte Mutter kümmern, die etwas ängstlich die Hektik im Schiller beäugt, in dem auch ein weinendes Baby nicht fehlt. Die alte Frau Grosse erzählt mir stolz, dass sie jeden Dreh ihrer Tochter besuchen durfte.

Vielleicht gilt Nina in der Branche als schwierig, und vielleicht nur deshalb, weil die Schwierigkeiten von Frauen ihr starkes Thema sind, und ohne das Etikett „Frauenfilm“. In Der verlorene Sohn versucht eine Mutter ihren zum Islamischen Staat übergelaufenen Sohn zu retten. In Die Falle wird eine reiche Unternehmerin von einem Hochstapler in jeder Hinsicht gefickt. Die Protokollantin ist eine verzweifelte Polizei-Assistentin, über die ich hier nicht mehr verrate, und Nina hat Iris, als sie jetzt endlich zusammenkamen, zur Vorbereitung den extrem schweigsamen Gangster-Klassiker Le Samurai alias Der eiskalte Engel von Jean-Pierre Melville gegeben.

Der von der Kritik gefeierte Sechsteiler „war für die Iris schon eine maximale Herausforderung“, sagt Nina. „Dass sie sich so alt und ungeschminkt gezeigt und auch die Herausforderung angenommen hat, eine böse Frau zu spielen. Wo viele meinten, das wird ihrem Image schaden, und es echt Debatten gab: Kann man das machen, beschädigt man sie? Und sie vehement sagte, nichts da, genau diese Sachen will ich jetzt spielen, ich habe ein bestimmtes Alter, habe alles erreicht, ich will jetzt dieses Wagnis eingehen.“ Diese Courage war auch bei Nicht tot zu kriegen nötig. Weil Grosse beim Thema Stalking einen Verfolger reinbringt, dem wir alle nicht entkommen: Das Alter. Und es sind sogar Szenen aus alten Filmen mit dem blutjungen Supergirl Iris Berben eingebaut, die sie sich als abgehalfterte Diva Simone Mankus mit einem Drink in der Hand gerne ansieht: Birthday Party! Echtes Herzkino!

„Aber inzwischen vertraut sie mir total“, sagt die Regisseurin, „das habe ich auch jetzt bei der Arbeit gemerkt. Früher haben wir noch viel mehr diskutiert, das ist komplett weg. Ich sage was und sie versteht mich sofort. Wir waren eine Einheit.“

Letzter Drehtag: Wir fahren im Transporter ums Eck in die Schwanthalerstraße, die noch stärker nach Interzone-München aussieht als die Schillerstraße. Weil es da keine Oben-Ohne-Unterhaltung gibt, keine S-Bahn-Passanten und Touristen. Auf den ersten Blick nur noch Geschäfte mit anderer Leitkultur. Aufgekratzte Stimmung im Transporter: Das Trio Grosse-Berben-Muslu spürt schon die Melancholie nach der Action. Die Frauen kichern und flirten den zurückhaltenden Muslu an. Er könne sich ja wohl zuletzt beschweren, niemand am Set wurde so „gepampert“ wie er! Der mit seinem Handy – er war´s nicht! – rummacht – ein gelassener Mann am Ende des Sprungbretts zu einer großen Karriere – und flüstert: „Jetzt bin ich so gepampert, dass ich meinen Text vergessen habe.“ Großes Gebrüll und Gekicher.

MOOVIE dreht für das ZDF die Hommage NICHT TOT ZU KRIEGEN mit Iris ... berben muslu grosse

c zdf / alexander fischerkoesen

Und Frau Berben schaltet angesichts der Umgebung auf Deutschtürk-Slang um: „Bin isch so gepampert, weißt du?“ Ganz wichtig, immer weißt du sagen. Sie kann den Slang, weil sie daheim in den Späti geht: „Am Anfang habe ich ein bisschen gefremdelt, bis mir dann einer mal sagte, isch sag dir was, meine Eltern sind mit dir groß geworden, weißt du, ich sach dir das ma, meine Eltern da oben, isch hab den´ erzählt, dass du zu uns reinkommst.“ Sie hat keine Scheu, sie quatscht mit Statisten, und freundlich mit der Frau, die bei einer Straßenszene reinlief und auf den Muslu losging, er solle die Frau Berben bloß nicht so fies anpacken! Sie will eben nicht als Promitusse isoliert sein – eine Sonderform von Integrationsbemühung, könnte man sagen.

Die Reputation dieser 4 Blocks am Bahnhof war in den letzten Jahren fast so schlecht wie in den besten Zeiten. Ehe die Behörden härter vorgingen und 2019 Resultate erzielten: „Die Gesamtkriminalität rund um den Bahnhof (hat) um 18,7 Prozent“ abgenommen, meldet die Süddeutsche am 26. März, nur noch „zwei Mal pro Tag machten größere Polizeieinheiten Dealern, Taschendieben und Kriminellen aus dem Rotlichtmilieu das Leben schwer“.

Mit dieser Entwicklung und den harten Jungs kennt sich die starke Ex-Schiller-Chefin Andrea Langwieder aus. Eine Anekdote von vielen: Als sie mal einen Mann im Lokal entdeckte, der unauffällig „einfach nur so“ eine Pistole in der Hand hatte, rief sie die Polizei, „und dann ist das SEK anmarschiert wie im Film, aber zuerst ins Atlantic rein, weil sie falsch informiert waren.“ Dennoch fühlte sie sich immer gut von den Behörden beschützt, die lieber sie als Schiller-Boss wollten und keine Milieu-Männer. Ihre Leute arbeiten lange, zum Teil seit Jahrzehnten im Schiller; „Six-Packs“ nennt sie ihre Security, die am Wochenende und bei Fußballknallern an der Tür stehen, die sie jedem freundlich aufhalten. Sie haben auch den großen Mann aus Afrika mit seinen Koffern reingelassen, der vom alten Kellner – wie immer in weißem Hemd und blauer Weste – mit großem Hallo begrüßt wurde, ehe er seine Ware am Tisch neben mir ausbreitete und ich morgens um drei einen Ring für meine Frau kaufte. Während mich eines schönen Abends die Dame mit dem klassischen Ost-Akzent, die selbstverständlich ein Bier ausgegeben bekam und mir dann ihr Zimmer „gleich da drüben“ zeigen wollte, zwar anmachte, vor allem aber misstrauisch machte. Ich bin nämlich keiner von diesen Heimatkrimi-Fuzzis, die eine Zivilpolizistin erst erkennen, wenn sie ihren Ausweis studiert haben, weißt du? Ja, das alte Schiller war eigentlich ein Literatencafé, und ich habe dort nicht nur mit Edo Popovic, Clemens Meyer, Andreas Niedermann oder Friedrich Ani anregende Stunden verbracht. Falls diese Helden sich von den Ausstellungsstücken losreißen konnten, um mit mir ein bisschen über Literatur zu diskutieren.

Auch keine Seltenheit, dass im Schiller gedreht wurde. Wenn etwas bodenständiges München-City-Flair gebraucht wurde. Zur Wiesnzeit und bei großen Spielen war es allerdings so voll, dass selbst der Geist von Max Schmeling keinen Platz bekommen hätte. Obwohl der Gründer Hans Fretz „fast den ganzen Schmeling-Nachlass an Büchern und Bildern“ bekam.

Nicht der einzige Nachlass, den Frau Langwieder zur Zeit inventarisiert. Muhammad Alis langjähriger Manager Kilroy „hat ja den Hans geliebt wie ein Kind“, erzählt sie, und nach Alis Tod kam Kilroys Tochter „extra von Berlin nach München geflogen und hat mir eine ganze Kiste gebracht“. 1978 hat Langwieder den sportverrückten Hans kennengelernt, als sie Pädagogik studierte und in der Nobeldiskothek Charley M jobbte. Die natürlich Walter Staudinger, „der Pate von München“ kontrollierte. Sein Freund „Hans war ein wilder verrückter Mensch, ist dann aber ruhiger geworden, hatte auf den ganzen Heckmeck mit dem Leier-Kasten-Bordell keine Lust mehr. Dann kam die Sache mit den Drogen dazu, er war absoluter Drogengegner, und dann kam ich und er hat gesagt, nö, das macht mir keinen Spaß mehr.“ Und fand diese üble Kaschemme und machte das Sport Café Schiller daraus – das Nina Grosses Ausstattungsteam wieder herstellen musste, die Atmosphäre, die Objekte, die Fotos. Jedoch ohne das originale Fretz-Berben-Foto, das ich im Roman erwähne. Das Film-Team hat das echte Café Schiller um zwei Monate verpasst.

Zu meiner Überraschung ist das Café zwar während des Drehs tagsüber geschlossen, abends aber geöffnet, obwohl Gäste auf dem Weg zur Toilette durch die Kulisse müssen. Die Film-Chefin kommt am ersten Abend rein, wir reden über alles und beobachten den Aufbau, und die Stammgäste: „Mensch, Dobler, schau dir das an, das ist es doch, wir sollten jetzt sofort drehen! Ich bin sowas von kaputt, ich sag´s dir, wir sind ja nicht mehr die Jüngsten, und jetzt noch dieser blöde Sabine-Sturm, aber alles gut, ich bin echt glücklich.“

Ich sitze in dieser Woche jeden Abend im Schiller. Esse Currywurst mit Pommes, träume vor mich hin und höre zu, wie sich welche am Nebentisch über Stellen aus der Bibel unterhalten. Sind vielleicht von der Bahnhofsmission. Ein rundlicher Mann im Anzug an der Theke und einer in diesen blauen Arbeitsklamotten. Zwei Frauen im Heavy-Metal-Style und ein freundlicher Typ, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Ich kann´s hören: Die Stammgäste freuen sich, dass hier offensichtlich alles wieder so wird wie früher. Ehe ihnen die Bardame erklärt, dass es nur für einen Film ist.

Es ist nur ein Film. Der meine alte Freundin Nina und mich und ein paar andere Leute glücklich macht. Und das ist doch ganz schön viel. In diesen Tagen. Und an den anderen auch.

THE END

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