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UNSCHLAGBARER

Titel von den Flaming Stars:

Bring Me The Rest Of Alfredo Garcia.

Gibt nichts Besseres, um den Nationalfeiertag totzuschlagen. Eine Zu-Null-Abstimmung der Blockredaktion. Haben wir Abonnenten, die das bezweifelt hätten? Möchten wir uns nicht vorgestellt haben.



ALPTRÄUME

Ein Remake von Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ ist in Arbeit. Ich schaute aus dem Fenster, der kleine rote Zug flog in die Luft. „Schießen Sie auf den Weichensteller.“ Aufwachen in Schweiß und Gezitter. Wie geht das heute mit der Weichenumstellung? „Unser Dingssystem ist abgestürzt.“ So ging´s aber weiter, die Nacht war noch nicht am Ende: Ein Remake von Sam Peckinpahs „Straw Dogs“ ist in Arbeit – update: abgefilmt ist es schon. Ich sah meine Bettdecke brennen. Wer so einen Scheiß träumt, ist wahrlich abgebrannt. Ich weigerte mich, in den nächsten Schlaf abzusacken, denn es war klar, ich würde träumen, dass alle Filme vonPeckinpah durch Remakes gedreht wurden. Warum gibt´s keine Gefängnisstrafen für solche Leute? Themen, die den Sandmann an die Tür ziehen. Ein Typ im vollgebluteten Hemd. Er legte mir eine Unterlassungsklage auf den Arsch. Was für ein obskurer Dreck. Angeblich hatte ich einen kleinen Politikverein beleidigt. Oder ihren Kulturbürgermeister. Ich dachte an Bad Lieutenant Anlicker, der auf Lippen und Hemden eine gleichbleibend aktuelle Botschaft verstreut: FUCK THIS TOWN. Ich dachte an die letzte Meldung, die unser Blockvolontär hier eingebracht hatte. Da wachte ich betroffen auf und verschwand in meinem Block. In der realen Welt gab´s nicht nur miese Nachrichten: „A big screen version of Nick Tosches´ third novel, In The Hand Of Dante, is currently in the works with director Julian Schnabel and actor Johnny Depp.“ Eine Nachricht mit 70% hochwertigem Inhalt ist eine gute. Was mich nachdenklich stimmte, war, dass mein Schlaf- und Wachleben mit Meldungen aus der Muhwiewelt durchlöchert wurde. Und dann noch der Berliner Filmer Christoph Rüter auf der Box. Wie´s mit seinem Skript vorangeht. Ich schau aus dem Fenster. Wo der kleine rote Zug grade in die Luft geht. Meine Antwort an seine Box ist kurz: „Ich hab da ´ne Idee, aber die ist nicht ganz billig.“

Photo: Lorna Doone (LORNOGRAPHY)

 



UND WAS IST POESIE?

„Fuck you, you fuckin fuckers!“

sagt  der von John Goodman gespielte Literaturprofessor in der US-Serie Treme am Ende seines Youtube-Beitrags, in dem er sich beim Präsidenten George W. über falsche Versprechungen und mangelnde Hilfe für New Orleans nach dem Hurrikan Katrina beschwert (Krimi-Autor George Pelecanos hat die Episode geschrieben), um dann in der nächsten Folge von unterschiedlichsten Leuten auf der Straße für sein offenes Wort gelobt zu werden, und schließlich auch von einem älteren Kollegen, der ihm in einem Restaurant lautstark Respekt erweist: „Fuck you, you fuckin fuckers – that’s Poetry!“ (If in doubt, fragen Sie mal den Literaturkritiker Ihrer Tageszeitung).



WAS IST BANAL?

oder auch „Ist das nicht vielleicht doch etwas zu banal?“ ist die am häufigsten aufgeworfene Frage in unserer Blockredaktion nach Feierabend, und heute lieferte Alexander Linklater den Stoff dazu.

„Anderen fehlt das Vermögen, ihre Gedanken auszudrücken“ (schreibt er in einem Artikel über die englischen Krawallisten in der SZ), und „wenn sie es dennoch tun, ist das, was dabei herauskommt, oft auf ebenso erschreckende wie komische Weise banal: <Wir zeigen den reichen Leuten, dass wir tun können, was wir wollen>, sagte ein weißes Mädchen der BBC.“

Wir hatten das Ding durch, noch ehe uns der erste Drink an den Kopf geworfen wurde: man muss es nicht gut finden, um es ganz und gar nicht banal zu finden. Und man kann´s gut finden, ohne eine Tonne wichtiger Literatur darüber befragt zu haben. Dass ein weißes Mädchen der BBC ihre dementsprechenden Seminarscheine nicht vorzeigt, ist natürlich nicht in Ordnung.



DER TOLLE ROMAN

Pony von meinem alten Freund Thomas Palzer wurde endlich wieder aufgelegt (das Original war 1994 im Bommas Verlag erschienen). Einige Freunde kommentierten ihn damals zurecht so: „Mehr als ‘Pony’ mag man ohnehin nicht von einem Autor erwarten“, schrieb Karl Bruckmaier in der Süddeutschen. Und „den jüngsten Beweis dafür, dass Münchner Literatur zur Zeit führend ist, hat Thomas Palzer geliefert mit Pony … Wie Drogenträume ziehen die Bilder vorbei“, meinte Helmut Krausser in der Vogue.

Hier der Anfang: „Vor einer Weile gab ich der lähmenden Schwüle nach und legte mich aufs Bett. Weil es das Bett war, auf dem ich lag, fing ich an, in meinem Kopf nach dem Bild einer Frau zu kramen, die ich mir nackt vorstellen wollte, nackt, mit skandalös gespreiztem Fleisch. Ich kramte und kramte, aber ich fand keines, von dem ich mich dazu aufgefordert fühlte.“
Thomas Palzer : Pony. Geschichte. Eisenhut Verlag, 2011, 2. Auflage, 140 Seiten, Br., ISBN: 978-3-942090-14-8, EUR 13,90
Seine Homepage finden Sie bei den Links rechts.


TODAY LAUT

hören ist gute Medizin gegen Angriffe von Außer- und Innerirdischen jeder Art. Today war das Soloprojekt von Thomas Ganshorn, die 4-Track-Maxisingle „Secrets“ erschien 2000 als Hausmusik-Nr.47. Ganshorn war langjähriger Schlagzeuger bei Fred Is Dead und manchmal Gast bei anderen Hausmusik-Bands, ehe er sich Richtung Krautrockotronik, so könnte man´s nennen, veränderte und dann bei Broken Radio den Drumcomputer programmierte. Auf meiner Trikont-Compilation „Johnny Cash Revisited“ sind Fred Is Dead mit „Don´t Take Your Guns To Town“ von ihrem ersten Album „… Or Just In Preparation“ (1993) vertreten; es war Thommys Arrangement und der einzige Song mit ihm als Sänger.

Die Veröffentlichung des Broken Radio-Albums „Lone Star Highway“ 2010 hat Thomas Ganshorn nicht mehr erlebt, vor einigen Jahren beging er Selbstmord, „the album is dedicated to the memory of Thomas Ganshorn.“ Und auf dem im September erscheinenden neuen A Million Mercies-Album hat Wolfgang Petters seinem alten Freund den Song „Man Behind The Drumkit“ gewidmet.

Spuren, die nicht verwischt sind.

Wegweiser: http://www.hausmusik.com/today.html, http://www.brokenradio.de/photos.html (Foto, rechts Th.Ganshorn), http://brokenradio.bandcamp.com/album/high-fidelity (Broken Radio spielt Thommys Song „The Final Waltz“), http://www.hausmusik.com/fid.html (discographie Fred Is Dead), http://www.amazon.de/boy-named-Sue-Johnny-Revisited/dp/B0000636GJ/ref=sr_1_2?s=music&ie=UTF8&qid=1312716982&sr=1-2 (30 Sek. „Don´t Take Your Guns To Town“)



NICHT DIE QUALITÄT VON JOHN FANTE

aber den unglaublich brillianten, den ganzen Horizont mit Blitzen aufreißenden ersten Absatz seines Romans Westlich von Rom hatte ich vergessen. Zum Glück sah ich zwischen dem Dutzend Gleisen vor meinen Augen eine Kiste rumstehen und sah rein, ehe jemand durchsagte, man solle keine einsam rumstehenden Gepäckstücke anfassen…

„Es war Januar und kalt und dunkel. Es regnete, und ich war müde und fühlte mich scheußlich, und meine Scheibenwischer funktionierten nicht, und ich hatte Kopfschmerzen nach einem langen Abend voll Wein und Gerede mit einem millionenschweren Regisseur, der wollte, daß ich aus dem Mord an Sharon Tate ein Drehbuch machte <in der Art wie Bonnie und Clyde, witzig und geschmackvoll>. Geld war kein Thema gewesen. <Wir sind Partner, fifty-fifty>. Es war das dritte Angebot dieser Art im letzten halben Jahr, ein sehr entmutigendes Zeichen.“

Erschienen kurz nach seinem Tod 1986, auf deutsch ein Jahr später bei Eichborn. Da ist zu ergänzen, dass bei Eichborn eben nicht nur dies und das, sondern eine ziemlich gute amerikanische Serie verlegt wurde, neben Fante auch Richard Brautigan, die Motel Chronicles von Sam Shepard und besonders zu erwähnen die Short-Story-Sammlung Blues von Wanda Coleman.

Unfassbar, dass man die 1947 in Watts geborene afroamerikanische Autorin hier nicht wahrgenommen hat. Könnte man als Angst vor den wahren literarischen Messlatten interpretieren. Mit einem Beitrag ist sie in der Anthologie L.A. Woman vertreten (Ariel Verlag, 2000), und das war´s.

Beim Abfeiern einer gewissen US-Literatur (begleitet immer wieder von Essays, die betonen, dass die deutsche Literatur doch nicht weniger unterhaltend-intelligente Autoren habe) läuft das etwa so ab, wie bei diesen TV-Musikshows über Das Beste der 80-er usw. Wenn man sich´s mal ansieht, ist man ganz perplex über die Superleistung der Macher, dass absolut nichts von den guten Sachen reingenommen wird, nur der Scheiß, der dann von entsprechenden  Sabberköpfen kommentiert wird. In den Literaturredaktionen ist man natürlich viel geschickter darin, eine Menge Mainstream-Schrott als „Literatur“ anzubieten. (Setzen wir demnächst mit Harry Crews fort).



MY PUMPGUN IS MY BROTHER

singt Prince in einem Frühwerk, und das kann man kritisieren, jedoch oft auch verstehen. Wie man auch die CSU oft versteht und jetzt ihren Dr. Goppel (oder heißt er Dr. Goppels?). Dem ultrarechten Blatt (das kürzere Wort für ultrarechts ist per Gericht dafür verboten) Junge Freiheit hat er gerade zum 25. oder 33. Geburtstag gratuliert. „Die JF wird gebraucht! … Zur Verbesserung der Sicht des ganzen Deutschlandspektrums“,schreibt Dr.Goppels „anerkennend“ (Süddeutsche) und hat mit dem zweiten Satz mehr recht als er selber denken tut.

Über irgendwas mit Schulunterrichtskram hat der Doktor angeblich seine Doktorarbeit geschrieben. Unser Blockspezialteam hat etwas recherchiert und kommt zu einem anderen Ergebnis. Titel der Dr.-Goppels-Dr.-Arbeit: „Kulturgeschichtliche Hintergründe der Hose Richard Wagners, die Dr. Goebbels eines Tages mit seinem Hund Adolf in Bayreuth kaufen ging“.

Überhaupt spielt der Hund im Leben des 1947 geborenen CSU-Politikers eine wichtige Rolle, liest man auf seiner Homepage. Das Dauergekläff seines Lieblings mag die Nachbarn stören, der Dr. Goppels aber hört´s gern: „Unser Labrador bellt unüberhörbar, wenn Gefahr droht – draußen wie drinnen.“



NOCH ZU DYLAN

ist nicht im Sinn von z.B. „Ich bin noch zu dylan, um heute schon vor die Tür zu gehen“ gemeint, sondern: ehe es hier erst wieder zu sagen wir mal seinem 75. (natürlich nur ggf., von beiden Seiten gesehen) was zu sagen geben wird, schnell noch auf vielfachen Wunsch meine Hitliste der Dylan-Covers, für die ich keine Sekunde nachdenken oder rumgraben musste und auch ehe mein Gehirn akzeptiert hätte, dass Dylan nun mit Mark Knopfler auf Tour geht, was tatsächlich nicht hier, aber dort „das Konzertereignis seit Jahrzehnten“ etc pp usw hh bzw shut up also:

1 Tobias Gruben & Die Erde: Hard Rain (=A Hard Rain´s A-Gonna Fall)

2 Jimi Hendrix: All Along The Watchtower

3 Erhard & Missouri: You Ain´t Goin´Nowhere

4 Mira Bilotte: As I Went Out One Morning

5 Albert Ayler: I Forgot More Than You´ll Ever Know About Her



MEHR DYLANOLOGY

Noch ein Dylan-Artikel, auf Papier in  junge Welt/Literaturbeilage v. 15. Juni (weil´s so schön ist, man möchte ja fast, und wäre nicht der erste, sein Leben lang nur noch irgendwie über Dylan bzw. diverse Bobs schreiben womöglich bzw. so what):

Dylan und die dünne Taxifahrerin

Bob Dylan ist ein sehr dünner Mann, aber diese Taxifahrerin vor unseren Nasen war so dünn, dass man glaubte, nicht richtig zu sehen, und mein Freund, der Autor Friedrich Ani sagte: „Ein Wahnsinn.“

Vor ihm auf dem Tisch – wir saßen draußen vor der Augsburger Bahnhofskneipe – lag das von Klaus Theweleit herausgegebene Bob-Dylan-Lesebuch „How does it feel“. Hatte ich auch grade bekommen und ebenfalls noch nicht genauer gecheckt.

Ich war etwas überrascht, dass Ani sich ein Dylan-Buch kaufte, weil er als Oberfan sicher schon eine Tonne zum Thema kannte. Irgendwann wird jemand eine Arbeit schreiben „Dylan im Werk von Ani“, hier ein Einstieg: mit „Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel“ hat er den Song „Man In The Long Black Coat“ in den Titel genommen und auch eingebaut, und am Ende des großartigen Kriminalromans heißt es: „Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, summte er A Hard Rain´s A-Gonna Fall in der Version der Rolling Thunder Revue von 1975, wie er mir anschließend nach mehreren Bieren durchaus ausführlich erklärte.“

Ani war als Teilnehmer einer Talkrunde bei den „DylanDays“ hergekommen (ich würde anschließend Musik auflegen; ich spiele als Dylanfan nicht in der ersten Liga, hatte mich jedoch rechtzeitig an das schöne Heftchen von Oswald Wiener erinnert: „Wir wollen auch vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren“). Er erzählte, dass er die erste deutsche Dylan-Biografie von Anthony Scaduto 1976 gleich mehrmals verschlungen hatte. Während ich zur selben Zeit und ebenfalls sechzehn von D. noch nicht angesprochen worden war. Inzwischen hatte ich etwas aufgeholt, allein in letzter Zeit die Neuausgabe der riesigen Shelton-Biografie gelesen, außerdem Colin Irwins Buch über das Highway 61 Revisited-Album. Im Scaduto aber nur geblättert, weil sich alles nur noch zu wiederholen schien und der Reiz der ersten Nacht nicht mehr zu haben war. Mein Kanal für Dylan-Bücher ist wohl langsam voll; die Biografie von Suze Rotolo, seiner ersten großen Muse in New York, aber sei „unbedingt“ zu empfehlen und nicht nur als Dylan-Buch, meinte Ani.

Die dünne Taxifahrerin war ein Wahnsinn, aber die Masse an Dylan-Literatur ist der echte Wahnsinn. Allein die Neuheiten seit dem letzten Jahr sind unpackbar. Man sehe sich das mal an, ein Wahnsinnsmarkt. Fühlt sich an, als würde über jede Station, alle Gitarren und Hauskatzen, jedes Album, jeden einzelnen Text/Musik/Mensch-Aspekt ein Buch geschrieben (da war die Serie zu einzelnen Songs in dieser Zeitung leider zu kurz) und dazu Enzyklopädien und immer neue Biografien. Diese Bedeutung hat Kinky Friedman (der Ex-Countrysänger, der auch mal Gast bei Dylans Rolling Thunder Revue war) in seinen Krimis als Standard-Gag eingebaut, indem er erzählte, dass sein Freund Ratso eine zehntausend Bände umfassende Bibliothek über drei Persönlichkeiten habe: Jesus, Hitler, Dylan. Natürlich hat auch der echte Larry „Ratso“ Sloman ein Dylan-Buch geschrieben.

Während die dünne Taxifahrerin inzwischen garantiert noch dünner geworden ist, kann ich nun sagen, dass das von Prof. Dr. Klaus Theweleit zusammengestellte Lesebuch in meinen eigentlich vollen Dylanbücher-Kanal gut reingekommen ist. Weil es mit seinen zwei Dutzend Beiträgen durch alles kurvt, was es so gibt, und damit maximal abwechslungsreich, also unterhaltend ist, ohne den Stoff, den Künstler, an dem sich so viele, zum Teil in Lebenswerken, abarbeiten, dadurch zu vereinfachen. Wie vom Herausgeber beabsichtigt ist das keine „Ersatzbiographie“ (und es gibt nur „eine (grobe) Chronologie“), sondern ein wildes Cruisen durch die Dylan- und die Dylanberichte-Welt. „Zwar kommt auch der Ehe- und Family-Mann vor; auch der Junge vor dem Spiegel, der das rechte Outfit prüft; aber an erster Stelle soll dies ein Buch über den Song- & Wordman Dylan sein. Für den Danceman, wie er sich auch genannt hat, waren weniger Belege zu finden.“ Womit angedeutet ist, dass Theweleit mit seiner Sammlung mal wieder – anders als einige (wenige) Texte – eine  Kopf/Bauch-Balance hergestellt hat. Musikbücher, die das nicht schaffen, will man ja nicht lesen.

Das Spektrum (ohne alle zu nennen): von Suze Rotolos Erinnerungen (sie wollte nicht als Dylan-Puppe an der Seite dieses starken Typen im aufbrechenden Starrummel verdämmern) bis zur Elke Heidenreich-Episode, wie sie (bzw. ein „Ich“) endlich in einem Jugendfreund die wahre Liebe erwischt, dank eines Dylan-Tribute-Konzerts im Fernsehen („Guck Willi Nelson an, wie der sich immer treu geblieben ist…“). Erstmals übersetzt Nat Hentoffs Portrait im New Yorker 1964, 20 Seiten klassischer Journalismus, und direkt dahinter Theweleits Analyse eines Ereignisses, das Dylan bei Hentoff erzählt: wie er bei einer Preisverleihung kurz nach der Ermordung Kennedys ausgebuht wurde, weil man dachte, er würde den Attentäter Oswald verteidigen. Ein Missverständnis, das bis heute tapfer verbreitet wird bzw. Dylan habe betrunken eben wirren Scheiß von sich gegeben. Tolle Kombination im Buch. Und immer spannend, wie sich manche Texte verzahnen, manches taucht woanders und wieder anders wieder auf. Stellen aus Sam Shepards Logbuch zur Thunder Revue, dem für mich schönsten Dylanbuch, sehr  freie, nicht so an D. klebende Doku-Poesie; Hunter S. Thompson (für seine Verhältnisse sehr verhalten, über D. als das Hippiesymbol vor dem Hippietotalausverkauf); Abschnitt aus einem DeLillo-Roman: sein D. nachempfundener Held lässt wie der echte junge D. einen Interviewer so komisch wie verzweifelt ins Leere laufen.

Das Literarische ergänzt von der Forschung: Wilfried Mellers über „Dylan als jüdischer Indianer und weißer Schwarzer“ (stolpert leider auch in diese Art Komik: „In seinen Songs hält Dylan die heikle Balance zwischen patriarchalischen und matriarchalischen Impulsen. Im wirklichen Leben scheint es ihm weniger geglückt zu sein, war er doch zu vielen der Frauen, die ihn liebten, äußerst grausam…“). Großartig dagegen Heinrich Deterings Artikel über die Inszenierung, die Details, die Anspielungen in der Radio-Show, die Dylan bis vor kurzem präsentierte. Ebenso Diedrich Diedrichsen (über D. als Pionier neuer Formate) oder Sean Wilentz über Aneignung, Klauen, Fortführen, Bewahren, Montieren.

Unter den Respektsbezeugungen ist Theweleits eigene die stärkste: Was er an Dylans Kunst bewundert, ist dessen „umfassendere Wirklichkeit“, die „die Welten der Objekte, der Bilder, der Gefühle, der Räusche und insbesondere des Traums gleichermaßen“ einschließe, und das sei „nicht zu finden in den Büchern unserer Top-Ten-Philosophie-Beamten…da ist eher kühles Valium…verabreicht Lesern, die die Power des (Sur)Realen nicht ertragen…“, das sei „Entertainment für Anspruchslose. Ich jedenfalls tausche den ganzen Suhrkamp-Laden gegen die gesammelten Columbia Records.“

Wie auch immer, Friedrich Ani und ich mussten dann also los, und ehe uns jemand zuvorkommen konnte, nahmen wir das Taxi der dünnen Taxifahrerin. Wir stiegen ein und sie stellte das Taxifunkgequäke aus. Wir fuhren los und sie drückte auf die Play-Taste. Und dann hörten wir „Man In The Long Black Coat“. Und wir schauten kurz auf zum Himmel, ob da ein Zeichen zu entdecken war, ich glaube, so war´s.

„Soll ich ausmachen oder vielleicht lauter?“, sagte die dünne Taxifahrerin.

„Unbedingt“, sagte Ani.

Klaus Theweleit: How does it feel. Das Bob-Dylan-Lesebuch. Geb., 302 S., viele Fotos. Rowohlt Berlin, 2011

Friedrich Ani: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel. Knaur Taschenbuch, 190 S., 2005