Allgemein

PRESSEMITTEILUNG DES AUGSBURGER FLÜCHTLINGSRATS

Mittwoch, 2. März 2022

Pressemitteilung anlässlich der aktuellen Situation in der Ukraine und Europa — 03.03.2022

In der Ukraine herrscht Krieg, zahlreiche Tote und Verletzte sind zu beklagen – auch in der Zivilgesellschaft. In den umkämpften Gebieten werden Wohnhäuser und die öffentliche Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen, zum Teil komplett zerstört. Unzählige Menschen befinden sich auf der Flucht, laut UN-Flüchtlingshochkommissariat sind bis 03.03. bereits ca. 875.000 Ukrainer*innen über die Grenzen geflohen. Ihr Weg führt sie fast ausschließlich auf das Territorium der EU, hauptsächlich nach Polen, aber auch nach Ungarn, Rumänien und in die Slowakei. Zugleich wird eine Rüstungsspirale in Gang gesetzt, in deren Dynamik der 100 Milliarden umfassende Sondertat der deutschen Bundesregierung ein vorläufiges trauriges Highlight darstellt.

Während hierzulande angeblich seriöse Medien von einer neuen Runde im Kampf der Kulturen schwadronieren und ihren Huntington aus dem Regal kramen, zeigen zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort und im restlichen Europa, was Solidarität und Mitmenschlichkeit bedeuten. In beeindruckendem Tempo werden Decken, Schlafsäcke und Zelte gesammelt, Essen gekocht, Mitfahrgelegenheiten und Schlafplatzbörsen organisiert. In der russischen Zivilgesellschaft regt sich zudem immer mehr Widerstad gegen das politische Regime und seinen Krieg. Es ist wunderbar, all das in diesen Zeiten zu beobachten.

Auch die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten wollen dem in nichts nachstehen und verkünden vollmundig eine umfassende Aufnahme der aus der Ukraine fliehenden Menschen und versprechen ihnen beschleunigte Verfahren. Die EU möchte erstmalig die sogenannte „Massenzustrom“-Richtlinie aktivieren, die Kriegsflüchtlingen ohne ein aufwendiges Asylverfahren Schutz garantiert. 

Diese Kehrtwende der Mitgliedsstaaten und der EU-Bürokratie sind unbedingt zu begrüßen. Es muss momentan alles daran gesetzt werden, die Kriegshandlungen auf dem Territorium der Ukraine zu beenden und den Betroffenen schnellen, unbürokratischen und umfassenden Schutz zu gewährleisten!

Und doch versetzt uns diese Kehrtwende auch in ein gewisses Erstaunen und Fassungslosigkeit. Gerade noch blockierten Staaten wie Polen die Aufnahme von Flüchtenden an der Grenze zu Belarus. Tag für Tag sind Push-backs, Gewalt und Tod im Mittelmeer oder etwa an der griechischen Außengrenze auf der Tagesordnung. In Syrien herrscht nach wie vor staatlicher Krieg gegen die eigene Bevölkerung und die kurdisch verwalteten Regionen stehen unter dauerhaftem Beschuss von mehreren Seiten. Von dort, wie auch aus vielen anderen Regionen machen sich Menschen tagtäglich auf gefahrvolle Fluchtwege und die EU kennt in aller Regel kaum Erbarmen. In Libyen sorgt bspw. eine sogenannte Küstenwache mit Unterstützung und unter expliziter Tolerierung der EU für Leid und Elend – und insbesondere dafür, dass sich so wenige Menschen wie möglich auf die Bootsfahrt Richtung Europa machen.

So sehr wir vor diesem Hintergrund die unbedingte Aufnahmebereitschaft und Versorgung ukrainischer Geflüchteter begrüßen, kritisieren wir zugleich die Selektivität der EU im Umgang mit Menschen, die unter Krieg und Perspektivlosigkeit leiden. Eine Selektivität, die sich übrigens trotz aller Bekundungen einer allgemeinen Aufnahmebereitschaft schon jetzt an der polnischen Außengrenze zu reproduzieren scheint: wie die Tagesschau und andere unabhängige Beobachter*innen berichten, wurden Menschen nicht-weißer Hautfarbe offenbar an der Einreise gehindert.

Wir schließen uns dem Plädoyer der im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet tätigen, flüchtlingssolidarischen Organisation Ocalenie aus Polen an: Wir möchten in einem Land leben, in dem Flüchtlinge nicht nach Hautfarbe, Glaube oder Ethnie unterschieden werden!

Wir fordern: Öffnet die Grenzen für alle von Krieg und Perspektivlosigkeit betroffenen Menschen – egal welcher Herkunft!

Aktuelle Informationen und Zahlen finden sich bspw. beim UNHCR oder dem Mediendienst Migration.

 Berichte von der ungarisch-ukrainischen Grenze finden sich u.a. bei Bordermonitoring.



WAS AUCH GESAGT WERDEN MUSS

hat Dominic Johnson in der taz gesagt: „Auf der Flucht sind nicht alle gleich / Europa misst beim Umgang mit Geflüchteten mit zweierlei Maß. Die Ukrainer werden warmherzig empfangen – Menschen aus anderen Regionen nicht.“

https://taz.de/Europas-Fluechtlingspolitik/!5835227/



AUS GUTEN GRÜNDEN

So wahnsinnig tolerant wie unsere Redaktion ist, nehmen wir sogar politische Einschätzungen aus den speziellen Denkräumen so ernst, dass wir drüber nachdenken. Einer der Anführer der Corona-Opfergruppen, Anselm Lenz (nach eigenen Angaben Journalist und Verleger), ist bekanntlich vielseitig informatiert, hier sein Analyse zur aktuellen Lage:

„Am allermeisten braucht der niedergehende US-Nato-Raum diesen Konflikt, um seine eigenen Probleme im Inneren zu überdecken, darunter den lügnerischen und menschenverachtenden Corona-Putsch.“

„Ich möchte doch aus guten Gründen vorschlagen“, sagt meine Oma, „dass von diesen 100 Milliarden des neuen Militärhaushalts 10 Milliarden für die direkte Nazi-Abwehr verwendet werden, ich meine, das gehört doch eh dazu.“ (Aber auf sie hört niemand, weil sie natürlich total dement ist.)



NICHTS ZU SUCHEN

Meinen Freund und Kollegen Jan Off zitiere ich nicht nur, sondern ich unterschreibe: „Höchste Zeit, dass sich auch Künstler*innen endlich wieder politisch einmischen. Dieses ständige Kreisen um die eigene Befindlichkeit muss ein Ende finden. Auch von der linken Szene erwarte ich ein starkes Signal. Wer den territorialen Raubzug Putins auch nur ansatzweise toleriert oder entschuldigt, hat im progressiven Lager nichts zu suchen.“



BEFREIUNG

Presse-Erklärung des PEN-Zentrum Deutschland:
„Wir sind glücklich, den verfolgten ugandischen Autor Kakwenza Rukirabashaija in Deutschland begrüßen zu können. Heute ist unser Kollege sicher hier angekommen, er befindet sich in der Obhut von Freundinnen, Freunden und des PEN.
Kakwenza Rukirabashaija wurde Ende Dezember 2021 von Personen ohne Ausweis und Uniform und ohne Haftbefehl aus seinem Haus brutal verschleppt. Zwei Wochen lang wurde er gefangen gehalten und schwer gefoltert. Seinen eigenen Eindrücken nach geschah dies in einer Kaserne der ugandischen Armee im Süden der Hauptstadt Kampala. Danach wurde er ins Hochsicherheitsgefängnis Kitalya verlegt. Nachdem ein Gericht entschieden hatte, ihn gegen Kaution freizulassen, wurde er erneut verschleppt und streng verwarnt, weder je wieder ein Buch zu schreiben, noch über seine Verschleppung und Folter zu sprechen. Anschließend konnte er nach Hause zurückkehren.
Die Staatsanwaltschaft wirft Rukirabashaija vor, durch seine Kommentare in sozialen Medien „den Frieden Seiner Exzellenz des Präsidenten der Republik Uganda, General Yoweri Kaguta Museveni, ohne den Zweck einer legitimen Kommunikation zu stören“. Der abstruse Vorwurf ist bezeichnend für den Charakter des Museveni-Regimes.
Seit der zweifelhaften Wiederwahl des seit 1986 regierenden Präsidenten hat die Unterdrückung von Oppositionellen und Kritikern im letzten Jahr an Intensität und Gewalt zugenommen. Es mehren sich auch ernstzunehmende Berichte über Folter. Der Fall Rukirabashaija hat die internationale Aufmerksamkeit auf diese Zustände gelenkt.
Nach der Veröffentlichung seines Bestsellers „Der gierige Barbar“, einer satirischen Erzählung über Korruption in einem fiktiven afrikanischen Land, wurde Kakwenza Rukirabashaija in Uganda erstmals verhaftet. Im vergangenen Jahr wurde er mit dem internationalen PEN-Pinter-Preis in der Kategorie „Mutigster Schriftsteller“ ausgezeichnet, nach seiner letzten Verhaftung ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum im Januar 2022 zum Ehrenmitglied.
In den letzten Wochen hat sich das deutsche PEN-Zentrum intensiv für Rukirabashaijas Freilassung eingesetzt. PEN-Präsident Deniz Yücel erklärte: „Wir sind sehr froh, dass unser Engagement für unser Ehrenmitglied ein gutes Ende genommen hat. Wenn autoritäre Regime prominente Kritiker verfolgen, geht es nie nur um den Einzelnen, sondern stets auch darum, ganze Gesellschaften einzuschüchtern. Darum betrachten wir unseren Einsatz für Rukirabashaija als Beitrag für die Freiheit des Wortes, in Uganda und überall auf der Welt.“
Das deutsche PEN-Zentrum dankt PEN International sowie den beteiligten Freundinnen und Freunden, die in den vergangenen Tagen und Wochen dazu beigetragen haben, Rukirabashaija aus den Fängen seiner Peiniger zu befreien.
Yücel wird Rukirabashaija an diesem Mittwoch an einen sicheren Ort bringen. Er braucht zunächst medizinische Versorgung. Sobald er sich hinreichend von den unmittelbaren Folgen der Folter erholt hat, wird Rukirabashaija sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Der PEN wird ihn auch weiterhin unterstützen und ihn als Stipendiaten in sein Writers-in-Exile-Programm aufnehmen.“


EINSAMER NSU 2.0 EINZELTÄTER

Zum Prozessauftakt gegen den „NSU 2.0“-Verbal-Attentäter sagt die Staatsanwältin, es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Frankfurter PolizeibeamtInnen involviert waren. Im langen Artikel in der Süddeutschen vom 15.2. (nicht online) ist Annette Ramelsberger, die sich schärfer und genauer als alle anderen Journalisten dazu äußert, anderer Meinung:

„Denn die Ermittlungen haben durchaus etwas ergeben. Das hessische Landeskriminalamt hat einen der Frankfurter Polizisten [von denen sechs „nach wie vor suspendiert“ sind] mit Indizien geradezu umstellt. Der Polizeikommissar, der genau zu der Zeit in der Polizeiwache in Frankfurt Dienst tat, als die Daten der Anwältin ausgelesen worden waren. 33 Jahre alt, mit Hitlergruß auf dem Handy und dem gleichen Sprachgebrauch wie NSU 2.0. Und: Der Polizist hat offenbar versucht, sich für die Zeit des ersten Drohfaxes ein falsches Alibi zu verschaffen … er war angeblich zum Zeitpunkt des Drohschreibens auf einem Einsatz. Aber die Ermittler fanden heraus: dieser Einsatz ging erst 48 Minuten später los. Der verdächtige Polizist oder sein Kollege im Streifenwagen hatten die Unterlagen offenbar manipuliert.“

Und das noch: „Immerhin mauerte die Frankfurter Polizei bei den Ermittlungen in Sachen NSU 2.0 so sehr, dass sie nicht einmal das zuständige Landeskriminalamt über den rechtsradikalen Chat der verdächtigen Kollegen informierte. Vergangenes Jahr wurde dann sogar das Frankfurter SEK aufgelöst, weil es zu viele rechte Umtriebe gab.“



EINZELTÄTER AUSPACKEN

„Ein Mann allein soll die mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Drohbriefe versandt haben. Dafür steht er nun vor Gericht. Die Betroffenen glauben jedoch nicht an die Einzeltäterthese …  Über Jahre standen die hessischen Sicherheitsbehörden selbst im Verdacht, mindestens Ausgangspunkt der Drohungen zu sein, schließlich war nachdem die Abfrage von persönlichen Daten Basay-Yildiz‘ in einem Frankfurter Polizeirevier bekannt geworden war, eine rechtsextreme Chatgruppe bestehend aus Polizisten just jenes Reviers aufgeflogen … Kurz vor Prozessbeginn gaben … eine Erklärung ab, in der es heißt, es sei „ein Skandal, dass die Ermittlungen gegen einen vermeintlichen Einzeltäter geführt wurden“. Der „NSU 2.0“-Komplex sei mit der Festnahme des Angeklagten „nicht aufgeklärt“, es gebe „zwingende Hinweise auf mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen.“ … Für den zweiten Verhandlungstag, den Donnerstag, wird eine Einlassung des Angeklagten erwartet.“ – (Es könnte auch die Frage auftauchen, wenn auch nicht vor Gericht, das ist klar, ob NSU 2.0-Hintergründe auf NSU-Hintergründe verweisen könnten.)

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsu-2-0-verfahren-beginnt-kann-der-prozess-die-fragen-klaeren-17808498.html



INDIZIERT AB 18 VERBOTEN

Arte zeigte neulich den Splatter-Klassiker „Day of the Dead“, aber dann auch ganz schnell wieder nicht. Aus der Mediathek wurde sogar der Programmhinweis gestrichen. Dem Sender war wohl nicht bekannt, dass der Film in Deutschland nicht nur indiziert, sondern regelrecht verboten ist.“ Thomas Groh geht es in seinem Essay nicht nur um die §131-Liste, sondern die Frage, was ist gewaltverherrlichend? Gestern, heute? Nicht nur der Vorabend-Krimiberg?

https://www.perlentaucher.de/essay/ueber-die-anhaltenden-indizierungen-und-verbote-von-splatterfilmen.html

Natürlich wird da auch der aktuelle Fall Tennessee gegen Art Spiegelmans „Maus“-Holocaust-Comicroman einbezogen, den man als gutbürgerlichen Nazi-Anschlag bezeichnen muss – hier mehr dazu:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/art-spiegelman-zur-streichung-seines-schoa-comics-vom-lehrplan-17788665.html



MEINE ANWÄLTE SAGEN

ich solle mich emotionaler Kommentare enthalten, zitieren reiche doch:

„Da müssen sich unbescholtene Bundeswehr-Offiziere wie Marcel Bohnert von super Holocaust-Überlebenden und deren PR-Abteilungen in der ARD in die braune Ecke treiben lassen, jedem Corona-Demonstranten wird die Nähe zu mitlaufenden irren Rechtsradikalen angekreidet, aber links gibt es kaum Abgrenzungen zu verfassungsfeindlichen Rändern“.

Kommentiert Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt am 6.2. einen Beitrag von Innenministerin Nancy Faeser von 2021 im Magazin Antifa der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten).

Während die Frankfurter Rundschau eine „rechte Hetzkampagne“ gegen Faeser konstatiert (7.2.), die man auch als super rechte Hetzkampagne bezeichnen könnte. Und man das Süddeutsche Zeitung Magazin nachträglich beglückwünschen darf, 2000 von seinem Chefredaktor Poschardt befreit worden zu sein, was super war, aber leider nicht nachhaltig super genug.



GOOD NEWS NOT DEAD

„Neapel (dpo) – Sie machen es jetzt wie die Profis: Weil ihre Mitglieder von der ständigen Strafverfolgung durch die Behörden die Nase voll haben, hat Italiens Mafia heute angekündigt, Verbrechen in den eigenen Reihen künftig nach dem Vorbild der katholischen Kirche selbst aufzuarbeiten, ohne dass sich Polizei oder Staatsanwaltschaft einmischen.“ (meldet Der Postillon heute)

https://www.der-postillon.com/2022/01/mafia-kirche.html

Classic Movie Poster REDUX: Abel Ferrara's "Ms. 45" [1981]