Bildung

MIT ACTION & DYNAMIT

hat die Kunst des Appenzeller Bildhauers Roman Signer meistens zu tun. In der Münchner Galerie Häusler Contemporary kann man sich bis zum 5. September seine Ausstellung “Der letzte Schnee – Neue Skulpturen und Fotografien” anschaun.

Ich bin seinem Werk zum ersten Mal begegnet, als ich mit dem Schriftsteller Andreas Niedermann 2003 in der Lokremise St.Gallen saß, die den damals 65jährigen Signer groß präsentierte. Am selben Tag war Johnny Cash gestorben, der uns beiden was bedeutet, und wir unterhielten uns mit dem Journalisten Marcel Elsener im Biergarten darüber, während eine Signer-Skulptur in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen ballerte, eine Art Kuckucksuhr ohne Kuckuck. Bei einigen Räumen wurde davor gewarnt, sie mit einem schwachen Herz zu betreten.

Anders ausgedrückt: “Mit ihrer abwechslungsreichen Kombination von dreidimensionalen Objekten, Live-Action, Standbildfotografie und filmischer Dokumentation umrahmen Signers Zeitskulpturen Episoden, die von der Eindämmung und Freisetzung von Energie handeln, stets mit Raffinesse, häufig mit fesselnder, epigrammatischer Rasanz und unwiderstehlichem Humor” (Rachel Withers, auf der Homepage Romansigner.ch).

Und in der in Esslingen und St.Gallen 2007 gezeigten Ausstellung “Brave Lonesome Cowboy – Der Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst oder: John Wayne zum 100. Geburtstag” habe ich Signers Skulptur “Sechs Schüsse” gesehn, sechs silberne Fässer, die das Magazin eines Sechs-Schüssers symbolisierten. Sie sahen aus, als würden sie gleich das ganze Gebäude flachlegen.



EIN GROSSARTIGES NETZRADIO IST BYTE.fm

und das 24 Stunden täglich. Zur DJ-Besetzung gehören Klaus “Der Ball ist rund” Walter, DM “Prince of Swamp-Soul-Countryrock” Bob und Susie “Hoodoo Girl” Reinhardt. Eine bessere Werbung kanns kaum geben.

Beim Blick in die Tiefe des Raums.



DER JÜDISCHE FRIEDHOF

in Bialystok sieht, das ist normal, im Gegensatz zu christlichen Friedhöfen trist aus. Keine leuchtenden Blumen, nicht die vielen, wie frisch geputzt aussehenden Grabsteine, nicht die Atmosphäre der fröhlichen Kleingartenanlage.

Dann erkennt man schnell, dass hier lange niemand mehr beerdigt wurde. Und dann erkennt man, dass der erste Eindruck – es sieht aus wie nach einem Kampf – richtig war: Viele Grabsteine wurden von ihren Sockeln gestürzt, viele mit SS-Zeichen beschmiert, viele Flaschen wurden zerschlagen. Trist ist ein viel zu schwaches Wort für die Atmosphäre…

Man möchte einen Turm sehen, in dem oben, geschützt vor Regen und mit ‘nem guten Ofen und immer bestens verpflegt, ein Mann mit einer Maschinenpistole seinen Dienst tut.

Der Gegensatz zu den christlichen polnischen Friedhöfen könnte krasser nicht sein, sie sind noch schöner hergerichtet als die deutschen. Man baut gern ein Zäunchen um das Grab, das von einer schönen Platte bedeckt ist, und wenn Platz ist, ist der Platz um das Grab gepflastert, und wenn Platz ist, steht innerhalb des Zauns ein Bänkchen.

Doch die Päpste kommen und gehen – aber die Toten sprechen mit niemandem und sie sehen die Blumen nicht.

Die Hälfte der Bewohner der 120000-Einwohner-Stadt Bialystock waren Juden. Dann kamen im September 1939 die Deutschen; und als sie im 27. Juni 1941 zum zweiten Mal kamen, räumten sie richtig auf, ermordeten allein am ersten Tag 2000 Juden. “Am 1. August wurden ca. 50000 Juden in ein mit Stacheldraht umgebenes Ghetto eingewiesen, das unmittelbar an kriegswichtige Industrieanlagen grenzte, in denen sie arbeiten mussten”.

Zwei Jahre später, im August 1943, bekam der Nazi Odilo Globocnik den Auftrag, das Ghetto aufzulösen. Die Aufständischen des Ghetto Bialystock, angeführt von Mordechai Tenenbaum, waren zu schlecht bewaffnet, um eine Chance zu haben, “und die SS-Einheiten waren durch die Erfahrungen in Warschau gewarnt”: und eine Woche später hatten sie ihren Job anständig erledigt.

Heute ist im Viertel des ehemaligen Ghettos keine Spur davon zu finden, kein Schild, kein Stein, keine Platte in einer Hauswand. Im Militärmuseum hängen ein paar Pläne und amtliche Schreiben mit Namen und Fotos.

Chaika Grossmann, die mit 20 Jahren als Kurier zwischen Ghetto und Außenwelt fungiert hatte, schrieb ein Buch darüber. Darauf bezieht sich ein Aufsatz von Klaus Bittermann: “Partisanen – Zwei Kapitel aus der Geschichte des jüdischen Widerstands”.

“Trotz der in Deutschland so beliebten Tätigkeit des ‘Erinnerns’ war der gebührende Abstand von 44 Jahren notwendig, bis das Buch auf Deutsch erscheinen konnte, genauso lange wie die zu erwartende Lebenszeit der an den Greueln in Bialystock und anderswo Beteiligten”.

Genauer nachzulesen in Bittermanns Buch “Strandgut der Geschichte. Siebzehn Entführungen” (belleville, München 2001).

In dem Seile über große Entfernungen verknüpft werden, von Johnny Rotten bis zum Gangster Moose Malloy. Was hat dies und das und die Ghettogeschichte miteinander zu tun? Ich weiß es nicht genau – aber es sieht nach einer Materialsammlung dessen aus, was man (und jetzt wieder nicht so selten) ENTARTET nennt.

Hätte ich fast vergessen: Heute leben keine Juden mehr in Bialystock.
Und bei schlechter Laune könnte man hinzufügen: deswegen trifft man auch keine deutschen Touristen.



IM GEBURTSHAUS VON KLAUS KINSKI

in Sopot, Kosciuski 10, befindet sich seit 1997 die Bar & Galerie Kinski. Man kann essen Bogracz Transylvanski, Pieszcochy Kinskiego oder Nosferatu Toast. Das Biergemisch Nosferatu enthaelt Grapefruitsaft und drei Scheiben Orangen.

Der gute Klaus aber haette vielleicht einen Wutanfall bekommen, weil von ihm, zwischen historischen Film- und Fotoapparaten und Bildern, nur zwei Fotos zu bewundern sind.



IN DER SONDERSCHULE VON GEORGE TABORI

habe ich einmal sein dürfen. Als ich 1989 eine Hospitanz am Schauspielhaus Dortmund machte, bei Guido Huonder, der George Taboris Montage-Stück ‘Masada’ inszenierte.

Das Stück greift die historische Situation auf: die jüdischen Widerstandskämpfer in der Festung Masada werden von römischen Truppen belagert, und haben keine Chance.

Zu der Zeit ging etwas mit einem RAF-Hungerstreik durch die Medien, und Huonder brachte dieses Thema mit hinein, obwohl er mit kaum einem Satz einen deutlichen Bezug herstellen konnte – mit den Bildern war er deutlich genug. Die Inszenierung war nicht nur anstrengend, sondern auch wie ein Faustschlag ins Hirn.

Parallel dazu inszenierte der Schweizer Regisseur, der damals das Dortmunder Haus leitete, Taboris Stück “Mein Kampf”, das vom jungen Adolf Hitler in Wien erzählt. Neben ‘Warten auf Godot’ ist es für mich das beste Theaterstück seit ca. 1789. Ich habe inzwischen mehrere Inszenierungen gesehen – die von Huonder scheint nicht erreicht werden zu können, weder die Komik noch das Grauen.

Die Arbeit mit Guido Huonder und die Beschäftigung mit dem Werk von George Tabori waren mit die wichtigsten Lektionen, die ich je bekommen habe. Bis heute kann ich sie immer wieder gebrauchen, habe Situationen, Szenen, Gespräche im Kopf, und es war die Art von Soul, die nicht mit Seele zu übersetzen ist.

Soweit ich mich erinnern kann, gab es in ‘Masada’, montiert aus historischen Berichten, die in die Festung im heutigen Israel verlegt wurden, nur am Ende einen Satz von Tabori selbst:
Bei klarem Wetter sieht man bis Auschwitz.
R.I.P.



WOMEN

is the root of all evil, singt Dr. John. Nick Tosches sieht das anders: “I think monotheism is the root of all evil”. Wenn er recht hat, hat er’s.

Habe gerade ein Nachwort zu “Muddy Waters isst selten Fisch” geschrieben, eine Sammlung aus “The Nick Tosches Reader” plus, der Hit des Ganzen, “Die letzte Opiumhöhle”. Erscheint im September im Liebeskind Verlag.