Literatur

MAN MUSS ETWAS ZEIT MITBRINGEN

nicht nur in den großen fremden Städten, sondern auch wenn man mit Edo Popovic an einem sonnigen Tag durch das Zentrum von Zagreb spaziert. Der Schriftsteller wird von vielen Leuten freudig begrüßt (z.B. Roman Simic, dessen Bücher in Deutschland ebenfalls bei Voland&Quist erscheinen). Für das Wochenmagazin Express schreibt er regelmäßig (meistens politische) Artikel; wenn nichts von ihm im Heft steht, kommen besorgte Anrufe, ob man ihn etwa zensiert habe, was beim Express jedoch nicht passiert. Ist sicher nicht der Fall, dass er im Text sanftmütiger mit der neuen Rechtsregierung und speziell ihrem Ganzweitrechts-Kulturminister umspringt als im persönlichen Gespräch. Edo flucht, dass diese Typen ihm die Zeit stehlen.

Das Magazin hat auch eine Krimi-Buchreihe gestartet, in der demnächst sein neues Buch erscheint, an dem er in diesen Minuten vermutlich am Showdown arbeitet, falls er nicht mit der Katze diskutiert; ich dachte, die Katze heißt „Matzschcke“, aber Macke heißt Katze, das habe ich bei der Abreise im Bahnhof gesehen, wo ein Buchantiquar eine Menge ausgebreitet hatte, auch einen Katzenbildband. Jedenfalls ist Matzschcke vorsichtig über meinen Bauch geschlichen, als ich auf der Küchenbank lag, nachdem wir die Ausfahrt Zagreb-Süd genommen hatten und ehe wir in die Sportsbar Asterix gingen. Ich empfehle alles von ihm zu lesen und vielleicht mit „Ausfahrt Zagreb-Süd“ anzufangen, oder doch mit den „Tattoogeschichten“ (in Zusammenarbeit mit dem Comiczeichner Igor Hofbauer)? Neu als Taschenbuch sein erster Roman „Mitternachtsboogie“.

Hier ein 13´-Beitrag über das aktuelle Zagreb und einige Künstler: http://www.arte.tv/magazine/metropolis/de/zagreb-metropolis   # Bei der Party am Ende ist dann auch Edos Sohn Sven dabei, der in der jungen Literaturszene mitmischt, sein erstes Buch veröffentlicht hat, viel über Musik schreibt (und für ein Online-Magazin meine Shortstory „Helden“ übersetzt hat, worauf ich sehr stolz bin).

Edo Popovic, Zagreb, 5.4.2016 (c by Goethe Institut Zagreb) +++ Und ein Bild vom Abend in Bijelo Polje, im Veranstaltungssaal des Kulturzentrums, links Bibliotheksleiter Edin Smailovic, rechts Selman Trtovac (an den Namen der Übersetzerin kann ich mich nicht erinnern, sie erzählte, dass sie lange in Berlin gelebt hat und die Tochter eines Generalkonsuls ist). Ab diesem Abend fiel mir auf, dass „Krimiroman“ ein auf dem Balkan gängiges Wort ist.

Am nächsten Morgen kaufte ich mir an der Tankstelle die Wochenendausgabe der Zeitung Informer (48 strana, 40 centi) und fand Worte, die mir bekannt vorkamen: kredit, Socijaldemokrate, politicki subjekti, tragikomicnim, mafije, kontekst, problem, depresija, snajperisti, seks, und aus dem horoskop lernte ich, dass lav der Löwe ist und Lejdi Gaga ein Ovan oder Widder.



SPRACHFETZEN

„Ovaj grad je dovoljno velik da se s nekim ljudima koje poznajete možete godinama mimoilaziti; štoviše: možete i umrijeti ne susrevši se više s njima.“ Edo Popović, Tetovirane priče (via come-as-an-old-enemy)

Ich weiß nicht, was das heißt in meiner Sprache – aber es gibt nichts Besseres zu tun, als mit Edo Popovic in einer Bar in Zagreb zu sitzen, in der Tom Waits läuft, und über Gott und den Rest der verdammten Welt zu diskutieren. Mit allen Sprachfetzen, die es so gibt.



AUSSENPOSTEN

Das Kulturzentrum von Bijelo Polje in Montenegro ist für deutsche Verhältnisse klein. Die Bibliothek natürlich auch, aber wer sich durcharbeiten wollte, hätte schon eine Menge zu tun. Keine Rede von Sprachbarrieren. Eine kleine Stadt am letzten Außenposten eines sehr kleinen Landes, das bizarre Unterschiede vorzuweisen bzw. zu verkraften hat. Zwischen den Millionären an der Küste und Bauern, die auf einem Pferd weiterkommen, sind es nur wenige Kilometer. Bijelo Polje ist vom glitzernden Meer weit weg, viel weiter als etwas über hundert Kilometer.

Ich war der erste deutsche Autor, der jemals dort gelesen und diskutiert hat. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Sicher ist, ich stehe auf keiner Liste der Europäischen Union für Kulturarbeiter, die zuerst irgendwo reingehen, um irgendwas vorzubereiten. Was es mir tatsächlich bedeutet, bemerkte ich später im Hotel. Man zappt ja noch rum. Landet bei einem deutschen Kulturmagazin. Mit einem Literaturbeitrag. Und als dann eine vollkommen beknackte Moderatorin mit einem vollkommen beknackten deutschen Starautor vollkommen beknackt rumlaberte, war es weniger der totale Ekel, der mich berührte, sondern eine Erkenntnis: Ich würde tausendmal lieber den Rest meines Lebens hier an diesem Außenposten in der kleinen Bibliothek Papierkörbe ausleeren und zurückgegebene Bücher einsortieren, als in so vollkommen beknackten, verblödeten, dämlichen, auf kriminelle Weise Geld verschwendenden Fernsehmagazinen mit vollkommen beknackten Moderatoren vollkommen beknackt rumlabern. Das vollkommen Beknackte ist ja außerdem bzw. zusätzlich, dass sich diese Leute für cool halten, von anderen vollkommen Beknackten vermutlich als Hipster gekennzeichnet werden (oder welche Missverständnisse auch immer da unterwegs sind), und mit diesem ganzen beknackten Scheiß als die lässige Form von Kulturvermittlung bzw. -produktion durchkommen.

Ich glaube, ich würde lieber aufhören irgendwas zu machen, als irgendwas mit denen. Eine üblere Beschimpfung fällt mir kaum ein. Zu finden das Beknackte wahrscheinlich in der Mediathek von das ZDF. Sendung heißen Aspekte oder so … Aber egal. Ich bisschen stolz darauf, wenn Leute von Bijelo Polje sagen mir, ich nicht so richtig deutsch eigentlich. Das ganz gut. Dabei freundlich lachen. Wir zusammen darüber lachen. Wenn du nix verstehst, was meinen ich, macht nix. Grüß Gott, deutsche Gutliteratur. Gute Sache, gute Nacht.



KOKAIN

von Pitigrilli ist Thema der neusten Folge der Krachkultur-Serie Der Anti-Kanon – Literarische Werke aus der untersten Schublade, und gelegt hat die Line Thomas Palzer. „Bis 1988 stand Kokain in Deutschland auf dem Index, man fasse sich an die Stirn – vor der Dummheit des Staates gibt es keinen Ausweg. Die Griechen nannten das Aporie.“

http://krachkultur.de/blog/kokain-pitigrilli-1921.html

Cover Pitigrilli, »Kokain« (1921)  gebrauchtes Buch – Pitigrilli – Kokain



DEM DEUTSCHEN LITERATURBETRIEBE

war in der Neuen Zürcher Zeitung eine schon besonders schöne Geschichte gewidmet. Rainer Moritz kam über das Literarische Quartett etwas ins Grübeln: „… Mit Weidermann, Westermann und Biller besteht das Stammtrio aus drei Hausautoren des Kölner Verlages Kiepenheuer & Witsch, was merkwürdig anmutet, selbst wenn man im dichten Geflecht des Literaturbetriebes dessen Vertretern nicht a priori unlautere Absichten und Vetternwirtschaft unterstellen sollte.“ Der war echt gut. „Verblüffend“ seien „indes“ die Entscheidungen der Redaktion bzgl. der Gäste- und Titelauswahl: „Bereits die allererste Folge hatte darunter gelitten, dass niemand dem Gast der Sendung, Juli Zeh, auszureden vermochte, das Werk eines Kollegen, Ilija Trojanow, vorzustellen, mit dem sie gemeinsam Bücher veröffentlicht.“

Nicht genug davon: Gast der kürzlich ausgestrahlten Folge 4: Eva Menasse, „natürlich, möchte man ausrufen, Hausautorin von Kiepenheuer & Witsch.“ Besprochen wurden u.a. (damit 50% des Diskussionsmaterials) „ein Werk von Antonia Baum, einer früheren Kollegin Volker Weidermanns aus der Redaktion der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung»“ und der neue Stuckrad-Barre „aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch“.

Das sind die Momente, in denen ich es bedauere, mich nicht intensiver mit dem deutschen Literaturmainstream zu beschäftigen. Und mir mein Vorurteil, dort sei es nicht immer so wahnsinnig spannend, um die Ohren fliegt (ok, falls ein Vorurteil rumfliegen kann). Es gibt Leute, die nennen sowas einen Skandal. Und weniger sprachinteressierte Feuilletonisten hätten es einen handfesten Skandal genannt. Ich weiß nicht genau, wie ich´s jetzt nennen soll. Ich denke drüber nach. Also echt jetzt.

http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/in-koelner-hand-1.18699431



WIAS IS

Ohne ein paar so Leute wie Franz Xaver Kroetz, der heute 70 wird, würden die Bayern immer noch vor den Toren des Landsberger Gefängnisses stehen und darauf warten, dass der neueste Band von Mein Kampf endlich herauskommt. +++ Eine Inszenierung von ihm habe ich gesehen, seines Stücks Bauern Sterben, 1985, es war nicht nur saugrob, sondern auch so saugut und gefühlvoll, dass nach der Halbzeit das halbe Publikum geflohen war. +++ Kroetz dort, wo er gut aufgehoben ist, auf Trikont: CD Stimmen Bayerns/Die Liebe mit „Dichters Liebesnacht“ und CD Stimmen Bayerns/Der Tod mit „Kirchberg“ und „Die Lücke, die der Teufel lässt“ (ein Clip aus einer Polizeiruf 110-Folge).



FÜRCHTE DEN DONNER (7)

Jim Thompsons frühes, von mir übersetztes Familienepos zeigt den Autor nicht nur kurz vor dem Start seiner Karriere als König des Psychotronic-Thrillers (sein nächstes Buch war 1949 Nothing more than Murder), sondern auch seine komische Seite deutlicher als irgendwo sonst. Hier eine Stelle (S.28) über das gerissene Sippenoberhaupt Lincoln Fargo:

Eines seiner riskanten Unternehmen startete er mit einem Großmaul, einem schillernden, selbsternannten Professor, der sich in der Pension eingemietet hatte. Sie verkauften per Mailorder ein Gerät, das garantiert jede Art von Schädlingen vernichtete. Die Zusendung enthielt einen kleinen Backstein und einen Holzhammer und eine einfache Bedienungsanleitung. In der Bedienungsanleitung wurde der Käufer angewiesen, den Schädling auf den Backstein zu legen und ihm dann einen kräftigen Schlag mit dem Holzhammer zu verpassen.

Die Erfindung, falls man´s so nennen möchte, verkaufte sich am Anfang gut, und die beiden Verkaufsgenies ignorierten ungestraft mehrere Verwarnungen, die sie aus dem weit entfernten Washington bekamen. Von den Käufern beschwerten sich nur wenige, weil sie wussten, dass es nichts bringen würde. Tatsächlich machten viele von ihnen, wenn sie ihren ersten Ärger runtergeschluckt hatten, ein Konkurrenzunternehmen auf. Und bald wurden Zeitschriften und Briefkästen mit Anzeigen für den Insekten-Killer überflutet. Innerhalb von wenigen Wochen kannte den Dreh jeder, und es gab keinen mehr, der einen kaufen wollte.

Fürchte den Donner  Bildergebnis für jim thompson heed the thunder



COMBINATION IS IT

d.h. Combination vs Nation. / Brecht *10.2.1898

Brecht born 10.2.1898. - Und hier mit Freygang, one of the important DDR-Punkbands. Combination is it. Combination vs Nation.

 



BURROUGHS (8)

William S. Burroughs, February 5, 1914 – August 2, 1997. // Notizen: WSB, einer der einflussreichsten Autoren des 20.Jh., auch was Popmusik/Kultur betrifft. Bandnamen von ihm: Soft Machine, Steely Dan, Naked Lunch (verfilmt von Cronenberg), sicher mehr… + In einem neuen Dokfilm (Titel nachsehen*) ist es ausgerechnet der von WSB stark beeinflusste große Exzentriker-Weirdo Genesis

keyframedaily: William S. Burroughs, February 5, 1914 – August 2, 1997. Notizen: WSB, einer der einflussreichsten Autoren des 20.Jh., auch was Popmusik/Kultur betrifft. Bandnamen von ihm:Soft Machine, Steely Dan, Naked Lunch (verfilmt von Cronenberg), sicher mehr… + In einem neuen Dokfilm (Titel nachsehen) ist es ausgerechnet der von WSB stark beeinflusste große Exzentriker-Weirdo Genesis P-Orridge, der sich am klarsten und besten über WSB äußert + Saam Schlamminger aka Chronomad hat auf seiner CD Sefid Sout/Leaving Chuck´s Zimmer das von Wolf Wondratschek übersetzte und gelesene The Ticket That Exploded vertont + WSB singt zur Eröffnung der von mir bei Trikont compilierten CD Zur Hölle Mama Marlene Dietrichs Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt + Die letzte Eintragung des fast lebenslänglichen Junkies in seinem Notizbuch: Liebe? Was ist das? Das natürlichste schmerzstillende Mittel, das es gibt. +  Der Grandseigneur der deutschen beat-beeinflussten Autoren, Jürgen Ploog hat über WSB den Essayband “Straßen des Zufalls” geschrieben.

P-Orridge, der sich am klarsten und besten über WSB äußert + Saam Schlamminger aka Chronomad hat auf seiner CD Sefid Sout/Leaving Chuck´s Zimmer das von Wolf Wondratschek übersetzte und gelesene The Ticket That Exploded vertont + WSB singt zur Eröffnung der von mir bei Trikont compilierten CD Zur Hölle Mama Marlene Dietrichs Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt + Die letzte Eintragung des fast lebenslänglichen Junkies in seinem Notizbuch: Liebe? Was ist das? Das natürlichste schmerzstillende Mittel, das es gibt. +  Der Grandseigneur der deutschen beat-beeinflussten Autoren, Jürgen Ploog hat über WSB den Essayband “Straßen des Zufalls” geschrieben.

*: https://www.franzdobler.de/2012/02/18/psychofernsehen/ + Einige Fotos: WSB/Bowie etc: http://textbaufranzdobler.tumblr.com/ 



BERICHTE

FRIEDRICH ANI „Kannte ich den Syrer meiner Mutter? Sollte man meinen. Trifft aber nur bedingt zu.“ +++ http://www.zeit.de/freitext/2015/11/20/syrer-vater-fluechtlinge-ani/

HASNAIN KAZIM „In den Neunzigerjahren wurde mir in manchen Klubs gelegentlich der Zutritt verwehrt, während meine – weißen – Freunde keine Probleme hatten. Bei einem besonders schicken Laden in Hamburg, der mich auffällig oft abgewiesen hatte, meldete mich ein Freund deshalb als „arabischen Scheich“ an. Ich trat entsprechend gekleidet auf, ein paar Freunde spielten Bodyguards, und schon wurde ich nicht nur reingelassen, sondern gleich in einen mir bis dahin unbekannten VIP-Bereich geführt. Natürlich war ich bald umringt von Schönheiten, und es fiel mir schwer, die Scheich-Rolle durchzuhalten. Meine Freunde verschwanden irgendwann lachend in der Menge, und ich tat so, als verstünde ich weder Deutsch noch Englisch. Den Frauen machte das nichts aus. Es floss Champagner in Strömen. Ich lud sie alle ein. Irgendwann ging ich. Ohne zu bezahlen. Das war meine kleine Rache.“

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/rassismus-in-deutschland-wir-wehren-uns-gegen-rechts-kommentar-a-1074581.html