Artikel mit dem Schlagwort ‘ Blog ’

HANS FRICK (6): Berlin, 19.6.

TERROR IN SCHWARZWEISS

Eine Frick-Verfilmung in der Saless-Retro

Manchmal sind sogar in der Literaturzone klare Worte nötig: „Ich weiß, dass es in meinem Land nur einige wenige Schriftsteller gibt, die das Papier wert sind, auf dem ihre Bücher gedruckt werden. Einer von ihnen ist Hans Frick.“ Schrieb Jörg Fauser 1979 über einen Autor, der schon damals nicht so bekannt war, wie er heute sein sollte.

Ein Optimist könnte zur Zeit auf die Idee kommen, dass sich die Wiederentdeckung von Hans Frick (1930-2003) anbahnt. Kürzlich sendete der Hessische Rundfunk ein langes Feature von Hanne Kulessa, und – was etwa so selten ist wie ein Selbstmordattentäter in Dresden – an diesem Sonntag läuft im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin der Film „Hans – Ein Junge in Deutschland“ (nach dem Roman „Die blaue Stunde“), innerhalb einer Retrospektive mit Filmen des iranischen Regisseurs Sohrab Shahid Saless (1944-1998), die zur Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ gezeigt wird.

Der autobiografische Roman „Die Blaue Stunde“ ist der Schlüssel zu Fricks Werk. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend im Frankfurt der Nazi- und Nachkriegsjahre und das arme, harte Leben seiner alleinerziehenden Mutter. Sie wurde als „dreckige Judenhure“ beschimpft, weil sie ein uneheliches Kind von einem jüdischen Kunsthändler hatte. Der „Halbjude“ Hans Frick wuchs mit der Angst auf, die Nazis könnten ihn jederzeit abholen, und er wusste, was sie mit den Juden und anderen machten, die nicht in ihr Deutschenbild passten.

Diese Angst prägte Fricks Leben, wurde zum Antrieb seines Schreibens und ist in allen seinen Werken spürbar. Schon in seinem ersten Roman „Breinitzer oder die andere Schuld“ hatte er 1965 mit den Deutschen und ihrer Nazi-Vergangenheit auf eine Art abgerechnet, die nichts mit Aufarbeitung zu tun hatte, sondern im Gegenteil ihre Schuld in die Gegenwart transportierte. Der zentrale Satz klingt bis heute nicht wie von gestern: „Sie haben es getan und sie werden es jederzeit wieder tun, wenn es ihnen gestattet wird.“ Nicht zufällig meldete sich Fritz Bauer, der Generalstaatsanwalt im so genannten Ausschwitz-Prozess, bei diesem herausragenden neuen Autor, und sie wurden Freunde.

Das Drehbuch zu „Hans – Ein Junge in Deutschland“, der sechs Jahre nach dem Roman 1985 erschien, schrieben Saless und Frick gemeinsam. Auch insofern bemerkenswert, weil Frick zu dem Zeitpunkt kaum noch geschrieben hat. Als Autor, der schonungslos von seinen Dämonen, Kämpfen und Niederlagen erzählte, vom Unfalltod seines kleinen Sohns ebenso wie von Alkoholismus, erreichte er mit dem Roman „Die Flucht nach Casablanca“ 1980 den Endpunkt. Er habe sich, erzählte er mir einmal, zwischen Weiterschreiben und Weiterleben entscheiden müssen.

Saless´ Filme werden im Programmheft als „unnachahmliche, minimalistische Zeitbilder, die einem den Atem abschnüren“ beschrieben, als „Filme, die terrorisieren, die aber auch etwas freisetzen.“ Und speziell dieser hochgradig beklemmende, düstere Schwarzweiß-Film „ist ein quintessentieller Saless-Film auch deshalb, weil er die Reflektion von Außenseiterschaft direkt mit einer Intervention in deutsche Erinnerungspolitik verbindet, die in ihrer Radikalität höchstens mit Rossellinis Germania anno zero vergleichbar ist. Wobei Hans das Jahr 1945 eben gerade nicht als eine ‚Stunde Null‘ erlebt.“

Saless hatte in Wien und Paris Film studiert und im Iran Dokumentar- und Spielfilme gedreht, als er 1975 vor dem Schah-Regime nach Westdeutschland flüchtete. Seine „deutschen Filme entstanden im Zuge ständiger, oft polemisch ausgetragener Auseinandersetzungen mit Filmförderung und Fernsehredakteuren.“ Seine letzten Jahre in den USA waren „geprägt von schweren Krankheiten, Armut und einem selbstzerstörerischen Lebensstil.“

Für diesen Film trafen zwei radikale Außenseiter aufeinander, die ihre Lebenserfahrungen in Bezug zur Gesellschaft setzten und auf eine Art in Kunst verwandelten, die einem im comedysierten Deutschland der Gegenwart nicht nur fremd, sondern schockierend brutal vorkommt. Wird schon kein Zufall sein, dass beide so vergessen sind.

19.6. 19h, Deutsches Historisches Museum: Hans – Ein Junge in Deutschland. BRD/F/CSSR, 1985. 148 Min. Geflüchtete haben bei allen Vorführungen der Filmreihe freien Eintritt. Die Retrospektive läuft noch bis 1. Juli.



WIE ES IST

„Es ist ein Kniefall vor den Rechtspopulisten“, kommentiert Felix Werdermann im neuen der Freitag das Integrationsgesetz, und endet damit: „Die Organisation Pro Asyl hat schon recht: Es handelt sich um ein Desintegrationsgesetz.“

Den Weg bis zu diesem Desaster kann man ein wenig nachvollziehen durch das Portrait über diesem Kommentar: Ein Typ, der Jahrzehnte lang durch die CDU marschiert ist, dann im Windschatten der FAZ Herausgeber der Märkischen Allgemeinen wurde, um in der lächerlichen Parodie des verblödeten englischen Gentleman immer noch frei herumzulaufen. Deshalb hätten wir nichts dagegen, wenn in diesem Gauland, das auch durch eine SPD-Figur wie Sarrazin gezeichnet ist, wieder die vier ehemals sog. Besatzungsmächte nach den Rechten sehen würden.



NICHTS ZU DANKEN

Laut meinem Kenntnisstand musste ich die Vermutung haben, dass Bundespolizisten relativ gut ausgebildet sind. So war ich doch etwas überrascht über eine Äußerung der Beamtin Claudia Pechstein, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit auch fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin geworden war.

Die 44-Jährige, die in Uniform vor dem Bundesgerichtshof erschien, sagte laut Presseberichten: „Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse.“ Das ist auch mein Eindruck, dass erfolgreiche deutsche Sportler keine Menschen zweiter Klasse sind. Selbst dann nicht, wenn sie nicht wissen was „scheinbar“ bedeutet: Der Schein trügt, die Realität sieht anders aus. Falls man etwas bei Tasse ist, versteht man, was die Beamtin damit sagen wollte: dass sie und andere Leidensgenossen anscheinend Menschen zweiter Klasse sind. „Anscheinend“ ist ein Wort, dem mit höchster Vorsicht begegnet werden sollte: wenn meine Oma sagen würde, „anscheinend bin ich die Größte“, hätte ihr nicht einmal Muhammad Ali das Gegenteil beweisen können.

Diesen ihren falsch ausgedrückten Eindruck präzisierte Polizistin Pechstein auch noch mit diesem Vergleich: „Jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“ Meine Oma hätte dazu, zweifellos nicht ganz passend, nur geknurrt: Dann hätten Sie halt was Gescheites gelernt! Während wir die angespannte Situation der Beamtensportlerin in dieser Situation verstehen können und über ein passenderes Beispiel nachdenken. Vielleicht so: „Jeder besoffene bayrische Mann, der seine Frau absticht, weil sie zu blöd war, das Finanzamt richtig zu bescheißen, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“

Wir wissen nicht, was die uniformierte Exeisschnelllaufläuferin dazu sagen würde. Aber wir helfen immer gern. Wenn die Sportabteilung Probleme hat, muss eben die Abteilung für Sprache und Zweifel antreten. Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn die verschiedenen Rädchen auf die anderen Rädchen achten. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Und denken Sie daran: Das Eis kann immer dünn sein!



HANS FRICK (5)

http://www.hr-online.de/website/suche/home/mediaplayer.jsp?mkey=60873164&type=a&xtmc=hans frick&xtcr=1

Blaue Stunden- Auf den Spuren des Schriftstellers Hans Frick. Feature von Hanne Kulessa. 53´
„Hans Frick wurde 1930 in Frankfurt am Main geboren. Es gibt wohl keinen anderen Frankfurter Schriftsteller, der diese Stadt so hart porträtiert hat wie der im Gallusviertel aufgewachsene „Juddebub“. Mit dreißig Jahren schrieb Frick seinen ersten Roman, in dem ein KZ-Arzt, verfolgt von Schuld und Alpträumen, versucht, einen Prozess gegen sich selbst zu erwirken. „Breinitzer oder Die andere Schuld“ erschien 1965. Frick war befreundet mit dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, mit dem Philosophen Georg Lukács, mit dem Schriftsteller Erich Maria Remarque. Er, der Autodidakt, der uneheliche Sohn einer Arbeiterin, fand große Anerkennung, aber seine Lebensangst und seine Wut auf die Gesellschaft blieben. Er schrieb sich in vielen Romanen, Hörspielen, Filmen diese Angst vom Leib, trank gegen sie an, aber trotz des immensen Alkoholkonsums blieb sie seine ständige Begleiterin. „Wann werde ich abgeholt?“ Diese Frage aus der Kindheit verfolgte ihn bis zum Schluss. Hans Frick veröffentlichte 1980 sein letztes Buch „Die Flucht nach Casablanca“. Danach zog er mit seiner Frau Karin zuerst nach Portugal, dann nach Spanien, wo er 2003 starb. Das Feature von Hanne Kulessa folgt den literarischen Spuren, die Hans Frick in Frankfurt hinterlassen hat, es kommen Weggefährten zu Wort und Frick selbst mit Auszügen aus Interviews und Lesungen.“ (hr 2016)


ALS ICH EINMAL ECHT VOLL ERSCHROCKEN BIN

„Wer mit der Kindheitsschilderung und Swanns Liebe zu Odette nichts anzufangen weiß, dem ist mit moderner europäischer Literatur nicht zu helfen.“ Navid Kermani, in Beilage Literatur Spiegel, Juni 2016

„Ich schlief wieder ein …“. Marcel Proust, ca. 1905



KRIMIS UND

das Dritte Reich“, der neue Filmessay von Christoph Rüter (u.a. Rohstoff über Jörg Fauser). Auch über drei Autoren, die sich sehr sorgfältig mit ihrem Stoff beschäftigten. Wer glaubt, das wäre bei Schriftstellers doch so üblich, täuscht sich…

„Die Kamera begleitet die Schriftsteller bei ihrer Arbeit in Berlin, New York, Paris, London und Köln. Sie führen die Zuschauer an unbekannte Orte, wie die Quartiere der französischen Gestapo in Paris, die Dominique Manotti zeigt. Philip Kerr ist in Babelsberg und im Haus der Wannseekonferenz bei der Recherche zu einem neuen Buch zu sehen. Volker Kutscher liest in einem ehemaligen KZ in Berlin aus seinem neuen Roman und führt durch Köln. Sein Protagonist Rath ist mittlerweile im Dritten Reich angekommen und erlebt 1933 einen ganz eigenen Rosenmontagszug in seiner Heimatstadt.“

http://www.arte.tv/guide/de/053937-000-A/krimis-und-das-dritte-reich?autoplay=1



GLAUBEN SIE KEINEM HEIMATMINISTER

 

design: c stuffy sauter

 



DER NACHRUF

auf Fanny Müller von ihrem Verleger Klaus Bittermann, der hoffentlich ihre Notizbücher, Schmierzettel, Briefe, Telefonkritzeleien, Tagebücher, Mails, Behördenschreiben und Sonstiges herausgeben wird:

http://www.taz.de/!5306200/

  

Ob Homosexualität, Sexismus oder Punks, Frau K. mischt sich überall ein und kommentiert, lapidar und mit Witz: »Ne Maak wollt ihr? Ich hab selbs keine Maak. Ihr seid doch noch jung und gesund. Ihr könnt doch ma ’ne Bank überfalln.«



IN MEMORIAM FANNY MÜLLER

http://www.edition-tiamat.de/home.htm



RAUS AUS DEM GARTEN

ist der Titel des Artikels, den der große Historiker-Journalist Otto Köhler der großen Reporterin Gabriele Göttle zum Siebzigsten schrieb. Der Inhalt ist fast so nett wie der verdammte Mist, mit dem uns die Christsozialen-Superchristen auf die Nerven gehen …

Ein Auszug: „Jetzt, pünktlich zu ihrem heutigen 70. Geburtstag steht Gabriele Goettle vor der Altersarmut. Die Frauenrechtlerin im Ruhestand Barbara Duden ist Besitzerin des Hauses in Berlin-Lichterfelde, in dem die an Arthrose erkrankte Schriftstellerin Goettle wohnt. Vergangenen Freitag bekam sie vorzeitige Geburtstagspost von der auf solche Angelegenheiten spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei Gross (»Die Kanzlei konzentriert sich ausschließlich auf ein Rechtsgebiet: Mietrecht und vertritt nur Vermieter«). An Goettle schrieb die Kanzlei: »Namens unserer Mandantschaft« – das ist Barbara Duden – »kündigen wir das Mietobjekt fristlos«, schrieb die Kanzlei und fuhr syntaktisch problematisch, aber letztlich unmissverständlich fort: »fordern Sie umgehend auf, das Mietobjekt zu räumen und geräumt spätestens bis zum 31.5.2016 zurückzugeben.«“ Alles hier:

https://www.jungewelt.de/2016/05-31/049.php?sstr=gabriele%7Cg%C3%B6ttle

 Bildergebnis für gabriele göttle Bildergebnis für gabriele göttle uva