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WAS SIND DENN ECHT RICHTIGE MÄNNER?

Da haben wir in unserem frauendominierten Block keinen Zweifel: richtige Männer beschweren sich nicht, wenn es an ihrem großen Jubiläumstag vom Himmel pisst, als würde die Hölle den Tag des Jüngsten Gerichts anläuten, obwohl sie fünf Wochenenden dran gearbeitet haben, ein Gelände mit Bars und Bühnen und Zelt herzurichten für den Anlass.

Wir sagen es zu ihrem 40. genau so: Sehr beruhigend, in der Hölle auf diese Männer zu treffen. Nach 7 Stunden schweren Schwerstgitarren sind wir bereit!



TAGEBUCH EINES ÜBEREIFRIGEN MUSIKSTUDENTEN (3)

1 John White: Erik Satie/Caresse

2 WDR Sinfornieorchester: Benjamin Britten/Young Person´s Guide to the Orchestra

3 Ensemble I Musici: Benjamin Britten/Simple Symphony Op.4

4 Charities Philharmonia: Britten/Young Person´s Guide

5 Charles Mingus: Mingus plays Piano

6 Glenn Gould: Beethoven/Piano Concerto No.5 in e flat major/I.

7 Glenn Gould: Alban Berg/Piano Sonata, Op.1

8 Miles Davis: Sketches of Spain

9 Jerry Fielding: The Wild Bunch Soundtrack

10 The Good, The Bad & The Queen: s/t

11 XTC: Apple Venus Vol.I

12 Robert Wyatt: Comicopera



SPITZENSATZ (10)

„Dass eine schwangere Frau in den Hungerstreik geht und damit ihr Ungeborenes gefährdet, muss sofort beendet werden.“

Christine Haderthauer, Bayerische Staatsministerin für Slasher-Filmförderung



SCHON GUT

Es stimmt schon. Hier muss wieder mehr Lustiges verbreitet werden. Das Lustige wird ja in unserer Zeit viel zu wenig beachtet. Obwohl es doch alle so bitter nötig haben – (Flaubert hätte in seinem Wörterbuch der Gemeinplätze notiert: Nötig: Immer bitter.)

Das Problem ist, dass unsere Redaktion „Spaß und Freizeit“ notorisch unterbesetzt ist. Diese Säcke und Tussen sind entweder krank oder sitzen „an einer großen Sache, die aber Zeit braucht.“

Also haben wir ausnahmsweise unsere Gleichstellungsbeauftragte abkommandiert. Waren dann alle überrascht, dass sie auch auf diesem Gebiet Talent hat. Wenn sie Pech hat, werden wir ihr die Abteilung „S&F“ zusätzlich aufs Auge drücken. Aber lesen Sie selbst, was sie zu bieten hat:

Als ein Interviewer Samuel L. Jackson fragte, was das „L“ in seinem Namen bedeute, erwiderte er: „Motherfucker.“

(Mehr lehrreiches Wissen auf diesem Niveau in: Jim Dawson/Motherfucker. Berlin, 2011. Edition Tiamat, wo sonst?)



GUSTL MOLLATH (3)

bleibt in der Geschlossenen sitzen. Das Gericht hat sich die Meinung sozusagen umgeschnallt, dass man von Mollath „außerhalb des Maßregelvollzugs weitere erhebliche rechtswidrige Taten“ zu erwarten habe (zitiert nach SZ, 13.6.).

Man möchte sich tot lachen: Der Psychiater, der das grundlegende Gutachter verfasste, ist jetzt „im Lichte der neuen Erkenntnisse mit einer ergänzenden Stellungnahme beauftragt, diese verweigert der Gutachter nun offenbar.“

Das ist nur ein Teil des Desasters, um es mal gaaanz vorsichtig zu benennen: „Warum aber gibt es nichts Neues im Strafverfahren gegen Mollath? Weil sich das Regensburger Landgericht seit Monaten nicht in der Lage sieht, einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben.“

Und dennoch glauben wir so: Die Leute, die glauben, den Fall erfolgreich unterm Teppich zu halten, sollten sich mal umdrehn. Um die Lawine zu sehn, die auf sie niederkommen wird. Vielleicht nicht so schnell, wie sie´s verdient haben, aber vermutlich schneller als ihnen lieb ist. Dieter Hildebrandt hat es kürzlich angedeutet, als er Frau Merk die zurückgetretenste Ministerin der Woche nannte.

Sie und ein paar andere Figuren sind gut getroffen in diesem 45-Min.-Alptraum:

http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/die-story-im-ersten-der-fall-mollath?documentId=15028746



TRIFF MICH IN

der Leichenhalle“ (hätte Ross Macdonald gesagt) oder hier auf neuen Videos:

1. Beim Vortrag von „Tango & Benzin“:

2. Aus Ry Cooders „In den Straßen von Los Angeles“:

 



UND JETZT ABER WAGNER

Ohne den Wagnersound anyway faszinierend oder auch nur im Geringsten fucking erträglich zu finden, bin ich doch anscheinend – in dem Fall würde ich wirklich lieber „scheinbar“ verwenden können – auch von diesem Giganten des deutschen Erdbodens beeinflusst (geprägt wäre dann hoffentlich wohl doch zu stark). Also durchaus auch passend zur Zeit. Obwohl ich mich in der aktuellen Diskussion, man sollte Bayreuth nach Offenbach verlegen, noch zu keiner Meinung durchringen konnte. Denn schließlich ist ganz Deutschland ein Offenbach.

„Faschistisches Kabuki in Bayreuth“ ist der Titel des Texts von Harry Mulisch, ein Auszug aus seinem Buch „Die Zukunft von gestern. Betrachtungen über einen ungeschriebenen Roman“ (Edition Tiamat, 1995), der sich im Tiamat-Reader „Perlen & Trüffel. Eine kleine Reise durch 25 Jahre Verlagsgeschichte“ (erschienen 2004) findet. Beide Bücher schwer zu empfehlen.

Harry Mulisch: „Im August 1971 kam ich in Gesellschaft einiger Freunde zu den Festspielen. Ich fühlte mich wie ein Ethnologe, der ins Inland von Neuguinea gereist ist, um die letzten Überreste kannibalischer Rituale zu studieren. (…) Die achtzehnhundert Zuschauer wurden so still wie bei einer Totenfeier – mit dem Unterschied, daß es hier die Totschläger waren, die verstummten. Ich hätte gern gewußt, ob das Theater auch ausgereicht hätte, die Menschen zu fassen, die von den Anwesenden umgebracht worden waren. (…) Wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte, wäre es dort genauso gewesen, wie es jetzt ist – nur ohne mich und noch ein paar andere Menschen.“

Und selbst für die Ankündigung im Edition Tiamat-Katalog Herbst 2013 für mein neues Buch „The Boy named Sue. Aus den Memoiren eines zerstreuten Musikliebhabers“ kam ich ums Rumwagnerianern nicht rum:

„Ich würde mich in meinen dreckigsten Stiefeln auf den Schminktisch von jedem aus der Liga dieser von und zu Guttenbergs stellen und ihnen erklären, warum ich mich lieber im Schlamm zu den Gesängen von Woodstock wälzen würde, als an ihrem Arm durch die Hallen Bayreuths bis an den Rand des Orchestergrabens zu wandeln, obwohl mich auch das nicht glücklich machen würde.“



CATWALK SMALLTALK (7)

IM KOMMUNISMUS, WENN DIE ARBEIT AUFHÖRT, ZEIT IST UMSONST, MASCHINEN MACHEN ALLES, SO KOMMT ES NÄMLICH, LES ICH ALLE BÜCHER.

DER MELKSCHEMEL WÄR MEINE LETZTE ARBEIT, ICH HACK IHN MIT DER AXT KLEIN. ICH GEH MIT KEINEM, DER KEIN AUTO HAT.

EIN AUTO HAT IM KOMMUNISMUS JEDER.

WENN JEDER EINS HAT, GEH ICH AUCH MIT JEDEM.

VIELLEICHT WAS LANGSAMER. UND VORSICHTIGER.

SCHEISS AUF DIE VORSICHTIGER.

ABER DANN SAG ICH: WENN ALLES AUFHÖRT, DIE MORAL HÖRT NICHT AUF.

UND DANN STREITENSE. DAS MUSS ICH VORBEREITEN.

VERGISS DIE VORBREITEN.

MACH MICH HIER NICHT.

AU MANNO SAU.



TOPCOVERS DER WELT NR.91

Nicht leicht zu interpretieren. Wenn man alles bedenkt.

Aber eine würdige Nr.91. Ganz klar.



SCHULD UND SURFBRETT

Nicht ganz unpassend vielleicht zu den derzeitigen Außenbedingungen eine Buchbesprechung, die – mit dem Untertitel „Schmuddelkram wie Dostojewski: Don Winslows „Pacific Private“ – am 11.6.2009 in der jungen Welt erschien:

SCHULD UND SURFBRETT

Kürzlich durfte ich im Feuilletonbusineß mal wieder einen schönen Moment erleben. Ich wollte einer nicht ganz kleinen Tageszeitung einen Beitrag über einen Kriminalroman verticken und fragte eine Redakteurin, wem ich die Sache verklickern sollte. Die Frage war nicht so blöd, wie ich im selben Moment gedacht hatte. Ihre Antwort: »Unseren Literaturchef brauchst du nicht fragen, für den sind Krimis keine Literatur, sondern generell Schundkram«. Ich schwöre, das war vor ein paar Wochen.
Wahrscheinlich ist dieser Meister jetzt auf der Suche nach einem Essay zur Frage, warum nun auch (oder dennoch) bei Suhrkamp eine Krimireihe gestartet wurde – (ich würde so anfangen:»Schon Samuel Beckett hatte keine Lust mehr, jeden Krimi in die Schmuddelecke zu werfen, gegen die er sowieso nichts hatte«, und dann einschlafen) –, während wir uns eher fragen könnten, warum ein Suhrkamp-Krimi aussieht wie einer von Goldmann. Wenn’s interessant wäre. Oder ob die Reihe das Niveau halten wird, mit dem Don Winslow die Tür eintritt.

 
»Ich bin ein total beschissener Surfer «, erzählte der 54jährige Winslow im Interview mit Luan Gaines,»meistens falle ich runter und schwimme. Aber ich hab’s in der ein oder anderen Form mein ganzes Leben lang getan«.
Mit seinem zehnten und neuesten Roman »Pacific Private«(Originaltitel »The Dawn Patrol«) stürzte er sich voll auf seinen Sport und erfand die kalifornische Surflegende Boone Daniels, ein ehemaliger Polizist, der als Privatdetektiv nur so viel arbeitet wie nötig, um sein Surferleben zu finanzieren. Auch die anderen fünf vom Surfer-Elitetrupp Dawn Patrol, die sich jeden frühen Morgen am Strand treffen, pflegen diesen lässigen Lebensstil mehr oder weniger; Johnny Banzai, Kommissar bei der San-Diego- Mordkommission, eher weniger; und Sunny Day, die Frau in der Bande und deren sportliche Nummer eins, will den Sprung in die Profiliga schaffen, was mit Lässigkeit bekanntlich wenig zu tun hat. Das Surfen und dieser berühmte Küstenstreifen sind nicht Kulisse in Winslows Krimi, sondern sein Herzstück. Ein Buch im Buch, mit Begriffs-und wellentechnischen Erklärungen und Philosophie und sozialpolitischer Geschichte. So leidenschaftlich, rasant und stilvoll geschrieben und bestens mit dem Kriminalfall verwoben, daß ich bald, obwohl am Surfkram schon immer nur nachlässig interessiert, ins große Netz ging, um mal wieder Musik von Dick Dale oder Duane Eddy zu hören, aber auch die »Bikini Girls with Machine Guns« der unsterblichen Cramps. Hätte ich je geglaubt, daß Surfer mehr im Kopf haben können als »Sea, Sex and Sun« (Serge Gainsbourg)? Privatdetektiv Boone hat keinen Fernseher und liest abends harten Schmuddelkram wie zum Beispiel Dostojewski; was er den jüngeren Kriegern der Dawn Patrol dann doch nicht auf die Nase binden will.


Ihre »Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es soweit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben. Wie Hang Twelve meinte, wird das ein›klassischer Fall von hammerhart‹« und»vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehen bekommen, zwei pro Minute. Double Overheads, Tubes wie Tunnel, echte Donnerbrecher, die einen problemlos mitreißen und in den Waschgang spülen«.
Die heranrollende Naturgewalt verbindet sich mit den übelsten Verbrechen, die auf diese recht friedlichen Leben runterkrachen, als hätten die Götter gesagt, diesen netten Supersurfern an der kalifornischen Postkartenküste, denen zeigen wir’s jetzt mal, und den Ehrenkodex, auf den sie sich so viel einbilden, ballern wir ab. Eine »verdammt« schöne und taffe Anwältin, für die der extrem surfende Lebensstil nur eine alberne Weigerung ist, erwachsen zu werden, treibt den »Private Dick« erbarmungslos an die Arbeit. Eine Frau wurde ermordet. Der Fall hinter dem Fall wird immer größer und fieser. Dann gehen die Blutspuren bis in Boones Freundschaften rein.

 
»Ich mag die beautiful People nicht«, erklärte Winslow in der San Diego Union-Tribune, »ich finde sie wirklich langweilig, und es wird zuviel über sie geschrieben– zu viele Filme und zuviel TV.« Er schreibt lieber über Arbeiter und Underdogs und »über Leute, die kämpfen müssen«. Über diese und jene schreibt er großartig, und nicht nur seine witzigen Dialoge, sondern auch seine Beschreibungen von Elend sind überwältigend. Zur Zeit arbeitet Winslow auf seiner 40 Meilen vom Meer entfernten Farm am zweiten Teil der Boone-Serie. Wenn der bei Suhrkamp erscheint, könnte er mit dem für September angekündigten Thriller »The Winter of Frankie Machine« den Durchbruch in Deutschland (der mit den in den 90ern bei Piper veröffentlichten Titel nicht gelingen wollte) geschafft haben. Weil der Film kommt. Mit De Niro als Frankie Machine. Regie: Michael Mann. Viel mehr geht doch nicht. In der Abteilung für Schund und ,Sühne. Wo Don Winslow so oft mit einem Sexschreiber gleichen Namens verwechselt wird oder die Frage gestellt bekommt, ob er auch dieses Genre bediene, daß er inzwischen »jeden öffentlichen Auftritt« (John Wilkens) mit dem Hinweis beginnt, nicht dieser Typ zu sein,»ich habe ›Die Sklavenmädchen von Rom‹nicht geschrieben. Ich schwör’s«. Aber kann man denn einem surfenden Krimischreiber, der angeblich selbst mal Privatermittler war, irgendwas glauben?

Don Winslow: Pacific Private. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/Main 2009, 396 Seiten, 9,95 Euro * Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch