ELEMENTAR
Von Franz Dobler | 7. Januar 2013 | Kategorie: Unterhaltung | Kommentare deaktiviert für ELEMENTARDie Ausstellung „Elementar“ von Jochen Stenschke in der Stuttgarter Galerie Angelika Harthan ist bis 9. Februar verlängert.
Die Ausstellung „Elementar“ von Jochen Stenschke in der Stuttgarter Galerie Angelika Harthan ist bis 9. Februar verlängert.
Heute vor 20 Jahren starb Dizzy Gillespie. Nochmal 10 Jahre vorher wollten wir uns einmal ein Konzert von ihm im Münchner Jazzcclub Domizil anschaun, aber niemand hatte so viel Geld für das Ticket. Das Domizil war im Keller, also setzten wir uns auf die Treppe vor dem Eingang. Der Chef verscheuchte uns. Wir standen oben rum, bis sie keinen Eintritt mehr verlangten.
Drinnen war eine seltsam beiläufige Stimmung. Zerfleddert, geschwätzig. Wie Who-the-fuck-is-Dizzy, wir Münchner haben doch auch Spitzenjazzer!
Gillespie hatte zu der Zeit angefangen, auch an den Congas zu spielen, sein Sound war sehr latinesk, und er spielte, als wir endlich drin waren, Congas. Ich weiß nicht mehr, wen er in der Band hatte. Auch das Konzert hatte seine Spannung schon verloren.
Der Domizil-Boss stapfte durch seinen Laden und knurrte dauernd sowas wie, er bezahle den Herrn Gillespie doch nicht dafür, dass er dann auf seinen Scheißcongas rumtrommle!
So ist also die Sitte entstanden, dass ein Solist heute vertraglich darauf festgenagelt wird, er dürfe sein eigentliches Instrument nicht länger als 7% der Gesamtdauer des Konzerts verlassen, er dürfe nicht mit dem Rücken zum Publikum spielen, er dürfte auf keinen Fall so lange rumquatschen zwischen den Liedern wie es Cannonball Adderley manchmal zu tun pflegte, und er verpflichte sich mit der Unterschrift, das Doppelte der vereinbarten Gage dem Veranstalter zu zahlen, wenn er „fuck off oder sinngemäß ähnliche Ausdrücke“ a) zum Veranstalter, b) zu Kritikern, c) zum Publikum oder d) sonstigen Anwesenden sage.
Hier ein Artikel von mir, wie der Züricher Musiker und Produzent Jeroen Visser mir einmal aus einem Studs Terkel-Interview mit Dizzy Gillespie vorlas, während wir auf unseren Einsatz bei einem Marc Littler-Film warteten, in dem ich zuletzt, nachdem Visser Voodoo-Rhythm-Boss Reverend Beatman erschossen hatte, Delaney Davidson erschießen durfte:
https://www.franzdobler.de/artikel/delaney-davidson.htm
Hier Mr. Gillespie, wie er auch noch zu singen versucht! Mit einem selbstverfassten Text, der beweist, dass der Mann aber auch gar nichts zu sagen hatte, getreu der afroamerikansiche Sitte: mach einfach einen Haufen Blödsinn, um dem weißen Hipster sein sauer verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen:
http://www.youtube.com/watch?v=kOmA8LOw258
Hier noch schnell der Filmtipp des Monats von unserem Filmredaktor:
Montage für 1 Person + Schießbude/Volksfest + Wurlitzer. – (Skizze) :
Heiner Müller: Die Funktion von Kulturpolitik ist, Ereignisse zu verhindern.
Thomas Brasch: Das ist das Lied vom Ende, das ist das Ende vom Lied: Wer weiter singt und Sprüche klopft, wird sehn, was ihm noch blüht.
Jayne County: I was masturbating a lot when Lady Di went back to mother earth. We had a lot of fun. We were rockin round the clock all the time. I really loved the glamour. (Wurlitzer: Waiting For The Marines)
Herbert Achternbusch (fortgeführt): Wer die Chance, die er nicht hatte, genutzt hat, dem wird es dann auch wieder nichts genutzt haben.
Hias Schaschko: Nichts ist besser als gar nichts.
Heinz Braun: Von mir aus kannt auch ein Segelboot kommen.
Brecht: Mag Mond und zugleich Sonne scheinen: Man hat Gesang und Messer satt!
Leon Payne: You think I´m psycho, don´t you, Mama?
(Erweckt durchgehend den Anschein, lang zu dauern…)
Eines Tages sollte einer von uns unterdrückten, ausgestoßenen Jazzmusikern diesen Arschlöchern von Kirchgängern mal klarmachen, daß Leute wie Monk und Bird wegen ihrem Glauben sterben. Diese Aufgabe sollte man eigentlich Heiligen überlassen, aber die sind so beschäftigt damit, Tempel zu bauen, daß sie keine Zeit für dich und mich haben. Verstehste? Du sagst, daß du im Sterben liegst und es auch weißt, Fats, und daß du keine Angst hast. Warum stirbst du dann nicht jetzt gleich, auf der Stelle? Wenn du sicher weißt, daß es keinen Gott gibt, dann hast du die Macht Gottes. Du brauchst dich nicht selbst umzubringen – du kannst dich zu Tode denken . Mach schon, Fats, du weißt, daß du recht hast, es gibt keinen Gott. Du weißt mehr als Christus, Buddha, Sokrates, Platon, Mohammed, Bird, Judas, Mingus, Casals, Strawinsky, Benjamin Franklin, Swami Vivikananda und Norman Mailer! Du weißt, daß es keinen Gott gibt; du weißt mehr als die anderen, ein paar von diesen blöden Agenten, Kritikern und Kongreßmännern ausgenommen.
– Mingus: Beneath the Underdog, dt. Hamburg 2003
(22. 4. 1922 – 5. 1. 1979)
So freuen wir uns über jede Meldung, die uns im untergemerkelten Germanistan und niedergeseehoferten Bayernlande aufzuheitern vermag. LaBrass Banda – Sie wissen schon, die Kapelle, die ohne den Trend Balkan Brass Beat vermutlich heute noch Jazzunterricht nehmen würde (Proseminar für Einsteiger: Wie spielt man barfuß, ohne sich wahnsinnig toll dabei vorzukommen) – waren bisher nicht die Kandidaten, die unser Leben aufgeheitert hätten.
Da springt jedoch die Trikont.de-Newsseite ein, wo wir schon den sagenhaften SZ-Artikel verpassten. Die SZ fängt vor zwei Wochen so an: „Jetzt wird´s ernst.“ Wir fangen so an: Ernster wird´s nicht werden. Trikont fängt so an:
„LaBrass Banda hat beschlossen, am Eurovision Song Contest 2013 teilzunehmen, am besten bis zum Finale am 18. Mai 2013 in Schweder. „Unser Song für Malmö“ wird am 14. Februar 2013 in der TUI-Arena in Hannover aus 12 Bands/Künstlern ermittelt und LaBrassBanda ist dabei.
Das Verfahren wurde geändert: die Entscheidung fällt an einem Abend vor 11 000 Leuten, gewählt wird von Rundfunkhörern, Fernsehzuschauern und einer Jury. Neu ist, dass bereits existierende Künstler und Bands zur Auswahl stehen. LaBrassBanda will dabei sein, wird dabei sein und wird gewinnen.“
Hm… das sind nicht die Weissagungen, für die ich meinen Arsch ins Feuer legen möchte. Und bezugnehmend auf einige Bemerkungen hier im Block neulich btr. sog. authentischer Bavaria-Pop, kann ich nur sagen: Ich bin nicht stolz darauf, mit so vielen meiner Einschätzungen so richtig zu liegen. Wobei wir uns über LaBrassBandi keineswegs so kaputt lachen, dass uns ihr Eifer nicht größten Respekt abverlangen würde.
Der Vorgang erinnert uns außerdem an einen der Spitzencartoons, den uns MSN.news in den Cartoon Charts 2012 präsentierte:
Quelle: http://news.de.msn.com/jahresrueckblick2012/cartoons.aspx?cp-documentid=252193119#image=3 (Deren Quelle kann ich im Moment nicht erkennen…)
Ach ja, shit – der potentielle Siegersong von LaBrassBandl heißt „Nackert“. Wie wir aus zuverlässigen Quellen erfahren haben, sind die Anwälte von Naked Lunch schon am Start. Die von Sparifankal auch. Die der Erben von William S. Burroughs ebenfalls. Von sonstigen Anwälten gar nicht zu reden… Ja, wie schon die SZ vermerkte: „Jetzt wird´s ernst.“
Unseren guten Rat gibt´s heute ganz umsonst: Vor Gericht besser Schuhe anziehn!
ein zurecht viel beachteter Autor und Hrsg. der besten deutschsprachigen Literaturzeitschrift, „Drecksack“, sondern seit vielen Jahren Fotograf. Jetzt hat er endlich ein Fotobuch gemacht:
“Reisen ohne wegzumüssen”. Fotografien von 1984-1994 (Edition Lükk Nösens)
Wir zitieren einmal mehr die Kollegen von songdog.at/blog: „Als ich hinten auf Seite 302 angelangt war, fühlte ich mich gut. Warum? Weil es erstens ein Buch ist, das alles hat, was ein gutes Buch braucht, um ein verdammt gutes Buch zu sein, und zweitens, weil uns hier ein wahrer Menschenfreund bei der Hand nimmt und uns zeigt, dass arm nicht armselig, heruntergekommen nicht erbärmlich, und kaputt nicht trostlos ist.“
Hier die Seite des Künstlers, mit allen Büchern und einem langen Interview zu seinen Fotos:
http://florianguenther.blogspot.de/
Antisemiten auf diesem Planeten, die nicht von der Freiwilligen Feuerwehr Bergkirchen erstellt wurde, sondern vom Simon Wiesenthal Center, finden Sie, übrigens mit ausführlichen Belegen und Begründungen, hier:
http://www.wiesenthal.com/atf/cf/%7B54d385e6-f1b9-4e9f-8e94-890c3e6dd277%7D/TT_2012_3.PDF
Erfolgreich vorgedrängt haben sich sowohl Gruppen (Nr. 4: „eine erhebliche Anzahl“ von Fans des englischen Fußballclubs Westham United), als auch Einzelpersonen (Nr. 9: der deutsche Jakob Augstein, u.a. Zeitungsbesitzer und Spiegel Online-Kolumnist und – darüber können wir ohne ausführliche Konsultationen mit unserem Psychoanalytiker im Moment keinen Kommentar abgeben – Sohn von Martin Walser).
Ehe wir uns hier über die anderen Spitzenreiter auslassen, müssen wir den Zustand unserer schusssicheren Westen überprüfen und unsere Verteidigungsstrategie mit einigen Trainingseinheiten auffrischen. Ob dabei auch Gebete von Nutzen sind, wird grade diskutiert.
Jetzt aber noch schnell zu ganz was Anderem: in der aktuellen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen wird man dankenswerterweise schon jetzt auf die 2013 kommenden Feierlichkeiten zu Ehren eines der größten Deutschen eingestimmt. Wir verraten nicht zuviel, wenn wir sagen, dass es Jopi Heesters denn doch nicht ist:
In meinem naturgemäß abenteuerarmen „Poetenleben“, wie es Robert Walser schon damals viel zu romantisch nannte, war dies eines der aufregendsten Ereignisse, und mein Freund, der kroatische Autor Edo Popovic hat kürzlich dies darüber geschrieben:
„Und das wird’s wohl sein, was wir am Ende von unserer Arbeit gehabt haben werden. Ein paar gute Geschichten. Ein paar gute Leute.
Mit diesen Sätzen endet die Erzählung Zufall von Franz Dobler aus der Sammlung Letzte Stories. In dieser Erzählung geht es um die Begegnung zweier Schriftsteller auf einem Festival. Obwohl sie sich vorher nicht gekannt haben, zeigt die Erzählung, wie die beiden durch bestimmte Dinge verbunden sind, die nicht einmal von der verrücktesten Phantasie hätten erdacht werden können.
Ein ähnlicher Zufall wollte es, dass ich…“ Weiterlesen:
http://www.literaturportal-bayern.de/autorinnenblog?task=lpbblog.default&id=71
Fotoquelle: Monitor.hr
Festival u počecima: Edo Popović i Roman Simić Bodrožić 2004 in ihrer kostbaren Freizeit. (Hvar)
Mit meinen Kindern im Jugendarrest habe ich schon mehrmals Brecht gelesen. Den „Augsburger Kreidekreis“ etwas gekürzt, weil unser Zeitfenster zu klein ist. Niemandem sagte der Name Brecht was. Aber wieso auch.
Gymnasiasten oder Studenten sind ganz selten dabei. Ein Hauptschulabschluss ist so ziemlich die Spitze und keinesfalls die Regel. Was nichts sagt. Nicht wenige von ihnen sind intelligent und streetwise. Oder haben sich irgendwoher von jenseits der Schule eine stattliche Menge Allgemeinbildung beschafft. Zu viele andere haben nichts und werden wohl nie was bekommen oder sich besorgen, da darf man sich nichts vormachen.
Die Leute in den Hauptschulen sind allen wurst. Alle laufen in die 7. Klassen der Gymnasien aufwärts und diskutieren über Goethe und Literatur und Brecht und den Sinn des ebooks in den Zeiten des nur scheinbar ehemaligen Rinderwahnsinns. Aber die Leute in den Hauptschulen sind allen vollkommen wurst. Die sollen die Schnauze halten und bei RTL-1 bloß die Schnauze halten. Ich sag euch was, ihr armen gestressten Lehrerbeamten und tapferen Mittelschichteltern: ihr werdet diese Sackgasse in eurem Gehirn eines Tages ganz bitter bereuen. Aber erst, wenn ihr die letzten Millionen in euren Brecht- und Wagner-Festspielen verbraten habt, wird euch vielleicht irgendwas dämmern.
Ich bin niemals auf eurer Seite – ich bin auf ihrer Seite.
Und den Vortrag, den ich euch zum Thema halten kann, findet ihr so unlustig wie euch überfordernd. Das Bildungsgut, das ihr mit euch herumschleppt, ist so mager und mickrig, dass ihr nur unter euresgleichen den Anschein erwecken könnt, damit was hermachen zu können. Vergesst es doch einfach und geht in´n nettes Lokal.
Außerdem habe ich aus den „Kalendergeschichten“ auch „Fragen eines lesender Arbeiters“, „Mein Bruder war ein Flieger“ und meine Lieblingsstory „Die unwürdige Greisin“ gelesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass irgendwas von Brecht immer bei den Kandidaten ankam. Beim „Kreidekreis“ natürlich die Kriegssituation und die Frage, was eine Mutter ist, was eine gute, was eine schlechte… Das Duell am Ende versteht jeder, wenn auch nicht unbedingt sofort den eigentlichen Witz.
Unvergesslich und unbezahlbar die Bemerkung eines 18-Jährigen russischen Immigranten: „Also ich weiß nicht, warum ich mir das Zeug da von diesem Vogel Brecht da anhören soll, lesen Sie doch was von sich selber, wenn Sie schon sagen, dass Sie selber auch so Zeug schreiben, das fände ich dann echt interessanter.“
„Aber ich nicht.“