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EIN AUFERSTANDENES ALBUM

kann man „They Call Us Country“ von DM Bob & The Deficits nennen. Der Artikel erschien Ende April in Junge Welt zum „letzten Konzert“ der Band, die´s schon lang nicht mehr gibt. Hallo, jetzt gibt es noch´n letztes Konzert! In Hamburg am 27. Juli an Bord der MS HEDI, welche liegt bei den St. Pauli Landungsbrücken 10 (Innenkante), 20359 Hamburg

ALBUM AUS DEM GRAB GEHOLT Völlig ahnungslos öffnete ich das Päckchen von Off Label Records, eine sehr kleine Firma aus dem tiefen Süden Germanistans, die bisher zwei Vinyl-Singles von The Dad Horse Experience veröffentlicht hat. Was mir nun erschien, war die schwere Langspielplatte „They Called Us Country“ von DM Bob & The Deficits. Und ich war gerührt.

Es erinnerte mich an diese Todesanzeigen, die bei genauerem Hinsehen keine Todes-, sondern Erinnerungsanzeigen sind. „Unvergessen“ oder sowas ähnliches steht in diesen Anzeigen, und die meisten erinnern an jemanden, der vor einem oder vor zehn Jahren verstorben ist. Vor bald zehn Jahren hat die Band aus Hamburg sich aufgelöst. „After 7 long fun but stressful years“, schreibt DM Bob in den Liner Notes.

Es muss 1996 gewesen sein, als ich zum ersten Mal ein Konzert der Garagen-Swamp-Rocker um Bob Tooke aus Louisiana überlebte, und ich kann mich an keine Band erinnern, die einen mit Cajun- und Countryklängen und -songs angeheizten funky Trash derart hinbekommen hätte. Dabei damals – wie auch jetzt – kein Gedanke an Retro, dazu war der Sound einerseits zu dreckig und zugleich verwirrend charmant. Ich weiß nicht, wie sie das hinbekommen haben, aber man kann sich zu Tode üben, ohne Soul geht wie immer gar nichts.

Die Aufnahmen, die jetzt auf LP/CD erscheinen, haben sie „vermutlich zwischen 1999 und 2002 aufgenommen“, schreibt Deutschmark, und wenn ich mich richtig erinnere, hat er mal erzählt, dass es nach den Platten u.a. für Crypt oder Voodoo Rhythm und, nicht zu vergessen, „Nikki & The Big Deficits“  mit Nikki Sudden, die neue, fünfte werden sollte, aber es fand sich kein Label. Das Zeug sei zu Country oder zu dies gewesen und dann plötzlich eben zu spät.

Natürlich ist „They Called Us Country“ nicht „zu Country“, sondern der typische Deficits-Sound über Countrysongs. Liebevoll, keineswegs kaputt, aber natürlich schon so, dass astreine Countryfans umkippen würden. Aber schon so, dass John Peel jedoch, der die Band mehrmals eingeladen hat, zum Mitsingen hingerissen war. Wenn man so will, passend zur unverwüstlich gültigen Forderung: „put the cunt back in country“. Was man bei den Deficits jedoch nie mit breitbeinig plumpem Countryrrrock übersetzt hat. Vielleicht sehen sie deshalb auf dem beiliegenden Foto eher aus wie die Mitglieder einer Sekte, die sich, möchte ich interpretieren, im Kampf gegen die Reinrassigkeit in der Musik formiert hat.

Auf dem Band-Höhepunkt mit großer Songauswahl, neben Traditionals und Tooke-Songs auch Lee Hazelwood („They Call Me Country“), Al Ferrier, Buck Owens, als Ausreißer Lou Reeds „Satellite Of Love“. Glen Sherleys absolut jugendgefährdende Verbrecherhymne „FBI´s Top Ten“ (meines Wissens der einzige Song, der schon mal veröffentlicht wurde, auf der Split-Single zu einer Split-LP von Silky/DM Bob) wurde wunderbar verdreht, aus dem „Ich“ des langjährigen Häftlings Sherley – der vor allem durch Johnny Cashs „San Quentin“-Aufnahme für ein paar wenige Tage berühmt war, dann erfolglos, unterschätzt und bald vergessen, ehe er sich mit einem Gewehr erschoss – macht Tooke eine „Sie“, die stolz auf diese Nr.-1-Position ist (fast wie ich auf diesen fast nicht zu rettenden Satz).

Das Album ist „wahrscheinlich das letzte“ der Band. Die im Hamburger Komet ebenso wahrscheinlich heute nacht ihr letztes Konzert gibt, um die „wahrscheinlich letzte“ Platte zu feiern. Nach der „wahrscheinlich letzten“ Platte ging die Musikgeschichte weiter, die von DM Bob mit The Watzloves und Jem Finer, die von Susie Reinhardt mit Hoo Doo Girl, die von Tank-Top mit Rock´n´Roll Hotel. Ein Salut auf sie alle. Und auf Off Label Records´ Johnny Hanke natürlich, der die „wahrscheinlich letzte“ Platte aus dem Grab geholt hat. Lobet den Herrn, frohe Ostern!

DM Bob & The Deficits: They Call Us Country. LP/CD, Offlabelrecords.de



OUTLAW BLUES

Zum 70. von Bob Dylan erschien in der jungen Welt eine Serie über einzelne Songs, von Kristof Schreuf, Frank Schäfer, Christof Meueler u.a. (teilweise online, der Link zur jW siehe rechts). Ich nahm den „Outlaw Blues“:

VERGESSEN UND VERROTTET

Von der Höhe eines anderen Jahrhunderts aus gesehen, sieht Bob Dylans „Outlaw Blues“ heute aus wie eine gehisste Flagge. Die im Gegensatz zu anderen seiner Flaggen heute zerrissen, verrottet und vergessen ist. Sieht so aus, als wäre der „Outlaw Blues“ eben nur ein Sandkörnchen im großen Werk. Vielleicht weil er nicht zu den Songs gehört, die einen von Dylans Riesentexten zu schleppen haben, deren Ausdeutung einem Beschäftigung für ein ganzes Leben verschaffen können. Ich weiß es nicht und werd´s nie wissen und das macht nichts.

Begraben liegt der Blues seit dem Frühjahr 1965 auf Dylans fünfter LP „Bringing It All Back Home“. Doch der Blues ist kein Blues, sondern ein Rhythm´n´Blues, der solide und hämmernd nah am Rock´n´Roll gebaut ist, nicht weit weg von den Rolling Stones, die im Jahr zuvor mit der britischen Beatinvasion die amerikanischen Charts geentert hatten. Auf der Platte präsentierte Dylan sich wie bisher mit akustischen Songs wie „It´s All Over Now, Baby Blue“, aber ebenso viele waren  elektrisch wie „Subterranean Homesick Blues“. Damit hatte er sein Entfernen von der Klampfe angekündigt. Später im Jahr kam es zum berühmten Aufruhr beim Newport Folk Festival, als Dylan nicht den ehrlich-bescheidenen Folk, sondern den kommerziell-schrillen Rock und damit den Feind machte. Oberfolker Pete Seeger tobte, versuchte fast alles (außer mit der Axt die Stromkabel zu kappen, wie oft erzählt wird), um den Scheißkrach zu stoppen, berichtete der Festivalmitarbeiter und später gefragte Produzent Joe Boyd.

Wer den „Outlaw Blues“ kannte, wird da nicht „Verräter“ gebrüllt haben (es sei denn, um dem Freund nicht zu verraten, dass man inzwischen selbst zum Folk-Verräter geworden war). Denn Folkheld Dylan hatte doch die neue Flagge gut sichtbar gehisst, sich auch im Text zur LP relativ klar ausgedrückt. Doch wie dann der kürzlich verstorbene große Dylan-Fan Günter Amendt vor wenigen Jahren verblüfft bemerkte, es ist ja selbst heute noch der Klampfen-Bob, der das allgemeine Gehirn beherrscht, nicht  der Rocker-Bob. Der Solo-Klampfer, den ich als Teenager vermutlich 1975 mitbekam, verbaute mir den Weg zum Rocker und dem sonstigen Dylanwerk ziemlich gut; erst sein Spätwerk, speziell ab „Love & Theft“, trieb mich neugierig in den Keller meines Halbwissens, um dann solche Songs auszugraben. Ich bin kein spezieller Dylan-60er-Jahre-Fan und wundere mich, dass in der Tonne Artikel, die grade erschien, so wenig vom Spätwerk die Rede ist. Zu dem der „Outlaw Blues“ eine starke Brücke baut, an deren Ende mein Lieblingssong „Summer Days“ bereit steht.

Es ist nicht leicht, singt der Sänger, so rumzustolpern und in einem komischen Sumpf zu landen, „und ich sehe vielleicht aus wie Robert Ford, aber ich fühle mich wie Jesse James.“ Er fühlt sich wie der legendäre Outlaw, der als Erfinder des Eisenbahnraubs gilt und, im Gegensatz zur Legende, ein mieses Stück war, das keine Robin Hood-Ambitionen hatte. Und er sieht aus wie Robert Ford: ein Möchtegernmitglied der James-Bande, diente und wanzte sich langsam näher und erschoss den Boss von hinten, als ihm klar war, dass er nur durch den Mord berühmt werden würde. Tolles Drehmoment in zwei Zeilen, sozusagen Jesse James gespielt von Dylan in Robert Ford-Maske.

Falls Dylan auf sich anspielt, dann sieht es also so aus, als wäre er der Verräter (der die Folkszene killt), ist tatsächlich jedoch der Outlaw, der gejagt wird, keinen Platz hat und auch noch vom vermeintlichen Kumpel erledigt wird. Ford schießt in dem Moment, als James ein Gemälde an seine Wohnzimmerwand hängt, deswegen die Zeile „Ich werde kein Bild aufhängen“. Verräter überall: Ford verrät James, James verrät den Staat und seine Gesetze, Dylan die Folkmusik. Außerdem gibt´s auch noch den Mann, schreibt Dylan im Text zur LP, der ihn anbrüllt: „Du bist derjenige, der an den Aufständen drüben in Vietnam schuld ist.“

Man muss da nichts interpretieren. Aber von der Strophe versteht man nichts und den Witz sowieso nicht, wenn man nicht weiß, was sich hinter diesen Details aufbaut. (Bis in die hintersten Fußnoten getrieben: der sensationelle Mord wurde damals sofort als Theaterstück durchs Land geschleift, mit dem echten Mörder Robert Ford als Darsteller des Robert Ford, der dann in echt von einem Typen erschossen wurde, der als Mörder des Mörders von Jesse James berühmt werden wollte).

Aus der schnell skizzierten James-Tragödie macht Dylan keine Outlaw-Romanze, es geht mehr um das Gefühl verschwinden, sich entziehen, abtauchen zu wollen. „Ich wünschte, ich wäre auf einem Gebirgszug in Australien“, singt der Sänger, „gibt keinen Grund, dort zu sein, aber ich kann mir vorstellen, dass es eine Veränderung wäre.“ Gespiegelt im LP-Text heißt das mit schwerster Outlaw-Romantik: „Verantwortung/Sicherheit, Erfolg bedeuten absolut nichts.“ Da lacht der harte Rhythm´n´Blues und schlägt sich weiter durch.

„Ich trag meine dunkle Sonnenbrille, ich hab, weil´s Glück bringt, einen Zahn schwarz angemalt“, singt der Sänger. Und kommt damit als Pop-Gestalt oder R´n´B-Typ ins vage Outlaw-Bild; der geschwärzte Zahn war ein alter Entertainer-Trick, damit kriegte man immer ein paar Lacher. Man sieht mit so drei schwarzen Löchern im Gesicht auch unberechenbar aus, und der Sänger schickt am Ende der vierten Strophe eine Warnung hinterher: „Don’t ask me nothin’ about nothin’, I just might tell you the truth.“ Robert Shelton, dessen Lebenswerk von 20 Jahren, die ausufernde Biographie „No Direction Home“ gerade neu aufgelegt wurde, interpretiert es als persönliche Aussage. Dylan hatte den immergleichen Fragenschrott der ahnungslosen Journalisten satt und allgemein seine Position als Wegweiser, Leitfigur, Ratgeber, Auskenner. Die sollten ihn bloß nichts mehr über gar nichts fragen, sonst würde er ihnen noch die Wahrheit reinhauen!

Doch was ist die Wahrheit? Mit den von Produzent Tom Wilson gebuchten Studiomusikern Kenny Rankin, Al Gorgoni, Joseph Macho, William E. Lee, Paul Griffin, Bobby Gregg und Bruce Langhorne nach kurzer Besprechung in einem Lauf den „Outlaw Blues“ zu spielen, obwohl es „keine wirklichen Proben, kein Programm und keinen Plan“ gab, auf eine brennende Art, als hätten sie nie was anderes gespielt, brüderlich angetrieben von Dylans einpeitschender Stimme – ist sie das? Zu der in der letzten Strophe noch eine ganz bodenständige Wahrheit kommt über den Krieg der ungeschriebenen mit den geschriebenen Gesetzen.

„Ich hab eine Frau in Jackson, ich werde ihren Namen nicht sagen“, singt der Sänger, „sie ist eine dunkelhäutige Frau, aber ich liebe sie eben“ („She´s a brown-skin woman, but I love her just the same“). 1965 war das kein so harmloser Vers, wie´s für uns heute klingt (falls wir nicht in einem Streifen leben, wo irgendeine Scheißsittenpolizei kontrolliert, ob wir einen verfluchten Hurenlippenstift tragen…). Wenige Wochen davor hatte Dylan bei einem Besuch in New Orleans die Lage checken können, berichtet Shelton. Sie wollten mit einem Schwarzen in eine Kneipe gehen, kamen aber nichtmal gemeinsam in schwarze Kneipen rein und Dylan rastete aus. „Wir wollen keinen Ärger“, erklärte ihm ein schwarzer Barmann, „die Bullen werden kommen und uns alle einlochen. Geh weiter, Sohn. Irgendwo liegt deine Mutter auf den Knien und betet für dich.“

Dieser Outlaw im Song rastet nicht aus, er ist charmant und verspielt. Und passt zu dem „Alias“, den Dylan dann in Sam Peckinpahs „Pat Garrett & Billy The Kid“ spielte, ein undurchsichtiger Typ, der zu Billys Bande stößt, kaum je was sagt und so nett wirkt, dass man sich nicht vorstellen kann, wie schnell der mit dem Messer ist. Und doch (und irgendwie passend zum Titel) wurde der kleine „Outlaw Blues“ von allen verstoßen. Der Sänger hat seinen Song, sagen die unglaublichen Zählwerke der eifrigen Dylanologie-Homepages, nie gespielt, erst vor wenigen Jahren dann einmal live mit Jack White. Auch die Dylanforschungsarmee beachtet ihn nicht. Wir wissen nicht warum, aber das macht nichts.

Hohes Gericht, dieses dünne Ding von 3:06 Minuten hat lange genug in dunkler Zelle gesteckt! Es wird kein Gesetz mehr brechen und keine Best-Of-Sammlung zerballern, lasst es ins Freie wegrocken, die Zeiten haben sich doch geändert! Aber wohin? Und wem sag ich das?



SPITZENSATZ (3)

klingt erstmal ganz harmlos: „Ihren grundverschiedenen Texten verliehen die Literaten Laut.“ Zeigt aber, dass man um das Pressetextwesen keine Angst haben muss. Bei dem Mut zur gewagten Unterhaltung. Wäre schlimm, wenn solche Leute nicht wählen dürften, das muss eine Demokratie aushalten.



ERNÄHRUNG IST KRIEG

wie man weiß. „Im März fand in Bremen unter Beteiligung des Landesverbands der Linkspartei eine Aktion statt, mit der zum Boykott israelischer Waren aufgerufen wurde“, heißt es in der Mai-Ausgabe von Konkret, und Katharina König, Thüringer Landtagsabgeordnete der Linken und Gegnerin der Aktion, präzisiert im Interview: „Die Aktion wurde vom Bremer Friedensforum initiiert, als Teil einer europaweiten Kampagne, die dazu aufrief, keine Früchte aus Israel mehr zu kaufen und damit wirtschaftlichen Druck auszuüben.“

Dagegen ernähre ich mich schon länger hauptsächlich von Avocados aus Israel. Die Frucht, die demnächst zum Einsatz kommt, sieht aus wie eine etwas groß geratene Handgranate und trägt die Seriennummer PLU 1244 / L-4748. Schön wär’s, wenn man so Haufen wie das Bremer Friedensforum damit in Grund und Boden fressen könnte.



SUPERBASTARD NR. 2

ist soeben erschienen. (Der Superbastard ist das aufgelesene Baby des von mir hrsg. Magazins Bastard, das sich nach der Nr. 1 wieder in ein schwarzes Loch im Universum geflüchtet hat; das Baby schrie jämmerlich, deshalb hat Freund Benedikt Maria Kramer es in seine Obhut genommen und zum schönen starken Superbastard aufgefüttert:)

100 Seiten „Schlagseite“ zum Kostenpunkt 6.– mit Texten von: Florian Günther (Berlin), Andreas Niedermann (Wien), Lydia Daher (Augsburg), Michael Sailer (München), Kai Pohl (Berlin), Gudrun Völk (Lüneburg), Clemens Schittko (Berlin), Franz Dobler (Augsburg), Benedikt Maria Kramer (Augsburg) und HEL Toussaint (Berlin).

Bestellungen an: email hidden; JavaScript is required; für Österreich: email hidden; JavaScript is required  ; und Superbastard auf Facebook

Im Anschluss Werbung für den geschätzten Wiener Songdog Verlag: Neuerscheinung in der Reihe Poetry „Taschenbillard“ vom auch im Superbastard vertretenen Florian Günther (mit einem Nachwort von Peter Wawerzinek („Gute Gedichte sind Tanklastwagen…“). Warenprobe: „Denn als sie die Mauer öffneten,/ sagte sie:/ Nun sie dir bloß diesen beknackten/ Mob an./ Die tun ja gerade so/ als hätten sie jahrzehntelang/ nichts zu fressen gekriegt.“ (Da möchte man doch gleich mal wieder die Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde hören, meint unsere neue Blockpraktikantin).

Ebenfalls neu bei Songdog: „Ein Bericht“ des Schweizer Autors Christoph Bauer (den man auch Roman nennen könnte, schätze ich). Warenprobe: „In jedem Menschen habe ich früher ein Geheimnis vermutet, und hinter jeder Hausecke lauerte ein Abenteuer. Die angesagte Zeit war die Zukunft, und mochte diese auch fehlen, definierten wir uns gerade deswegen stolz durch ihre Abwesenheit.“

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RAINER LANGHANS

im Dschungelcamp, das ist auch eine unfaire Sache, so ähnlich, als würde man einen Guerillakämpfer mit Kindern losschicken, die an Computerspielen trainiert haben.

Große Artikel wurden auf ihn geworfen. Dass sein Buch „Ich bin´s“ (Blumenbar) zumindest sehr interessant ist, wurde dabei nicht erwähnt. Natürlich weil es gegen bahnbrechende Journalisten-Abenteuerwerke á la „Mein Überlebenskampf als ich eine Woche offline war“ oder „Ein Tag durch Berlin ohne Sauerstoffgerät bei vegetarischer Schonkost“ nicht ankommt. So wie ihnen auch nur die Ahnung fehlt, da könnte Humor im Spiel sein.

Eine dieser Beckmann/Kerner-Figuren fragte Langhans einmal so ungefähr, was sie sich bei ihrem 68er-Unsinn eigentlich so gedacht hätten, und Langhans meinte, sie hätten sich gedacht, dass man auf den Leichenbergen von Auschwitz etc. in Deutschland nicht so weitermachen könnte – (damit quasi auch eine Antwort auf das vollidiotische Hasspredigen von Sarrazinfiguren vorwegnehmend). Das Beckmannkernergesicht, das dann runterfiel, das war wahres Dschungelcamp.



SPITZENSATZ II

Die jeweils neueste Ausgabe von Konkret ist wie immer eine 1a-Quelle für unpackbare, unschlagbare Sätze. Speziell die kommentierte Zitatsammlung „Gremlizas Express“ ist allein schon den Kauf des Magazins wert. Hier ein poetischer Diamant des Zeit-Herausgebers Giovanni di Lorenzo, den Konkret-Herausgeber Gremliza aus der Frankfurter Allgemeinen gefischt hat:

„Wenige Stunden vor dem Tod des Papstes, berichtet Lorenzo, habe er die Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale aufgesucht und dabei eine paradox anmutende Erfahrung gemacht: ‚Nicht wir waren ihm, dem Papst, im Sterben nahe, sondern der Papst war sterbend bei uns‘.“

Und in der Konkret-Rubrik „Herrschaftszeiten“ darf er natürlich (oder schon naturgemäß) nicht fehlen, unser fast schon Lieblingsadeliger, der große Filmschaffende Henckel von Donnersmarck, der, egal wo und wann, immer die ganz großen, im Sinne Deutschlands auch besonders aussagekräftigen Sätze herausproduziert, in einem Ausmaß, dass man schon fast den Hut ziehen muss, dass er nebenbei auch noch Filmewerke hinkriegen kann. Hier  ein auf der Berlinale 2009 vom Stapel gelassenes Flackschiff:

„Hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen, wären Sebastian Koch und Ulrich Tukur genauso große Stars wie George Clooney und Johnny Depp.“ – Moment, es gibt tatsächlich noch einen drauf: „Das hat mit politischen Zufälligkeiten zu tun.“

Melancholische Stimmung vor dem Jahreswechsel: Ich glaube, die Speerspitze des deutschen Adels wird selbst dann noch Europa regieren, wenn sogar Éinzeller nicht mehr überleben können.



WEIHNACHTSGEDICHT

Die Süddeutsche Zeitung hatte gefragt, ob auch ich für die Ausgabe vom 23.12. ein Gedicht, in dem irgendwie „Stille Nacht“ vorkommt, schreiben könnte. Folgendes fiel für mich vom Himmel:

RUHE, KINDER! JONATHAN MEESE SPRICHT IN BILD!

Stille Nacht, stille Nacht – wir hören jetzt auch einmal

wieder AC/DC, bis dass es kracht.

Heut besucht uns der Freiherr vom Karl-Theodor.

Viel Glück wünscht er uns im AC/DC-T-Shirt.

Schaut aber schon auch scheißneu aus.

Ruhe, Kinder! Marius Müller-Westernhagen spricht in BILD!

Ein Schneechaos wieder auf der Hartz 4 und

mein Kopf ist ein brennendes Auto.

Wer will das selber gestrickte Unterhemd

mit dem Aufdruck schwarz auf weiß (oder umgekehrt)

Freiherrin vom Stephanie loves u 2

beim RTL-zwo gewinnen?

Die Mutti kniet breit unterm Bäumchen und

in meinem Kopf geht es zu wie nach

der letzten Zugabe von der AC/DC-Coverband.

Ruhe, Kinder! Jonathan Meese spricht in BILD!



BEAR FAMILY BOSS

und mehr noch das Herz der einzigartigen Plattenfirma, the one and only Richard Weize, hat anlässlich des 35jährigen Firmenjubiläums im SZ-Magazin-Blog von Johannes Wächter ein sehr interessantes Interview gegeben. Wie immer gradraus und informativ.

Eine Bemerkung zu Johnny Cash: Er werde „inzwischen hochgejubelt ohne Ende – ich halte ihn nicht so für eine Lichtgestalt. Sein Problem war, dass er von 365 Tagen im Jahr 330 auf Tour war, weil er sich nichts anderes vorstellen konnte.“ So ist es, da gibts gar nichts rumzujammern für Fans, die Cash für ’ne Art Ersatzjesus halten, der den Abflug irgendwie nicht geschafft hat.

Als wir vor ein paar Jahren gemeinsam auf Tour waren, saßen wir zusammen mit Nils Koppruch spät nachts in einer Hotelbar und Richard erzählte was über die Cash-Dylan-Tapes, von denen offiziell nur ein Song jemals erschienen ist. Er glaube, er sei der einzige, der wisse, wo die Originalaufnahmen im Bunker von Columbia zu finden seien, sagte Richard (und vermutlich fügte er sowas hinzu wie: die ganze Bande hat doch eh keine Ahnung). Wir glaubten ihm voll und ganz.

Von seinen vielen Großtaten fand ich in letzter Zeit die Serie „Dim Lights, Thick Smoke And Hillbilly Music“ besonders. Von 1945-55 je ein CD-langer Blick auf die „Country & Western Hit Parade“ des Jahres, ausgewählt und jeder Song ausführlich kommentiert von Colin Escott, und deshalb sind da nicht nur Hits, sondern auch Nicht-Hits, die jedoch starke Wirkung zeigten.

Gipfel von Richards totaler Leidenschaft, die nicht selten geradezu kommerzfeindlich zu sein scheint, ist für mich Jenks „Tex“ Carman, „the Hillbilly Hula“, vielleicht auch „Cow Punk“, wie ein Album benannt wurde, in jedem Fall maximal ab-, über- und aufgedreht, nicht nur, wenn er auch noch im vollen Indianerkopfschmuck hawaiianisch-texanisch spielt. Dabei Hasil Hadkins technisch absolut erreichend, also ebenfalls jenseits üblicher Gitarrentechnikvorstellungen. Die Messlatte für alles, was sich crazy Musiker nennt bzw. das anstrebt.

Das ganze Interview mit Richard Weize: sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs



Spitzensatz

Es müsste eine Kulturbehörde geben – geleitet von Steffi zu Guttenberg, wenn’s sein muss, mit dem „Journalisten“ Günter Jauch im Beratungsgremium, drunter wird’s kaum gehn – die einem einen Finderlohn zahlt, wenn man im Netz Spitzensätze findet und weitergibt, und hierfür den Höchstsatz:

„Er sieht aus wie 74, macht auf 30, ist aber 45 und seit 3 Jahren in Pension, und ich folge ihm in Gedanken in seine Schweinsbraten durchfurzte Wohnung, wo er zusammen mit Hundi lebt, den er als einzigen auf der Welt lieb hat, weil der ihn nie betrügt und immer so dankbar schaut, wenn er ihm eine neue Dose gegrillten Neger aufmacht.“ (Andreas Niedermann)

Den großartigen Block meines Freundkollegen Andreas Niedermann muss man lesen (Verbindung s. rechte Spalte). Und sein neues Buch, den kurzen Roman „Die Katzen von Kapsali“. Den man bei seinem beachtenswerten Songdog Verlag bestellen kann („unbedingt“, wie Friedrich Ani zu sagen pflegt). Ein Buch über Arbeiten, Jobs, Ein- und Ausstellung.

„Ich entstamme einem Milieu, in dem Arbeiten gleichgesetzt war mit Leben. Ich fing auch schon sehr früh damit an und hatte meinen ersten, regelmäßigen Job mit 10“, sagt der Autor in einem kurzen Interview im Anhang, und: „beinahe alle Schriftsteller in der Schweiz waren Lehrer. Bis auf einige, großartige Ausnahmen. Man bezog ein gutes Lehrergehalt und erledigte das Bücherschreiben in den Ferien. Für mich war und ist Schriftstellersein eher eine Art zu leben…“

Zugabe aus dem Buch: „Die ganze Nacht über Vibration und Gebrumm. Ich versuchte etwas Schlaf zu finden. In einem Pullman-Sessel. Inmitten all der Deutschen, die gleich eine Art Camp errichtet hatten. Mit Schlafsäcken, Decken, Rucksäcken, Kulturbeuteln und Plastikflaschen. Die paar Griechen, die es hier ebenfalls gab, hatten sich in die Sessel gefläzt und losgeschnarcht. Das können die. Ich dagegen kriegte kaum ein Auge zu.“