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DIE WIESN DIE WIESN

ist – von allen ungemahten Wiesen – schon die schönste. Und selbst wenn man schon beim Dirndlanziehen hackedicht ist, gibt es einen Grund hinzugehn. Ich habe ihn in der Süddeutschen Zeitung vom 21.9.2000 beschrieben (und der Artikel ist, von der gesellschaftlichen Position Dr. Stoibers und vom von uns gefahrenen Haider Jörgl mal abgesehen,  nicht so durch wie die  Supermodels vom letzten Jahr):

Das Herz von der ganzen Wiesn

Die Krinoline, ihre Blasmusik und ihre erste CD

Am dritten Wiesnabend um halb Sechs wird’s spannend an der Krinoline, dem ältesten Fahrgeschäft auf dem Oktoberfest. Sechs Polizisten kommen zum Karussell gerauscht, und ein Schwung Medienleute ist auch da.

Fotoausrüstungen, Fernsehkameras. Was wird denn jetzt hier wieder gespielt? Kommt der Stoiber? Der Haider? Oder beide zusammen?!

Warum nicht ? Aber jetzt nicht. Die eine Truppe redet ein paar ernste Takte mit einigen jungen Burschen, denen das böse Wiesnkoks weniger geschadet hätte als die hiesige Lieblingsdroge. Und die andere Truppe hat die fünf Musiker der Krinoline Blaskapelle im Visier. Denn die kann in ihrem 63. Jahr ihre erste CD präsentieren: „Biermusik!“ Der Titel kommt vom Tenorhornisten Franz Fürst: „Wir spielen keine Volksmusik, wir spielen Biermusik!“ Eben, wo doch die Wiesnvolksmusik bei all den Alpenyuppies gut aufgehoben ist, mit deren Spielen und Trachten die Krinoline-Combo etwa so viel zu tun hat wie ein Vilsmaier-Film mit einem von Achternbusch. Oder das Karussell mit dem riesigen Olympia-Looping, vor dem es aufgebaut ist; wie der Hightec-Maschine zum Fraß vorgeworfen schaut’s aus der Entfernung aus. Aber es ist unwahrscheinlich, dass das tolle Ding die gemächliche Attraktion seit 1924 überleben wird. Gemächlich? Vorsicht. Das Drehen und dabei Schaukeln hat’s in sich, wie die Krinoline eben, der „schwingende Reifrock der feinen Damenwelt um 1860“. In Begleitung der so unmilitärisch klingenden Kapelle, die in einem an der Außenwand befestigten Kabuff sitzt und die man beim Fahren ständig lauter und wieder leiser hört, entsteht eins der schönsten mir bekannten Gefühle.

Die Brüder Sepp und Franz Schmid stehen im Mittelpunkt des Abends, denn die beiden Flügelhornisten sind nicht nur die Seele der Kapelle. Allein dies ist schon eine kräftige Lokalmeldung: Die ältesten Münchner Zwillinge – mit 90 das erste Album! Die langjährigsten Wiesnmusiker sind sie sowieso. Seit der ersten Nachkriegszeit haben sie sich durch fast alle Bierzelte gespielt, ehe sie vor bald 30 Jahren in die Krinolinen-Band eingestiegen sind, und damit entkommen dem „ganzen Rauch und Radau“ und auch dem Dirigenten – so eng ist es, dass die Drehscheibe, wenn sie am Höchsten schwingt, ihm glatt den Kopf abschneiden würde, so nah sind die Fahrer den Musikern.

Die „Schmid Buam“ stellen sich für die Fotografen auf. Sie sind stolz, sie freuen sich wie die Schneekönige und sie strahlen so viel Würde aus, dass die Wiesn für eine Minute verstummen müsste. Wir möchten nicht glauben, dass das ihre letzte Saison sein soll.

Diese Musik „strahlt einen geradezu exotischen Reiz aus“, bescheinigte sogar die Sänger- und Musikantenzeitung. Weil eine fünfköpfige Blasmusik eine schön abgespeckte, verfremdete Blaskapelle ist und somit auch der letzte Gassenhauer neu und ungewohnt klingt, speziell für’s Quintett arrangiert. Die schmale Besetzung hat sich aus Platz- und Finanzgründen ergeben, und ihr Sound aus der Notwendigkeit, sich der eleganten Karussell-Bewegung anzupassen: Die Musik ist weich und gefühlvoll, eigentlich nicht weiter weg von Swingjazz als von Blaskapellenmusik, deren Zackiges und Marschierendes verbannt wurde. Das gehört zur großen Schmachtfetzenmusik, so in der Mitte zwischen Mariachi und finnischem Tango. Wenn’s einen echt bayerischen Soul gibt – das muss er sein.

Der Groove des Karussells

Vor allem die Schmid-Brüder stehen für diesen einzigartigen Klang, und deshalb hat die Plattenfirma Fischrecords für die CD die Kapelle um sie herum gebildet (vom Krinoline-Stamm sind die Tenorhornisten Franz Fürst und Sigi Kaiser dabei und an der Tuba Sepp Preis). Im Tumult am Karussell kann der Musik nie die ganze Aufmerksamkeit gehören, und so ist das Album (das am Fahrgeschäft sinnigerweise nicht verkauft werden darf) mehr als nur ein Souvenir, ohne Publikum, aber live, an zwei Tagen im Studio eingespielt. Im Begleitheft entdeckt man Worte wie „Groove“ und „Bavarian Bluenotes“ („kleine musikalische Unsauberkeiten“, die im Interesse eines blitzsauberen Gesamteindrucks nicht weggesäubert wurden); das ist ungewöhnlich für eine Platte mit Volks-, pardon Biermusik, und es stellt sich die Frage, wer das endlich einmal dokumentiert hat.

Wird schon kein Zufall sein, dass Fischrecords nur eine Art Bastard der Volksmusik-Szene ist. Dahinter stecken Hans-Peter Falkner, bekannt als Ziehharmoniker des heftigen Linzer Duos Attwenger („wir probieren gerade neue Songs“), der andererseits mit astreiner Volksmusik aufgewachsen ist und sie mit seinen Eltern schon lange spielt; und zweitens Hias Schaschko, Münchner Postkartenverleger, Grafiker, „Intim-DJ“, Musikherausgeber und seit vielen Jahren Krinoline-Fan. Er hatte schon die Fäden gezogen, als die Krinoline-Band 1992 bei einem Attwenger-Konzert den Anheizer machte. Es ist ihre siebte CD mit alpenländischer Rootsmusic. Dokumente, aufgenommen, ehe sie zwischen den Blöcken porentief reine Museumsvolksmusik und Volksballermann womöglich verschwunden sind.

Während die zweite Schicht der Krinoline-Blaskapelle zu arbeiten anfängt, steigt im Hinterhof eine kleine Feier, eingeklemmt zwischen Karussell und rasendem Looping. Kein Außenstehender käme beim Anblick der Gäste auf die Idee, dass hier die Herzkapelle der Wiesn geehrt wird, und andererseits fehlen die bei „Release Parties“ üblichen Angebergestalten. Die Bewirtung ist optimal, Augustiner vom Fass und Brezen. Karussell-Chef Theo Niederländer, der Enkel des Begründers, der dieses Unikum nur einmal im Jahr mit Liebe zum Detail aufbaut, hält bescheiden eine kurze Rede, und die von Schaschko ist ganz kurz. Kein Getue, keine Scheinwerfer, und Musiker mit sonnigem Gesicht. Neben der Musik ist es das, was alle an diesem Album Beteiligten verbindet: nirgendwo ist was Aufgemotztes im Spiel – an diesem Ort!

Die Aufgänge zum Karussell sind schwer belagert. Erwachsene vier, Kinder drei Mark (Verliebte frei, das fehlt noch). Die Welt dreht sich und man erkennt doch alles genau auf der leuchtenden Wiesn. So sieht sie gut aus. Und die Krinoline Blaskapelle spielt „La Paloma“. Wem jetzt das Herz nicht brennt, der hat nur eins aus Lebkuchen.

(Die CD „Biermusik!“ gibt’s im Fachhandel, Vertrieb Indigo/Hoanzl, die Live-Musik täglich von 15 bis 23 Uhr auf der Wiesn.)



FEMINISMUS & CAMORRA (& …)

Zu diesem schönen Thema stand auf der Feminismus-Seite der Jungen Welt vom 11. September ein AP-Bericht von Frances D’Emilio. Schon der Anfang ist filmreif: „Sie führen Pseudonyme wie ‚Dicke Katze‘ oder ‚Wildfang’…“ Und natürlich machen diese Herzchen Karriere, weil ihre Süßen eingebuchtet sind.

Bevor die 4-teilige Serie in der Brigitte kommt, will ich gern den Vorbau dazu weitergeben: „Vielfach besetzen die Frauen der Camorra zwar nach wie vor die eher traditionelle Rolle und schneiden und verpacken Kokain und Heroin in ihrer Küche. Zunehmend aber erpressen sie selbst…“

Während sich die neapolitanischen Killerbienen also zunehmend etwas mehr emanzipiert haben, „haben sie in der sizilianischen Cosa Nostra diese Möglichkeiten offenbar nicht“, werden die Untersuchungen des Historikers Ombretta Ingrasci zusammengefasst.

Die Feminismus-Seite der Jungen Welt erscheint jeden Freitag, und wenn nicht deswegen, dann muss man sich an diesem Tag die Ausgabe wegen der Kolumne von (Jörg) Schröder & (Barbara) Kalender kaufen. Um sich dann vielleicht mal wieder geradezu endlos auf ihrem Riesenblock auf der taz-homepage festzulesen. Da hat man dann sein Lachen über die allerneusten Netz-Manifeste auch gleich schnell vergessen und kann sich locker tagelang mit was Sinnvollem beschäftigen.

An diesem 11. September erzählt die Kolumne wie März-Verleger Schröder mit 17 Erich Wollenberg, u.a. während der Räterepublik stellvertretender Oberkommandant der Roten Armee bei Dachau, kennenlernte. Letzter Satz: „Dennoch, diesem Mann verdanke ich meine Initiation als Linker“.



MEINE GROSSEN GEFÜHLE

oder besser gesagt meine überwältigenden bezüglich des bayrischen Biergartens habe ich im August-Heft des Magazins A GUIDE so ehrlich wie noch nie beschrieben:

DOOF / Ich wurde dann doch nicht wahnsinnig, aber ich war, wie immer, kurz davor, es zu werden, und im Sommer hat ein Mensch mit einer minimalen Restsensibilät sowieso kaum eine Überlebenschance.

Einmal eine Stunde in einem Biergarten sitzen, und ich bin eigentlich schon so gut wie selbstmordgefährdet, beziehungsweise umgekehrt.

Einige Sätze, die in den letzten Wochen durch mein Trommelfell kamen, weil sie von meinem körpereigenen Akustikabwehrsystem nicht rechtzeitig entdeckt wurden. Es sind nichtmal die besten, und es sind nichtmal fünf Prozent.

„Mag sein, dass sie nicht doof ist, aber ihre Wohnzimmergarnitur ist vier Jahre alt und grün, das würde ich mir echt nochmal gut überlegen, wenn ich du wäre“. Genau an dem Punkt und ohne eine nennenswerte Ergänzung blieb diese an sich schon mörderische Frauenstimme eine Stunde lang hängen, und obwohl ich mich selbst geradezu behämmert intensiv mit jemandem unterhielt, entkam ich ihr nicht.

„Du kannst über Seehofer sagen, was du willst, aber er will´s wirklich wissen“. Genau an dem Punkt blieb der Rettet-die-Bürokratie!-Mann, der nur einen Wunsch in mir weckte, in die Deutsche Demokratische Republik flüchten zu können, eine Stunde lang hängen.

„Das musst du mir erstmal beweisen, dass Michael Jackson nicht ermordet wurde“. Genau an dem Punkt und mitten in einer bayrischen Kleinstadtmetropole, die bis heute stolz darauf ist, von einer der übelsten Bankiersfamilien der Weltgeschichte geprägt und beseelt oder,  von einem anderen Blickwinkel gesehen, umgelegt und eingemottet worden zu sein, blieb das Paar, von dem ich überzeugt war, dass es sein Kind sofort über den Zaun nach Neverland werfen würde und eine Klage wegen Kindesmissbrauch eingereicht hätte, noch bevor das Kind auf dem Boden aufgeschlagen hat, eine Stunde lang hängen.

Es gibt Schlimmeres, ich weiß; allein schon die Vorstellung, man wäre gezwungen, sich jedes Interview von diesem vernagelten Bischof in voller Länge anzuhören, ist schlimmer.

Aber weil ich zum Glück nicht ganz blöd bin, habe ich dann herausgefunden, dass es in Bayern kein Gesetz gibt, das einen zum Biergartensitzen verpflichtet.

Ja, das war mir auch neu. Wie alle, die ich kenne, die nicht wahnsinnig geworden sind und in einer Geschlossenen sitzen, bin ich immer davon ausgegangen, dass jeder von uns verpflichtet ist, pro Saison mindestens zwanzig Stunden im Biergarten zu sitzen. Es ist nicht zu fassen, wieviele Qualen ich mir in meinem Leben hätte ersparen können. Kann man sie nicht verklagen? Wegen Vortäuschung eines Gesetzes?

Darüber habe ich dann nachgedacht, wieder einmal im Biergarten. In dem ich nur saß, weil das Gefahrenpotential gegen Null ging. Weil es grade geregnet hatte und gleich wieder regnen würde. Und weil mein Hirn schon erheblich verregnet war, hatte ich nicht bedacht, dass sich in dieser Wetterlücke der Biergarten naturgemäß innerhalb von Minuten füllen würde. Und obwohl ich aus meinem Schädel schaute wie der Serienmörder Ed Gein in seinen dunkelsten Momenten, setzte man sich auch zu mir.

„Ach, ist das schön hier“, sagte die Frau.
„Wunderbar“, sagte der Mann, „wie im Paradies“.
„Bei uns damals in Jena vor der Mauer gab´s ja auch viele Biergärten“, sagte die Frau zu mir und lächelte mich an.

„Ich weiß schon, dass bei euch nicht alles gut war“, antwortete ich freundlich. Dann musste ich laut werden. Ich spürte, dass ich kurz davor war. Und dass ich noch nicht bereit war. „Franz!“, schrie ich, „ein Notfall! Zehn Halbe für mich, aber auf einmal und pronto!“



IST DIETER ALTHAUS

eigentlich auch so ein „Dr.“? Ich weiß es nicht. Aber ich habe ihn am 27.8. im thüringischen Sonneberg gesehn, gehört, gesprochen. Ja, es war noch eine andere Welt, aber ist sie das nicht jeden Tag schon wieder?

Der Dieter war – neben Rockröhre Petra Zieger (und ihrer Band), die nun seit über 25 Jahren auf Rocktour ist, was wohl niemand mit klarem Verstand überstehn könnte, seien wir ehrlich, und einem Pro7-Moderator, der mich zur Frage brachte, warum ein TV-Moderator auch ein Parteiveranstaltungs-moderator sein kann, egal, das sind Kleinigkeiten, die eine Demokratie wohl locker wegstecken können muss – die Vorband für Dr. Merkel, die dann zu den Klängen der Rolling Stones´ „Start Me Up“ die Bühne betrat, weswegen ein Bier nur 1,50 kostete und man lügen müsste, wenn man behauptete, so ein günstiges Bier würde so einer politischen Angelegenheit nicht einen schönen Bonus verpassen.

Die Idee des politischen Stuntman ist nun immer noch nicht aus der Welt geschafft („geschaffen“?!) bzw. hinreichend glaubwürdig dementiert in den Einzelfällen, und deshalb war ich mir zumindest fast ganz vollständig sicher, dass der Mann, mit dem ich mich nach der Veranstaltung unterhielt, der Dieter war. Er sah aus wie er, und er nickte auch noch verständig, als ich ihm aus gesundheitlichen Gründen riet, sich vielleicht doch weniger im Politikmachen zu üben und stattdessen mehr im Skifahren, also durfte ich doch sicher sein, dass er der Dieter ist, aber seit heute bin ich mir dann doch wieder nicht so sicher.

Aber verstehen kann ich das in jedem Fall, weil mich selbst bei guten Ratschlägen auch immer gleich der Zweifel plagt; andererseits ist es natürlich wichtig im Leben, manchmal einen guten Rat als solchen zu erkennen. Manchmal frage ich mich dennoch, ob es überhaupt gut ist, irgendwas zu den Klängen der Rolling Stones zu machen, und sei es nur was im Haushalt. Aber manchmal frage ich mich das dann wieder nicht.

Ein Freund meinte dann, er hätte lieber „Rocky I“ genommen, wenn er was zu sagen gehabt hätte. Ich meinte dann, dass ich „Rambo I“ tausendmal besser als „Rocky I“ finde. Dann haben wir uns aber ganz schön gestritten. Ehe wir nach Stunden dahinter kamen, dass er vom Soundtrack, ich aber vom Film sprach. Das war dann schon etwas blöd, aber weil wir Freunde sind, konnten wir auch drüber lachen. Obwohl da das Bier schon wieder 3,20 kostete.

Es stimmt so vieles nicht in Deutschland! Deshalb haben wir uns fest vorgenommen, das bei der Wahl zu berücksichtigen.



ÜBER DAS WOODSTOCK-FESTIVAL

veröffentlichte ich, in einer unerheblich gekürzten Version,  in der Taz vom 14.8.09 dies:

Das Bad in Gottes Freudentränen

Wenn man nur die Zahlen nimmt, ist es verständlich, dass „Woodstock“ als die Mutter aller Rockfestivals gesehen wird. Doch der Ausdruck Rockfestival trifft´s heute nicht mehr gut, Woodstock war ein Gesamtkunstwerk, in dem Gefühl, Haltung, Verbundenheit, Protest wohl stärker waren als die Kunst. 100 Meilen weg von New York begann die Show mit Richie Havens am frühen Abend des 15. August 1969. Eine halbe Million Menschen waren dabei, und grob geschätzt nochmal so viele wurden von Cops und anderen Umständen daran gehindert, zu ihnen zu stoßen.
Das überstieg die Erwartungen der Firma Woodstock Ventures um ein Mehrfaches. Diese Masse war weder zu kontrollieren noch ausreichend zu bedienen, und das dabei entstehende Chaos war, was Kulturveranstaltungen betrifft, ebenfalls weltrekordverdächtig – ach was, Unsinn, es war halb so wild. 50 Nazis, die man heute irgendwo frei herumhängen lässt, richten mehr Schaden an.
Woodstock hatte einen Unfalltoten zu verzeichnen. Ein paar Tausend wurden, zumindest vorläufig, erfolgreich medizinisch betreut. Kein wütender Farmer benutzte seine Flinte. Von Vergewaltigungen ist nichts bekannt, und „sogar Sonny Bargers Putztruppe“ namens Hell´s Angels „lässt sich einlullen von der geselligen Stimmung hier, wird von der Menge einfach absorbiert und neutralisiert“, schreibt Frank Schäfer in seinem Buch „Woodstock ´69“.
Ich denke, das muss man erwähnen. Und der wachsenden Zahl von Gestalten jeden Alters, die der sog. Woodstock- oder 68er-Generation die Schuld an den unfassbar vielen verletzten Seelen und kaputten Sitten in Deutschland oder den USA geben, mit Elvis Costello antworten, der nicht zufällig 1979 Nick Lowe zitierte: „What´s so funny ´bout Peace, Love, and Understanding?“ Sage ich, der ich, als Woodstock geschah, neun Jahre alt war, und erst etwa 1976 in der bayrischen Provinz zwangsläufig von Album und Film eine zeitlang fasziniert und angeturnt. Nur wenige Bands interessierten mich länger, und dann war Woodstock nur noch ein Kulturphänomen, das mich in den Spiegelungen von Autoren wie Thompson und Tosches beschäftigte, und vor allem in Ed Sanders´ Untersuchung über den Zusammenhang von Hippiekultur und Charles Manson, dessen Gläubige eine Woche vor Woodstock Sharon Tate u.a. ermordeten. Also, Woodstock und ich? Obwohl ich jetzt Mike Wadleighs Director´s Cut unbedingt im „Fännsäh“ (Fanny Müller) hatte sehen wollen, schlief ich nach einer Stunde ein. Und die neue 6-CD-Box „Woodstock 40“ mit, zusätzlich zu den bekannten, „über 38“ (Presseinfo) unveröffentlichten Aufnahmen (dabei keineswegs vollständig, das geht gar nicht), und das Ganze erstmals in der richtigen Reihenfolge, kann ich mir niemals auch nur annähernd komplett anhören.
Und dennoch, ich kann es absolut stark fühlen: ich würde mich lieber mit diesen Hippies im Schlamm wälzen und Joe Cocker hören, als am Arm des Dr. zu Guttenberg in Bayreuth einmarschieren, und ich würde mich in meinen dreckigsten Cowboystiefeln auf den Wohnzimmertisch von Christoph Schlingensief stellen und ihm das erklären.
Obwohl also dieses Chaos von einem Unwetter gefördert wurde, war es zu klein, um die Produktion von fast 50 Stunden Live-Musik zu verhindern und die daraus folgende Flut von Stoff davon und darüber. Allein jetzt zum Jubiläum – wer sich fragt, was an dieser „40“ eigentlich so toll ist, werfe „Woodstock“ und „Ed Ward“ in seinen Computer – sind in den USA mindestens 19 Bücher zur Masse der Woodstock-Literatur dazugekommen, darunter ein „Guitar Songbook“, das Drehbuch zum kommenden Ang Lee-Film „Taking Woodstock“ und die Erinnerungen der Tochter von Max Yasgur, der sein Land für die Jugend und 50 000 $ hingegeben hatte. Und sechs neue Bücher gibt´s auf Deutsch.
Es war der Untertitel von „Making Woodstock“, der mich wieder animierte: die Geschichte des Festivals „erzählt von denen, die es bezahlt haben“, im Original bereits 1974 mit dem Titel „Young Men With Unlimited Capital“ erschienen. John Roberts hatte „ein paar Millionen“ geerbt, Joel Rosenman, Sohn eines prominenten Kieferorthopäden, war Anwalt; beide Anfang 20, gebildet, abenteuerlustig, keine Hippies. Sie wollten ins Finanzgeschäft einsteigen und gerieten bei der Suche nach einem passenden Objekt, aus dem was zu machen wäre, an die Business-Hippies Artie Kornfeld, „Chef von Contemporary Product bei Capitol Records“, und Mike Lang, der schon das Miami Pop Festival mitorganisiert hatte, Männer, deren Vorstellung von „groovy“ etwas beschänkt war und die in der vor allem im Musikgeschäft blühenden Endphase der Hippiekultur immer irgendwas auf der Pfanne hatten. Aus der Idee, ein Tonstudio in Woodstock aufzubauen, entstand das Festival. Die Hippies waren für die Bands zuständig. Und das Chaos grinste bald durchs zugekiffte Bürofenster.
Diese beiden gegensätzlichen Freundespaare stehen für alle Widersprüche, die an Woodstock zu erkennen sind (außer im Film), und sie konnten schon lange vor dem Festival nicht mehr gut miteinander. Ich gesteh´s: die beiden Woodstock-Kapitalisten und ihr genau genommen Anti-Woodstockbuch sind mir sehr sympathisch (weiß schon: man soll ihnen nicht alles glauben). Sie erzählen mit Gespür für Komik und Irrsinn und die verschiedenen Kulturen, die da aufeinanderprallen, und es liest sich wie ein Cheech & Chong-Film von Woody Allen, der seinen Reiz aus diesem Finanzblickwinkel bezieht. Ich mag die Kapitelanfänge, z.B. 15. Juli 1969: „Gelände: keins … Einnahmen aus Ticketvorverkauf: 537.123 Dollar / Gebuchte Musiker: unklar / Rechtsanwälte: 5 … einer in New York City zwecks politischer Einflussnahme … Mobile WCs: weitere 500 bestellt, insgesamt 2000 / Ausgaben: 481.519 Dollar“.
Erst nach zwei Dritteln des Buchs schreit Richie Havens „Freedom!“ Dass er bei seinem Auftritt so brennt, als kniete er vor dem Jüngsten Gericht, wird mit keinem Wort erwähnt. Logisch: weil die Erzähler, wie alle seriösen Organisatoren von größeren Veranstaltungen, von ihrer Show wenig mitbekommen haben, stattdessen beschäftigt waren, Hubschrauber, Geld, Spezialkram für Musiker oder Ärzte zu beschaffen. Während Mike Lang, der sich schon damals als „the man behind the legendary festival“ etablierte (so auch der Untertitel seines neuen Buchs), den Reportern erzählte, dass aus Überzeugung und um des lieben Friedens willen keine Polizisten im Einsatz wären, organisierten Roberts/Rosenman sowohl uniformierte als auch New Yorker Polizisten, die frei hatten und keine Erlaubnis, in Woodstock zu arbeiten, und sie bedanken sich bei ihnen.
Als Jimi Hendrix am 18. August, Montag vormittag, auf die Bühne geht, und bei nur noch 30-40 Tausend Leuten nichts mehr schiefgehen kann, haben es die beiden so satt, dass sie zurück nach New York fahren – und deshalb muss, wer über dieses Finale alles erfahren will, zu Frank Schäfers „Woodstock ´69“ greifen. Da steht, was dort fehlt – und umgekehrt: bei Schäfer ist der Zoff zwischen dem linken Polit-Chef Abbie Hoffman und Pete Townsend auf der Bühne detailliert beschrieben samt Hintergrund; und Roberts/Rosenman erzählen detailliert, wie Hoffman Woodstock Ventures ziemlich fies erpresst hat. Dass Schäfer ein Autor ist, der nicht nur selbst Literatur schreibt, sondern auch gleichermaßen immer gut über Popmusik und Literatur, ist der Glücksfall für diese Art Darstellung. Es ist das Woodstock-Buch, das man lesen kann, wenn man nichts mehr davon hören will (außer, übrigens, die vielen bislang unveröffentlichten An- und Durchsagen auf der Neu-Edition).
Hendrix hatte sich nicht als Vietnam-Gegner hervorgetan, als er sich als Headliner des Festivals lang nach der geplanten Zeit dem letzten müden Rest der Truppe präsentierte, schreibt Frank Schäfer, und er hatte seine Version der Hymne schon oft gespielt, ohne dass es eine Wirkung gehabt hätte. Es war der „adäquate Schauplatz“, der „Star Spangeled Banner“ zur Legende machte, und Hendrix war vom Ereignis so beeindruckt, dass er ein Gedicht darüber schrieb. Was für manche nur Dreck war oder ist, hatte er anders empfunden: „Wir badeten in Gottes Freudentränen und tranken davon“.
„Happy Birthday, liebes Woodstock-Festival!“, textet die Bildzeitung 40 Jahre später, und da brauche ich dann aber was Stärkeres zu trinken als die Tränen, die mir da kommen.

Joel Rosenman/John Roberts/Robert Pilpel: Making Woodstock. Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel/Stefanie Fahrner. Orange Press, 2009, 280 S.
Frank Schäfer: Woodstock ´69 – Die Legende. Residenz Verlag, 2009, 206 S.
„Woodstock 40 Years On: Back To Yasgur’s Farm“: 6-CD-Box, Rhino/Warner, 2009



EINEN FUSSBALLTRAINER

der zu einem schwachen Spieler sagt: „Du spielst wie ein Mädchen“, muss man feuern. Genauso, wenn er zu einem Spieler sagen würde: „Streng dich mehr an, Nigger, sonst schicken wir dich in den Urwald zurück“.

Der FC Augsburg hat in den letzten Jahren so viele Trainer gefeuert, da kommt´s auf so einen auch nicht an.



DIE NEUE BAND IM HIMMEL

dürfte mit James Luther Dickinson, der am 15.8. zur Probe erschien, komplett sein, und die anderen Kapellen, die dort ohne den Druck von Plattenfirmen frei aufspielen, nervös machen. Es ist eine Legende, dass es unter den Künstlern im Himmel keine Konkurrenz gibt, und natürlich spricht niemand darüber.

Die zu Erdzeiten geschaffenen Produkte der Neuzugänge werden archiviert. Ein Typ, der aussieht wie John Denver, der sich als Johnny Thunders geschminkt hat, zieht den Karren, auf dem die Dinger von Deville und Dickinson gestapelt sind, und er stöhnt, weil er den schweren Karren kaum ziehen kann. Dafür kann Deville nichts. Da ist Dickinson dran schuld.

Der Typ macht Pause. Er nimmt auf gut Glück was aus den Stapeln und legt was auf den Plattenspieler, der auf den Karren gebaut ist. „Dixie Fried“ von James Luther Dickinson, Tav Falco´s Panther Burns mit Dickinson, Alex Chilton produziert von Dickinson, ein Ry Cooder-Soundtrack mit Dickinson, Willy DeVille produziert von Dickinson…  So vergehen die Jahre.

Während die neue Band auch mal Pause macht und Dickinson eine Stones-Story erzählt. Da lachen die Kollegen. Und wenn Charles Feathers erzählt, wie er Elvis Gitarrespielen beigebracht hat, lachen sie noch mehr. Und wenn Carl Perkins einen Ton anschlägt, sind sie sofort dabei.

Es ist saulustig in manchen Abteilungen des Himmels. Nur der Typ, der den Karren ins Archiv zieht, hat selten was zu lachen, wenn er Pause macht und auf gut Glück was aus den Stapeln zieht.



WILL DENN IN CHINA

gar kein Sack Reis mehr umfallen?“ – die 2007er Sammlung von Wiglaf Droste ist jetzt als Taschenbuch bei Reclam erschienen. Und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir beide im Rennen um den Preis für den längsten Titel des Jahrzehnts ziemlich gut liegen.

Zu seinem neusten Buch „Im Sparadies der Frisöre“ bei Edition Tiamat schrieb Henryk M. Broder (und hatte damit, wie fast immer, recht): „Seine Art der Sprachkritik funktioniert wie eine Schrottpresse, die alles, was ihr zum Fraß vorgeworfen wird, auf einen kompakten Haufen reduziert“.

Während das  China-Buch vor allem auf den beiden Etagen spielt, die Droste nicht weniger wichtig sind bzw. von Sprachkritik sowieso auch nicht zu trennen: Musik und Poesie.

Ein Hinweis für alle Nichtleser der Märkischen Allgemeinen: dort ergab sich, durch seinen Aufenthalt als Stadtschreiber in Rheinsberg, seine neuste Kolumne „Drostes Dienstag“; s. maerkischeallgemeine.de



ZUM TOD VON WILLY DEVILLE

schrieb ich für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 9.8. diesen Nachruf.

ALTE SCHULE

Ein Gentleman und Sänger: Zum Tod von Willy DeVille

Willy DeVille sah phantastisch aus in den letzten 20 Jahren. Als hätte jemand zu Johnny Depp gesagt: „Wenn du sie mit deinen Piratenfilmen alle umhauen willst, muss Captain Sparrow aussehen wie Willy DeVille“.

Er hatte lange Haare, ein Gesicht, das man nicht bekommt, wenn man Gemütlichkeit für den Sinn des Lebens hält, und mit seinen eleganten Kleidern wirkte er wie ein Südstaaten-Gentleman, der morgens von drei schönen Damen den Bericht zur Lage bekommt, und bei Sonnenuntergang überlegt, welche Bank er, ganz altehrwürdig gewaltlos natürlich, ausnehmen könnte.

Und tatsächlich lebte er in der Nähe von New Orleans und züchtete Pferde. Falls er nicht in seinem Appartement im French Quarter auf den Ruf der Straße hörte und sich bereitmachte, ihm zu folgen. „Ich bin eine Quarter-Ratte“, sagte er einmal.

Es war undenkbar, dass dieser Mann nicht aus den Sümpfen Louisianas kam. Das sah man, das hörte man seiner Musik an, diesem typischen Gemisch aus Rhythm´n´Blues, Soul, Cajun, irgendwas Karibisches; und die vielen französischen Titel wie „Loup Garou“; und Begleitmusiker wie Dr. John, Allen Toussaint oder The Meters.

Doch es war eine Inszenierung, ein musikalisches Bekenntnis des unheilbaren und offensiven Romantikers Willy DeVille, in dessen Künstlernamen nicht der Teufel, sondern ein Cadillac steckte, und der als William Borsey am 25. August 1950 in Stanford, Connecticut, geboren worden war.

Es war eine Inszenierung, die aber keine Pose war. Er hatte seine vielen musikalischen Einflüsse auf den Straßen der Lower Eastside von New York eingesammelt, in denen er mit dreizehn landete, und dazu passend waren unter seinen Vorfahren Irokesen, Iren, Basken „und ein bisschen von diesem und jenem“, erzählte er Richard Marcus.

Diese Einflüsse waren schon deutlich, als er mit seiner Band Mink DeVille Mitte der Siebziger in der New Yorker Punkszene um den Club CBGB´s debutierte. Das Album „Cabretta“ klang 1977 nicht nach Punk, und sie sahen nicht aus wie die Ramones – und als ihre Musik dann nach Deutschland kam, konnte man, spätestens 1985 mit dem Hit „Italian Shoes“, verblüfft sein, dass das irgendjemand unter Punk einordnete: weil da ja Schmachtfetzen drauf waren, Bläser, Bluesiges, Jesus!?

Die Forscher wussten es später zu belegen: im Gegensatz zu den vielen prolligen englischen Punks, waren viele New Yorker ziemlich gebildet, vor allem, was die musikalischen Traditionen betraf, und speziell Mink DeVille schienen neben einer Jukebox zu stehen, in der noch Hank Williams- und Ronettes- und Sinatra- und John Lee Hooker-Singles waren.

Nach den ersten, ganz ordentlichen Erfolgen mit Produ-zentenlegende Jack Nitzsche, löste sich die Band 1986 auf. Ein paar Jahre später schaffte es Willy DeVille unter einem Drogen- und Schuldenberg hervorzukriechen und eine Solo-Karriere zu starten, die in Europa eher als in den USA erfolgreich war.

Als Mann der alten Schule pfiff er auf die jeweils aktuellen Trends und bedachte Plattenfirmen und Radiostationen mit einer schönen Sammlung von Schimpfworten. Mit seiner unwahrscheinlichen Mariachi-Version von „Hey Joe“ hatte er 1992 nochmal einen großen Hit. Sein Spätwerk ist würdevoll, von ungebrochener Leidenschaft für die Sounds, die er liebte. Manches war vielleicht etwas zu opulent geraten, schlecht war nichts. Und seine Stimme war immer einzigartig verkratzt und beseelt.

„Ich arbeite an einem Buch über mein Leben“, sagte er 2008 in einem Interview mit Peter Gruner. Aus dem leider, soweit wir wissen, nichts mehr geworden ist. Nach 30 Jahren im Musikgeschäft und 15 Alben starb Willy DeVille am 6. August in New York, drei Wochen vor seinem 59. Geburtstag. Ein früher, aber kein überraschender Tod; seit Februar waren alle Konzerte abgesagt.

Er starb friedlich, heißt es, und im Beisein seines „Guardian Angel“ (den er schon 1978 besungen hat), der Frau, die er liebte. Ein Tod, der eines Südstaaten-Gentleman würdig ist.

 



DIESES GEDICHT

ist nicht in meinem neuen Gedichtband  „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“, der am 6. Oktober im Songdog Verlag erscheint. Warum?

a) ist es nicht gut genug; das sage ich für die Konkurrenz, die glaubt, müde lächeln zu müssen, weil der Band nur 60 Seiten hat.

b) wurde es lange nach dem Abgabetermin geschrieben; es ist also jung und kümmert sich um gar nichts, es grinst nur unbekümmert in die Fresse des Literaturbetriebs, und hier ist es (inspiriert von den Block-Aufzeichnungen meines Kampfgefährten Andreas Niedermann, siehe rechts in den Links):

Die Bauarbeiter vor meinem Fenster

sind zum Streiken zu blöd

doch ich bring sie alle um

auch wenn ich in die Zelle

zum Charlie Manson kumm.

Anmerkung: Beim Schreiben habe ich nicht an einen Literaturpreis gedacht. Und an kein Unterkommen in einem Literaturhaus.  Nicht bewusst jedenfalls. Ich wollte mir nur, wie so oft, mit dem Schreiben helfen. Harlan Howard hat beim Schreiben von „Busted“ auch nur an sich selbst gedacht. Und an die, die es verstehen können bzw. verstehen können sollen. Ja.