Literatur

WIGLAF DROSTE IST

gestern vor drei Jahren über den letzten Fluss gesprungen, falls er nicht gewandelt oder geflogen ist, und ich muss schon oft an ihn denken, und auch als ich mich jetzt mit dem Dichter Dominik Dombrowski über Sam Peckinpahs Film The Ballad of Cable Hogue (oder Abgerechnet wird zum Schluss) unterhielt, sah ich Wiglaf im Hintergrund das Festivalgelände der Alten Papierfabrik in Greiz wohlwollend amüsiert betrachten, weil er mir ja bei unserem letzten Telefonat, wenige Tage vor seinem Tod, erzählt hatte, dass er seine Erkältung jetzt mit einigen Peckinpah-Filmen auskurieren würde, und ich stelle mir vor, dass er dann begleitet von Cable Hogue (und Jason Robards) eingeschlafen und abgeflogen ist, ja, so ist es besser zu ertragen.



ZUM WELTTAG DES BUCHES

dann eben, sagt unser notorisch arbeitsscheuer Literaturredakteur, auch noch drei Tipps von mir mit dem Motto read or be rotten:

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DER CHAMPION UNTER DEN DEUTSCHEN VERLEGERN

Klaus Bittermann (Edition Tiamat) hat vor wenigen Tagen seinen 70. Geburtstag gefeiert. Für mich ist er einer der besten Freunde, die mir seit ca. 50 Jahren ans Herz gewachsen sind. In seinem seit Jahrzehnten herausragenden Verlag hat er sogar zwei Bücher von mir aufgenommen, die Compilation Smoke Smoke Smoke That Cigarette haben wir zusammen gedreht u.a.m. Außerdem ist er einer der wenigen Verleger, der gute Bücher schreiben kann, zuletzt veröffentlichte er eine sensationelle Wolfgang-Pohrt-Biografie. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, weiter zu erzählen … er selbst hat auch was zu erzählen, hier ein viel zu kurzes langes Interview:

https://taz.de/!5846716/

Bittermann, Klaus – Edition Tiamat



DIE LANGE NACHT MIT JEAN AMÉRY

morgen ab 00:05 auf Deutschandfunkkultur auf dem großartigen Sendeplatz „Lange Nacht“, 3 Stunden Kombination Améry+Primo Levi. Wer bei den Fragen zu Gut+Böse nach Orientierung sucht, kann bei Jean Améry niemals auf den falschen Weg geraten. Er hatte Auschwitz und Folter überlebt und war trotz übergroßer Verzweiflung niemals auf die Idee gekommen, er sollte besser zu schreiben aufhören, bis zu seinem Freitod im Oktober 1978.

„Erzählen vom Unaussprechlichen – Eine Lange Nacht über die Schriftsteller Primo Levi und Jean Améry – Von Christoph David Piorkowski – Regie: Vera Teichmann

Nicht mehr lange, dann werden die letzten Zeugen des Holocaust für immer verstummt sein. In einer Zeit, da die Shoah von verschiedenen Seiten her relativiert wird, kommt dem Genre der Lagerliteratur eine besondere Bedeutung zu. Viele Überlebende haben von Auschwitz unisono als einem „Schwarzen Loch“ der menschlichen Zivilisation gesprochen. Dennoch haben die „Barackengenossen“ Jean Améry (1912-1978) und Primo Levi (1919-1987) aus ihren Erfahrungen gegensätzliche Schlüsse gezogen – und gerieten darüber nach der Befreiung gar in einen öffentlichen Streit. Während den italienischen Juden Primo Levi die Niederschrift seiner grausigen Erinnerungen erleichtert, wird der von den Nazis zum Juden gemachte Österreicher Jean Améry in seinem Leben nicht mehr heimisch. In „Jenseits von Schuld und Sühne“ beschreibt er, wie die Tortur dauerhaft in ihn eingedrungen ist. Levi sucht einen Sinn in der Hölle – Amérys Weltvertrauen ist dauerhaft zerstört. 1978 setzt er seinem Leben ein Ende. Jahre später stürzt Primo Levi in den Treppenschacht seines Turiner Wohnhauses. Ob er ebenfalls Hand an sich legte, ist nicht eindeutig geklärt. Die „Lange Nacht“ erzählt vom Leben und Denken der beiden Persönlichkeiten, deren Schicksale gleichzeitig so viel verband – vom antifaschistischen Widerstand über die entmenschlichenden Erfahrungen im Konzentrationslager bis hin zum Versuch literarischer Bewältigung.“

Archiv von Monk bis Pasolini: https://www.deutschlandfunkkultur.de/lange-nacht-102.html

Werkausgabe: https://www.klett-cotta.de/autor/Jean_Am%C3%A9ry/179



NACHFORSCHUNGEN

Als ich im Winter zurückkehrte, erfuhr ich, daß Alexander Petrowitsch im Herbste gestorben war, und zwar in voller Einsamkeit, ohne auch nur einmal einen Arzt gerufen zu haben. Im Städtchen hatte man ihn fast gänzlich vergessen. Seine Wohnung stand leer. Ich machte unverzüglich die Bekanntschaft der Wirtin des Verstorbenen, in der Absicht von ihr zu erfahren, womit sich ihr Mieter eigentlich beschäftigt oder ob er nicht etwas geschrieben habe. Für ein Zwanzigkopekenstück brachte sie mir einen ganzen Korb Papiere, die der Verstorbene hinterlassen hatte. (Dostojewski)



IN GUTEN WIE IN SCHLECHTEN

Tagen kann ich die Bücher von Jan Off allen ans Herz legen, die sorgfältig zusammengebaute Buchstabenketten im Kampf gegen die Welt gebrauchen können – jetzt neu eine 176-Seiten-Sammlung mit Kurzgeschichten, Songs und Titel „the Lord told him“, könnte man in Erinnerung an The Cramps sagen (und ergänzen, dass Off trotz fehlender Kopfhaare gut zu ihnen gepasst hätte).

Liebe, Glaube, Hohngelächteruva @ventil-verlag.de

Ventil Verlag: „Wer der Gattung Mensch gern beim Scheitern zusieht, kann hier bedenkenlos zugreifen. Denn kaum ein Autor zelebriert unser klägliches Streben nach Beständigkeit so genüsslich wie Jan Off. Als Bonustrack gibt es den lang vermissten zweiten Teil des Szene-Bestsellers »Vorkriegsjugend« – bisher nur als Langspielplatte, nun endlich auch auf Papier erhältlich.“



NACHTRAG BEVOR ES ZU SPÄT IST

Das haben wir vorgestern glatt vergessen:

Heute feiert die UNESCO den Welttag der Poesie.

Der Tag der Poesie wurde 1999 ins Leben gerufen

wird irgendwas ins Leben gerufen?

und soll an die universelle Bedeutung

wenn das mal stimmt

der Poesie erinnern,

die für sprachliche Vielfalt und kulturelle Identität

oho m hm

von besonderem Wert ist.

Sowas behauptet sich immer so leicht.

Besonders in schwierigen Zeiten

wie auch das

trägt die Poesie als zeitlose Kunstform

es gibt doch keine zeitlose Kunstform Menschenskinder

zur Völkerverständigung und zum globalen Frieden bei.

Das wollnwa aber auch hoffen!



WIR HABEN UNS ENTSCHLOSSEN

diesen P-tin auch noch zu verklagen wegen Schuld an der Dauerbelastung durch Nachrichten, die unsere ohnehin labile geistige Verfassung massiv beschädigen. Uns ist bewusst, dass dieses Problem im Gesamtzusammenhang vollkommen unerheblich ist und werden uns deshalb ganz hinten anstellen (vgl. jedoch auch: Al Capone wurde vom Finanzamt erledigt). Außer wir kommen mal so nah an ihn ran, dass wir ihm im Sinne von Mickey Spillanes Diktum „Das Gesetz bin ich“ die Sache erklären können, was natürlich so gut wie ausgeschlossen ist. Aber nicht so ganz wenige Ereignisse waren so gut wie ausgeschlossen. Zur Frage seines schwarzen Gürtels: das hat Sam Peckinpah in seinem Film „Die Killer-Elite“, als der dickliche unsportliche Burt Young vier männlichen Kampfmaschinen mit einem Mittel entgegentrat, das genau für solche Situationen erfunden wurde, hinreichend deutlich dargestellt. Für Pazifist*innen allerdings nicht geeignet.



THE HARDBOILED BROOKLYN POET

Als ich gestern etwas zum 100. Geburtstag von Jack Kerouac für die FAS schrieb, kam ich auf folgenden Hammersatz: Jack Kerouac ist der Mickey Spillane der ersten Beat Generation. Habe ich dann aber nicht geschrieben, als mir klar wurde, dass es eh niemand versteht, und die einzige Frau, der ich damit vielleicht ein Lächeln entlockt hätte, ist vor 25 Jahren in Tijuana abgeflogen, Kathy Acker.

Auf den schlagkräftigen Satz war ich auch nur gekommen, weil ich gelesen hatte, dass ich an diesem 9. März auch etwas zum 104. Geburtstag von Mickey Spillane hätte schreiben können, den ich viel, aber – ein Fehler, der sich irgendwie rächen wird, das ist klar – lange nicht mehr gelesen habe.

Den besten Essay aus Germany. den der Mann bekam, der als Jagdflieger im Weltkrieg II die Welt gegen Deutschland verteidigte, hat Jörg Fauser 1984 geschrieben (der Mickey Spillane der deutschen Beat Generation), und er steht bei Spiegel-online zur Verfügung:

„Spillane wächst in einer rauhen Gegend von Brooklyn auf, der er auch sein Markenzeichen, den streichholzlangen Bürstenschnitt, verdankt: Als kleiner Junge schneidet er sich die Haare so kurz, damit die Größeren ihn nicht daran packen und verprügeln können (…) Für das liberale Publikum rangiert Spillane irgendwo zwischen de Sade und »Mein Kampf«.“ Ob das liberale Publikum inzwischen mehr von Literatur versteht, wage ich nicht zu beurteilen.

https://www.spiegel.de/kultur/mein-ist-die-rache-spricht-mike-a-6a09457f-0002-0001-0000-000013512212

kaliber .38 Autoren-Infos: Mickey SpillaneOne Lonely Night von Mickey Spillane | ISBN 978-1-4091-5867-7 | Buch online  kaufen - Lehmanns.deMickey Spillane“ – Bücher gebraucht, antiquarisch & neu kaufen



WEISER DIRTY OLD MAN

„Ich empfinde gegen die Dummheit meiner Epoche Haßfluten, die mich ersticken. Mir steigt die Scheiße in den Mund wie bei einem verklemmten Bruch. Aber ich will sie behalten, sie eindicken und daraus einen Brei machen, mit dem ich das neunzehnte Jahrhundert beschmieren werde.“
Ausgegraben von konkret-Redakteur Thomas Blum und mit der Bemerkung versehen: „Bedauerlich eigentlich, dass der 1880 verstorbene Gustave Flaubert nicht die Gelegenheit bekommt, in unserer Zeit zu leben.“