Produktion

SCHULD UND SURFBRETT

Nicht ganz unpassend vielleicht zu den derzeitigen Außenbedingungen eine Buchbesprechung, die – mit dem Untertitel „Schmuddelkram wie Dostojewski: Don Winslows „Pacific Private“ – am 11.6.2009 in der jungen Welt erschien:

SCHULD UND SURFBRETT

Kürzlich durfte ich im Feuilletonbusineß mal wieder einen schönen Moment erleben. Ich wollte einer nicht ganz kleinen Tageszeitung einen Beitrag über einen Kriminalroman verticken und fragte eine Redakteurin, wem ich die Sache verklickern sollte. Die Frage war nicht so blöd, wie ich im selben Moment gedacht hatte. Ihre Antwort: »Unseren Literaturchef brauchst du nicht fragen, für den sind Krimis keine Literatur, sondern generell Schundkram«. Ich schwöre, das war vor ein paar Wochen.
Wahrscheinlich ist dieser Meister jetzt auf der Suche nach einem Essay zur Frage, warum nun auch (oder dennoch) bei Suhrkamp eine Krimireihe gestartet wurde – (ich würde so anfangen:»Schon Samuel Beckett hatte keine Lust mehr, jeden Krimi in die Schmuddelecke zu werfen, gegen die er sowieso nichts hatte«, und dann einschlafen) –, während wir uns eher fragen könnten, warum ein Suhrkamp-Krimi aussieht wie einer von Goldmann. Wenn’s interessant wäre. Oder ob die Reihe das Niveau halten wird, mit dem Don Winslow die Tür eintritt.

 
»Ich bin ein total beschissener Surfer «, erzählte der 54jährige Winslow im Interview mit Luan Gaines,»meistens falle ich runter und schwimme. Aber ich hab’s in der ein oder anderen Form mein ganzes Leben lang getan«.
Mit seinem zehnten und neuesten Roman »Pacific Private«(Originaltitel »The Dawn Patrol«) stürzte er sich voll auf seinen Sport und erfand die kalifornische Surflegende Boone Daniels, ein ehemaliger Polizist, der als Privatdetektiv nur so viel arbeitet wie nötig, um sein Surferleben zu finanzieren. Auch die anderen fünf vom Surfer-Elitetrupp Dawn Patrol, die sich jeden frühen Morgen am Strand treffen, pflegen diesen lässigen Lebensstil mehr oder weniger; Johnny Banzai, Kommissar bei der San-Diego- Mordkommission, eher weniger; und Sunny Day, die Frau in der Bande und deren sportliche Nummer eins, will den Sprung in die Profiliga schaffen, was mit Lässigkeit bekanntlich wenig zu tun hat. Das Surfen und dieser berühmte Küstenstreifen sind nicht Kulisse in Winslows Krimi, sondern sein Herzstück. Ein Buch im Buch, mit Begriffs-und wellentechnischen Erklärungen und Philosophie und sozialpolitischer Geschichte. So leidenschaftlich, rasant und stilvoll geschrieben und bestens mit dem Kriminalfall verwoben, daß ich bald, obwohl am Surfkram schon immer nur nachlässig interessiert, ins große Netz ging, um mal wieder Musik von Dick Dale oder Duane Eddy zu hören, aber auch die »Bikini Girls with Machine Guns« der unsterblichen Cramps. Hätte ich je geglaubt, daß Surfer mehr im Kopf haben können als »Sea, Sex and Sun« (Serge Gainsbourg)? Privatdetektiv Boone hat keinen Fernseher und liest abends harten Schmuddelkram wie zum Beispiel Dostojewski; was er den jüngeren Kriegern der Dawn Patrol dann doch nicht auf die Nase binden will.


Ihre »Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es soweit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben. Wie Hang Twelve meinte, wird das ein›klassischer Fall von hammerhart‹« und»vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehen bekommen, zwei pro Minute. Double Overheads, Tubes wie Tunnel, echte Donnerbrecher, die einen problemlos mitreißen und in den Waschgang spülen«.
Die heranrollende Naturgewalt verbindet sich mit den übelsten Verbrechen, die auf diese recht friedlichen Leben runterkrachen, als hätten die Götter gesagt, diesen netten Supersurfern an der kalifornischen Postkartenküste, denen zeigen wir’s jetzt mal, und den Ehrenkodex, auf den sie sich so viel einbilden, ballern wir ab. Eine »verdammt« schöne und taffe Anwältin, für die der extrem surfende Lebensstil nur eine alberne Weigerung ist, erwachsen zu werden, treibt den »Private Dick« erbarmungslos an die Arbeit. Eine Frau wurde ermordet. Der Fall hinter dem Fall wird immer größer und fieser. Dann gehen die Blutspuren bis in Boones Freundschaften rein.

 
»Ich mag die beautiful People nicht«, erklärte Winslow in der San Diego Union-Tribune, »ich finde sie wirklich langweilig, und es wird zuviel über sie geschrieben– zu viele Filme und zuviel TV.« Er schreibt lieber über Arbeiter und Underdogs und »über Leute, die kämpfen müssen«. Über diese und jene schreibt er großartig, und nicht nur seine witzigen Dialoge, sondern auch seine Beschreibungen von Elend sind überwältigend. Zur Zeit arbeitet Winslow auf seiner 40 Meilen vom Meer entfernten Farm am zweiten Teil der Boone-Serie. Wenn der bei Suhrkamp erscheint, könnte er mit dem für September angekündigten Thriller »The Winter of Frankie Machine« den Durchbruch in Deutschland (der mit den in den 90ern bei Piper veröffentlichten Titel nicht gelingen wollte) geschafft haben. Weil der Film kommt. Mit De Niro als Frankie Machine. Regie: Michael Mann. Viel mehr geht doch nicht. In der Abteilung für Schund und ,Sühne. Wo Don Winslow so oft mit einem Sexschreiber gleichen Namens verwechselt wird oder die Frage gestellt bekommt, ob er auch dieses Genre bediene, daß er inzwischen »jeden öffentlichen Auftritt« (John Wilkens) mit dem Hinweis beginnt, nicht dieser Typ zu sein,»ich habe ›Die Sklavenmädchen von Rom‹nicht geschrieben. Ich schwör’s«. Aber kann man denn einem surfenden Krimischreiber, der angeblich selbst mal Privatermittler war, irgendwas glauben?

Don Winslow: Pacific Private. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/Main 2009, 396 Seiten, 9,95 Euro * Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch


MÄNNER HUT MODE

Wenige Minuten vor Einfahrt des ICE war er eingekeilt im Gedränge. Hatte ihm noch nie gepasst, und jetzt konnte er es nicht mehr ertragen, die erste Stufe von Folter. Damit hatte er an einem Dienstagmittag nicht gerechnet.

Was wollten die alle in Berlin? War´s ein Feiertag, den er vergessen hatte? Fielen Pendler an einem Dienstag schon mittags über einen großen Zug her, flankiert von Frühbucherhorden? War das irgendwo hinter ihm nicht die Stimme seiner Ärztin? Und neben ihm eine junge Frau, die lautlos weinte. Er musste hier raus, ans Ende der wartenden Masse. Und neben der traurigen jungen Frau stand, mit dem Rücken zu ihm, anscheinend ihr Freund.

Er trug einen dieser Hüte, die eigentlich nur zu alten oder altmodischen Männern gehörten, in den letzten Jahren jedoch von besonders schlauen Popjungs auch auf den Köpfen osteuropäischer Emigranten entdeckt und dann auf die eigenen gepflanzt worden waren – sollte er nicht doch besser nach Hamburg als nach Berlin fahren? – und das sah nun wahnsinnig witzig aus und sollte wohl auch eine problematische Flüchtlingsexistenz vortäuschen.

Gebildete junge weiße Männer hatten bekanntlich gern eine Sehnsucht nach schwierigen Erfahrungen, die man sich mit einfachen Symbolen kaufen konnte, und sie glaubten, dass jeder Bulle nicht ganz dicht war und von den Dingen, die um ihre Hüte kreisten, keine Ahnung hatte.

 



VATERTAG IM SPORTHEIM

ist der Titel eines Gedichts aus meinem Band „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“ (Songdog Verlag, 2009), das ich hiermit nach Download verbanne:

 

Es war nichts los

an diesem Sonntagnachmittag im Sportheim

die Mannschaft kämpfte auswärts

um den Aufstieg in die B-Klasse.

Zwei Männer an einem Tisch

in einer müden Stimmung

und nur weil einer sagte

dass früher mehr los war am Vatertag

bekam ich mit, heut war Vatertag!

Und war genauso betroffen.

 

Ich weiß auch nicht, sagte der Ältere

soll ich dieses blöde Haus renovieren

oder soll ich´s abreißen?

Ich kann mich einfach nicht entscheiden

und so geht das seit vier Wochen

es ist zum Wahnsinnigwerden

aber mit dem Alter wirst du immer schwuler

da kannst du nichts machen.

 

Die junge Bedienung ging durch den Raum

in einem engen Oberteil mit Tigermuster

auf dem geschrieben stand

! MISS WET T-SHIRT !

Das sah glaubwürdig aus und

alle Augen stimmten für sie.

 

Was meinst du denn damit?

fragte der Jüngere und lachte unsicher

soll ich vielleicht immer schwuler werden!?

Sollen nicht, aber sehen

wirst du es schon noch, sagte der Ältere

ich lasse mir immer mehr sagen

der sagt was und der sagt was

der eine sagt renovieren, der andere sagt abreißen

als ich so alt war wie du – mit 25 habe ich mir doch

von keinem was sagen lassen!

 

Ich zahlte und ging und war traurig gestimmt

weil es früher am Vatertag besser war

als alle schnell so besoffen waren

dass keiner mehr wusste

wo ist hinten, was ist vorn.

Reiß doch dein Scheißhaus ab, sagte ich im Rausgehen

aber mach´s mit einer Ladung Dynamit

sonst heißt es noch: du bist schwul.



HEUTE ONLINE

und morgen in der Printausgabe der jungen Welt:

NASHVILLE ROCKEN, BERLIN SOWIESO

Smokestack Lightnin´ mit neuem Album auf Tour

Von Franz Dobler

Berlin. Am Sonnabend stellen in Berlin Smokestack Lightnin’ ihr neues Album »Stolen Friends« vor. Es ist nach 15 Jahren, fünf Alben und einigen Singles ihr bisher bestes geworden. Das will was heißen, denn die Nürnberger sind schon lange die beste deutsche Band, die sich unter Country-Rockabilly-Americana einordnen läßt und ich würde mich bei jeder Motorrad- und Tattooversammlung in meinen höchsten High Heels auf die Kiste des Häuptlings stellen und das verkünden.

Hier gehts weiter: http://www.jungewelt.de/2013/04-27/056.php

* Konzerte: 27.4. Berlin (Volksbühne, Roter Salon), 30.4. Dresden (Rosis Amüsierlokal), 1.5. Leipzig (Tonelli’s)

Diesen Männern können Sie Ihr Geld anvertrauen.



THE BROKEN CIRCLE

Eine Variante meines Artikels über den Film „The Broken Circle“, der letzte Woche in der Zeit erschien, habe ich für die junge Welt von heute geschrieben:

ICH WAR FRÜHER PUNK

Bluegrass in Belgien: Felix van Groeningens neuer Film

»The Broken Circle«

Den Bart im Lauf der Popgeschichte hat Martin Büsser in seinem Artikel »Nicht zu zz toppen« analysiert (in: »Music is my boyfriend«, Ventil Verlag, 2011). Wie er Protest war (Rock), dann aus Protest abrasiert (Punk) und in einer neuen Bewegung (Free-Folk) wieder voll stehen gelassen wurde.
Die Männer im Musikfilm »The Broken Circle« tragen eine Menge Bart, sehen aus wie in einem Western über Armut in den Bergen, wie eine The-Band-Coverband, aber sie spielen ganz traditionellen Bluegrass, diese Belgier. Vor gut zehn Jahren war ein Bluegrass-Film unglaublich erfolgreich, »O Brother, Where Art Thou?« Der Coen-Brothers-Film, erzählt »Broken Circle«-Regisseur Felix van Groeningen beim Interview in München, habe ihn jedoch null beeinflußt. Klar, sein Film ist keine Komödie, und seine Bluegrass-Geschichte geht ganz anders.
»The Broken Circle« ist eine Moritat über ein Liebespaar, das vom Schicksal auf eine Art zerstört wird, die einen auf die Idee bringt, daß nur der Teufel die Liebe erfunden haben kann. Oder wie am Anfang des Showdowns Elise ihren Didier vollkommen außer sich ankreischt: »Ich hab’s immer gewußt, es war zu schön, um wahr zu sein – das Leben gönnt dir das nicht!«
+++
+++
Außerdem in dieser Ausgabe: Christof Schreuf über ein Konzert der Krautrock-Veteranen Agitation Free: http://www.jungewelt.de/2013/04-26/014.php


ZUM SUPERTAG DES JAHRES

Ich zitiere mich wie immer ungern, diesmal aus einem Buch, das manche schon als Klassiker abgewrackt haben: „Kein Bier für Deutschland!“ (Bierherz, Edition Nautilus 1994).

Und da ist noch irgendein Supertag, der von den Schriftstellerinnen? Na, wie gesagt…



CISSY & THE GIRLIEMAN

„Der californische Gouverneur Arnold Schwarzenegger“, schrieb ich am 20. Juli 2004 in San Francisco in mein Notizbuch, „nennt laut San Francisco Chronicle lawmakers GIRLIEMEN und Senatspräsident John Burton bläst ins gleiche Horn, wenn er sagt, dass diese Typen ‚unsere Männlichkeit angreifen und verletzen‘.

Ich dachte zuerst, es geht um Männer, die auf Girlies stehen, im Sinn von sexuellem Missbrauch – ehe ich kapierte, dass der Arnold von Feiglingen sprach.“

Schnitt auf die Gegenwart – was Countrymusiker zum heute immer noch brennenden Thema sagen, kann man sich leicht vorstellen! Zum Beispiel jetzt Willie Nelson, kurz vor seinem 80. Geburtstag, im Interview mit Johannes Waechter auf die Frage, was ihn veranlasst habe, „sich kürzlich zum Streit um die Schwulen-Ehe“ zu äußern:

Nelson: „Mich hat jemand nach meiner Meinung gefragt. Und dieser Punkt ist für mich einfach sonnenklar. Ich habe mein ganzes Leben mit Schwulen und Heteros zu tun gehabt, ich komme mit allen gut aus, und ich denke, so sollten wir alle das handhaben.“

Hier das ganze Interview: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs/musikblog/4121/willie-nelson-im-interview-ich-wuerde-meinen-geburtstag-gern-vergessen/

 



DEPP VS JAMES

Am 7.3. wurde an dieser Stelle behauptet, Johnny Depps Literaturkenntnisse seien nicht auf die Spiegel-Bestsellerliste seines Landes beschränkt. Hier ein Artikel dazu, den ich anlässlich einer Lesung von Darius James am 14.2.2003 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte:

Voodoo-Priester der Popliteratur

Stimmt das jetzt eigentlich?! Ist die Popliteratur wirklich abgehakt und zugenäht? Oder ist das nur mal wieder so’ne Stimmung im Feuilleton? Ach. Ganz egal. Der afroamerikanische Autor und Journalist Darius James, der in Berlin lebt, muss sich davon nicht betroffen fühlen.

Er hat noch nie geschrieben wie der nette Junge von nebenan, der so nett schreibt wie er seine Platten liebevoll pflegt. In seinem neuen Buch „Voodoo Stew” (Verbrecher Verlag) erzählt James, dass er in seiner Jugend ganz andere Ziele hatte: „Ungeachtet meiner Jungfräulichkeit war ich entschlossen, Zuhälter zu werden. Nicht so ein Gorilla-Zuhälter wie Iceberg Slim, eher ein Guerilla-Zuhälter, der die Welt wie Fanon sah und die körperlichen Fähigkeiten eines Bruce Lee besaß, aber besser gekleidet war als die meisten Mitglieder der Black Panther Party.”

Über die entsprechenden Filme veröffentlichte James 1995 das angemessen wilde Standardwerk „That’s Blaxploitation!” Kein bürokratisch-ordentliches Filmbuch, sondern durchlöchert von Autobiografie, Geschichte der afroamerikanischen Kultur allgemein, Satire, Slang, Abschweifungen und den politischen Hintergründen sowieso. Das Ziel, mit diesem Buch das Interesse an der Black Panther Party neu zu entfachen, sei ihm aber, meinte er einmal, nicht gelungen. An eine Übersetzung hat sich bisher niemand gewagt, im neuen Buch gibt’s eine Probe, die Einleitung zum „Ratgeber für den schwarzen Mann: Wie man mit der verblüffenden Macht des Voodoo weiße Frauen verführt”. Auch in seinem Roman „Negrophobia” (Maas Verlag, 1995) benutzte er die weißen Klischee-Vorstellungen: In einem von Voodoo-Zauber ausgelösten Horror-Trip wird das blonde Girl Bubbles Brazil so lange mit ihren rassistischen Bildern konfrontiert, bis sie geheilt ist.

Darius James sieht sein Schreiben in der Tradition des afroamerikanischen, mündlichen Geschichtenerzählens und der Satire. Auch in den journalistischen Arbeiten, die jetzt in „Voodoo Stew” versammelt sind, geht es um beides: unterhalten und aufklären. In der Nähe des Tragischen das Komische: Endlich kommt das berühmte Ufo, um alle farbigen und schwarzen Menschen in eine bessere Welt zu bringen – aber was tun die Geretteten? Sie streiten sich. James bewegt sich innerhalb seiner Themen bewunderswert frei, seine Mischung aus persönlichen Erlebnissen, assoziativem Denken und intensiven Recherchen ist spannend, hat mit Journalistenschulenjournalismus wenig zu tun und bringt immer Außergewöhnliches. Den Hauptteil bilden zwei große Stücke, über die berühmte Plattenfirma Atlantic das eine, über die Dreharbeiten des Films „From Hell” das andere.

In seiner „Depesche aus der Hölle” schildert Darius James seinen Besuch in Prag, als die Hughes Brothers dort ihre Jack The Ripper-Version „From Hell” drehten und er sich dies fragte: Warum drehten die Brüder, die mit ihrem Hip-Hop-Drama „Menace II Society” berühmt geworden waren, jetzt einen 19.-Jh.-Kostümschinken? Zwischen den Diskussionen um schwarze Kultur und Protestformen wird die Antwort langsam eingekreist: weil „From Hell” eigentlich ein Film über Rassismus, Klassenschranken und die Kriegsschauplätze Mann-gegen-Frau und Reich-gegen-Arm ist. Und schließlich erzählt der Journalist von Besuch eines in der Nähe liegenden Orts, der an die reale Hölle erinnert: die Gedenkstätte des KZ Theresienstadt. Auch die war einmal die Kulisse für einen Film: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt”.

Am Film-Set sei es auch zu einem Gespräch mit Hauptdarsteller Johnny Depp gekommen, der sich als Kenner der neuesten afroamerikanischen Literatur erwiesen habe. Johnny Depp wusste nicht, wen er da vor sich hatte und erzählte Darius James begeistert von seinem Roman: „Negrophobia. Kennst du das Buch?” Und als James sich geouted hatte, sank Depp „passend zum Viktorianischen Kostüm auf ein Knie” und sagte: „Ich verbeuge mich vor Ihnen, Sir!”



ALS ICH GEBOREN WURDE

Als ich geboren wurde

kostete ein Dollar über vier Mark und

Billie Holiday starb als in Berlin der

Ausstieg des Führerbunkers gesprengt

wurde auf der ersten englischen

Autobahn hörte Fritz Walter zu

spielen auf  um Deutschlands

Position als Land mit den zweithöchsten

Währungsreserven der Welt zu verteidigen

als Billie Holiday starb und trat

Batista in die Eier doch auch die

Sowjets hatten einen Plan den Deutschen

rechte Parteien verbieten und Schallplatten

mit Stereoklang satt hatte es da die SPD

aber endgültig und distanzierte sich vom

Marxismus zur Feier des Tages spielte

das Radio die ganze Nacht die Gitarre

und das Meer als Billie Holiday starb

versprach der neue Bundespräsident das

größte aller Probleme in Angriff zu nehmen

den Hunger in der Welt oder auf der

meinte er nach hundert Sekunden

war Peter Müllers Traum vom

Boxeuropameister im Mittelgewicht

begraben wie in Bayern die

Entnazifizierung nach einem Säureanschlag

auf das Gemälde Höllenfahrt der Verdammten

wachte ich schreiend auf und alle

lachten weil ich stammelte Stereoklang

entnazifizierte Batista wurde geboren als

ein Dollar mehr Mark und

Billie Holiday starb.

(aus: Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt, Songdog Verlag, Wien 2009. Buy den Shit, gib mir nen Hit!)



BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (8=Ende)

Dies war auch das Ende meiner Serie „My own private Brechtfestival“ in der jungen Welt v. 11.2.:

Stimmen von innen/außen (auch als Audio-Guide)

Wie immer bei einem schwierigen Thema möchte ich wissen, was andere Menschen dazu so denken. Meine mündliche oder schriftliche Frage an mir un-/bekannte Stadtbewohner lautete: Was halten Sie vom aktuellen Brechtfestival? Hier die Ergebisse:

ALEXANDER EDIN, 44, hauptamtlicher Fanbeauftragter des FC Augsburg: „Thema diesmal: der junge Brecht. Warum fühl ich mich nach Durchsicht des Programms trotzdem altbacken?“ DANIELA BEHRENDT, 39, Justizvollzugsbeamtin: „Von dem Festival kriege ich nichts mit, denn ich wohne hier nicht. Aber mit Brecht bin ich praktisch aufgewachsen, ich komme aus Berlin-Ost. Ich liebe vor allem seine Schauspielerinnen. Die waren immer anders als, ja, „normale“ Schauspielerinnen, Käthe Reichel, Agnes Kraus und so.“ FRANZ WAHL, 39, Verkäufer: „Ich find´s irgendwie immer das Gleiche. Wobei, dieses Jahr finde ich die ‚Brecht-Geisterbahn‘ ganz toll.“

CHRISTOPHER KÖHLER, 24, Koch: „Dafür, daß Brecht gesagt hat, das Beste an Augsburg sei der Zug nach München, finde ich es gut, daß Augsburg drüber hinweg sieht.“ CHRISTINE DRAWS, 45, Verwaltungsjuristin: „Ich vermisse das abc-Festival. Das wurde dem ersten München-Pendler Brecht gerecht.“ MARCUS ERTLE, 30, Journalist: „Brecht ist immer dann gut, wenn er subversiv ist. Das Augsburger Brechtfestival läuft ein bisschen Gefahr, sich allein dadurch subversiv zu fühlen, dass man den Bürgerschreck Brecht feiert.“

SVENJA LIPCZINSKY,  24, Studentin: „Ich muß gestehen, daß ich im Moment gar nichts mitbekommen habe, weil ich grade mein Staatsexamen schreibe, über das Drama von Barock bis zur Neuzeit, also Brecht begleitet mich.“ SEBASTIAN LUTZ, 30, Gastronom: „Ausgelutscht.“ MATTHIAS LEIN, 32, Designer: „Es ist gut, daß es das gibt.“

Die Frage an mir un-/bekannte Bewohner anderer Städte lautete etwas anders: Was bedeutet Ihnen Bertolt Brecht?

OLIFR MAURMANN (alias GUZ), 47, Musiker: „Brecht ist mir immer auf den Wecker gegangen. Weil er rechthaberisch ist, oberlehrerhaft, ideologisch verpestet.“ CLAUDIA KNUPFER, 56, Schauspielerin: „Ich finde seine Texte fantastisch, seine Stücke und Gedichte. Er war für die Entwicklung des Theaters total wichtig. Die Stücke sind einfach unglaublich.“ TRINE PAULI, 45, Wirtin: „Brecht war für mich eine Erlösung.“

MATTHIAS HERING, 43, Autor: „Der ist immer schon da. Kaum beschäftigt man sich mit ´nem aktuellen Thema, hat Brecht schon ein Stück drüber gemacht.“ CHRISTIANE LEMBERT, 54, Ethnologin: „Bei Brecht gefällt mir das Umfeld, der Bühnenbildner Caspar Neher, Kurt Weill, seine Frauen. Und er hat ein paar kluge Sätze gesagt.“

Als ich letzte Woche den polnischen Autor Andrzej Stasiuk (52) traf, fragte ich ihn nicht nach Brecht, denn in seinem Buch ‚Dojczland‘ hat er alles dazu gesagt:

„Deshalb ging ich (…) auf die Suche nach dem Brecht-Haus. Nicht daß ich ihn besonders bewundert hätte. Ich war schon vierundvierzig. Als Jugendlicher habe ich die Dreigroschenoper im polnischen Fernsehen gesehen. Meine Eltern meckerten, das sei doch Blödsinn und ich solle umschalten, aber ich blieb bis zum Ende stur sitzen in dem Gefühl, das sei eine Art Rebellion gegen die Älteren. Jetzt aber suchte ich nach seinem Geburtshaus, einfach um mir die Zeit zu vertreiben. Auf dem Rain war es ein bißchen düster. Vor der Hausnummer 7 parkte ein roter Sportwagen. Eine sarkastische Geste des Kapitalismus gegenüber diesem Sohn des Proletariats, der elegante und teure Automobile über alles liebte. Der arme Kerl. Er hätte fünfzig Jahre später geboren werden sollen. Dann würde er an der Volksbühne inszenieren und danach mit seinem Porsche Cayenne Turbo nach Boltenhagen fahren, um über den Strand zu brausen. Oder mit einem BMW Coupé V10 nach Rußland, wo der KGB ihm für Petrorubel ein elegantes Theater kaufen würde.“

Mit dem Satz, den Stasiuk dann anfügt, möchte ich mich aus dieser logischerweise kurzlebigen Kolumne, zu der in meinem Blog ein paar Ergänzungen zu lesen sein werden, mit herzlichen – zu viele Augsburger würden sagen: „mit brechtigen“ – Grüßen verabschieden:

„Künstler sterben immer zu früh.“