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DER GHETTO-SWINGER

ist der Titel der Memoiren des Jazzgitarristen Coco Schumann, der heute vor 101 Jahren in Berlin geboren wurde. Nachdem er, vor allem dank seiner musikalischen Fähigkeiten, einige Konzentrationslager der Nazis überlebt hatte, wurde er der erste Elektrogitarrist in dem Land, das nichtmal scheinbar entnazifiziert worden war.

Auch 50 Jahre nach der Kapitulation enden seine Erinnerungen ohne Happyend: an einem schönen Sommerabend setzt er sich an einen Tisch zu freundlichen jungen Leuten und als dann auch über Politik geredet wird, legen sie los mit dem „Ausländerproblem“ und „schon wieder Scherereien mit dem Weltjudentum“ und dann sagt einer „schließlich wisse jedes halbwegs kluge Kind, Auschwitz sei eine einzige große Lüge“, und Coco Schumann verabschiedet sich mit den Worten „ich weiß es besser. Ich war da.“, und als er 2018 starb, war´s nicht besser geworden.

Sein musikalisches Spätwerk und Compilations mit Archivaufnahmen bei Trikont:

https://trikont.de/shop/?product_cat=coco-schumann



PANZER & JEEPS / & HANS FRICK (12)

Der Autor Hans Frick beschrieb in seinem Roman Die blaue Stunde, wie er, von den Nazis als „Halbjude“ eingestuft und in Lebensgefahr, als 14-jähriger aus Frankfurt abhaute und nach wochenlanger Flucht das Kriegsende erlebte:

„Ich erreichte die ersten Häuser [von Langenselbold bei Frankfurt] und sah, daß der Krieg für mich beendet war; überall amerikanische Panzer, Jeeps und schwerbewaffnete Soldaten. Aus den kleinen Fenstern der Bauernhäuser hingen weiße Bettlaken. Die deutsche Bevölkerung stand unterwürfig auf der Straße. Wie oft war ich während meiner Flucht von ihnen abgewiesen und davongejagt worden, wenn ich mir ein Herz gefaßt und die Bauern um etwas zu essen gebeten hatte. Einige hatten sogar gedroht, ihre Hunde auf mich zu hetzen. Für mich standen sie stellvertretend für alle, die Juden verfolgt und russische Kriegsgefangene mißhandelt hatten. Nun sah ich sie in ihrer ganzen Armseligkeit auf der Straße stehen und den amerikanischen Soldaten zuwinken. In meinen Augen nahmen sie sich damit ein Recht heraus, das gerade ihnen nicht zustand. Aus ihrem <Ein Volk, ein Reich, ein Führer>-Gegröle war ein erbärmliches Winseln geworden. Manche der amerikanischen Panzersoldaten lachten und winkten zurück.“

Hans Frick (1930-2003) hatte schon als Kind verstanden, was es bedeutete, dass seine Mutter von den Nachbarn als „Judenhure“ beschimpft und bedroht wurde, und ein SS-Mann erzählte dem Jungen genau, was in den Konzentrationslagern mit Juden passierte. Dieses Thema sollte Hans Frick lebenslänglich immer wieder verfolgen; in seinem ersten Roman 1965 Breinitzer oder Die andere Schuld (den er überarbeitete und 1979 als Breinitzer neuveröffentlichte) lautete die Kernaussage, dass es die Deutschen wieder tun würden… Als ich Frick 2002 einen Abend lang kennenlernte, war der Autor, der seit zwanzig Jahren nichts mehr veröffentlicht hatte, schon ziemlich vergessen, und als er im Jahr darauf starb, war ich der einzige, der einen Nachruf (in taz und Frankfurter Rundschau) veröffentlichte (https://www.franzdobler.de/2015/08/03/hans-frick/). Ende der 70er war ich auf den Schriftsteller aufmerksam geworden, als Helmut Qualtinger die Hauptrolle in Helmut Käutners Verfilmung seines Romans Mulligans Rückkehr spielte – gottverdammt, wer hat das geschrieben!?!



ÜBER DIE SCHULDLOSEN AM SCHLUSSSTRICH

der Artikel „Die Schuld der Schuldlosen“ – „Die deutsche Schlussstrichdebatte hat eine postkoloniale Entsprechung bekommen / Der Versuch von rechts, die Shoah mit Verweis auf die Verbrechen des Stalinismus zu relativieren, dient der Verteidigung deutschen Nationalstolzes. Die postkoloniale Relativierung der Shoah durch die Einbettung in Kolonialverbrechen hingegen dient der Rechtfertigung des eliminatorischen Antisemitismus der Hamas.“ Von Markus Liske in der aktuellen Ausgabe der Jungle World.

https://jungle.world/artikel/2025/19/deutsche-schlussstrichdebatte-postkolonialismus-die-schuld-der-schuldlosen?



SPITZENSATZ (103)

PUNK KENNT KEIN RENTENALTER

(WAZ-Essen, 1.5.)

(Ich war versucht, ein ! zu setzen, aber eine Fälschung möchte ich mir heute, am 105. Geburtstag meines Vaters, nicht erlauben, und ich erinnere mich auch an meinen Onkel, der aus Düsseldorf kam und manchmal sagte, wenns grad passte, wat Krupp in Essen, sin wir in Saufen!).



HEUTE IN HAUPTSTADT

möchte ich sein am Mo. 05.05. 20:00 Berlin, Volksbühne/Roter Salon: aus Anlass des 80. Geburtstags von Wolfgang Pohrt lesen Sophie Rois und Klaus Bittermann aus dem neuen Pohrt-Reader »Wahn, Ideologie und Realitätsverlust« (Edition Tiamat):

https://edition-tiamat.de/buecher/neuerscheinungen

„Sie haben keine Zeit, die 13-bändige Werkausgabe von Wolfgang Pohrt zu lesen, würden aber gerne wissen, was es mit dem Polemiker, dem Marx-Kenner, dem Gesellschaftswissenschaftler, dem Psychoanalytiker und einem der wenigen kompetenten Verfechter der Kritischen Theorie auf sich hat? Dann bietet der Wolfgang-Pohrt-Reader aus Anlass seines 80. Geburtstags die Möglichkeit, einen der scharfsinnigsten Soziologen kennenzulernen, der gegen die Zerfallsprodukte der 68er Bewegung wie die Friedens-, die Müsli-, die Zurück-zur-Natur- und die AntiAtomkraft-Bewegung polemisierte, der das Massenbewusstsein der Deutschen nach der Wiedervereinigung und die Bandenkriminalität in der Politik untersuchte.“



WEITERFÜHRENDE FRAGEN

Ein Radiobeitrag „von unserem Fachjournalisten Thies Marsen, der einen entscheidenden Moment der Weltgeschichte beleuchtet: das Kriegsende am 8. Mai vor 80 Jahren und die Kapitulation Hitler-Deutschlands. Thies Marsen spricht mit Andreas Wirsching, dem Leiter des renommierten Instituts für Zeitgeschichte in München, über die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit, über die Frage, ob der Aufstieg extrem rechter Gruppierungen heute mit der Spätphase der Weimarer Republik vergleichbar ist und ob es ein AfD-Verbot braucht.“

https://www.ardaudiothek.de/episode/die-entscheidung-politik-die-uns-bis-heute-praegt/die-entscheidung-aktuell/br24/14506891/



KRAWALLSCHACHTELN

„Es ist keineswegs schlimmer, den Posten des Kulturstaatsministers mit einer nach rechts außen torkelnden publizistischen Krawallschachtel zu besetzen, als wenn ein nach rechts außen torkelnder und regierungsunerfahrener Finanzheuschrecken-Lobbyist zum Bundeskanzler gewählt wird.“

Der ganze geradezu extremsachliche Kommentar zu diesem und anderen Posten von Edition-Tiamat-Autor Hartmut El Kurdi:

https://taz.de/Die-Wahrheit/!6082254/



AN JENEM 29th APRIL

wurde Duke Ellington 46 und bekam zum Geburtstag endlich die Nachricht, amerikanische Truppen befreien das KZ Dachau nordwestlich von München, das KZ war kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 errichtet worden, insgesamt waren in Dachau über 200’000 Menschen inhaftiert, 41’500 starben. Als die amerikanische Truppen das KZ befreien, befinden sich noch 32’000 Häftlinge im Lager. In einem Eisenbahnwagen, der neben dem Lager steht, stossen die US-Soldaten auf 2300 Leichen aus Buchenwald. Aus Wut exekutieren die Amerikaner zahlreiche SS-Männer. Im Jahr davor, im Juli 1944, hatte ein SS-Sturmbannführer in Hamburg einen verhafteten jugendlichen Jazzfan angebrüllt: Was mit Ellington anfängt, das hört mit dem Attentat auf den Führer auf! Aber auf dem Arm des Teenagers Jutta Hipp, die später eine bekannte Pianistin wurde, war bereits If It Ain´t Got That Swing tätowiert, das war lebensgefährlich, und auf dem Arm ihres Verlobten stand tätowiert die erste Zeile des Duke-Ellington-Hits It Don´t Mean A Thing – gleichbleibend aktuell auch was Wolfgang Pohrt zu einer Person schrieb: obgleich Publikationstiteln wie Der Führer schützt das Recht (1934) oder Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist (1936) Zweideutigkeit nicht vorgeworfen werden kann, gilt der Autor als umstritten – eine der Speerspitzen deutscher Geistergrößen, Carl Schmitt – und ebenfalls aktuell, was Wiglaf Droste eines Tages sagte, als er, durchaus wahrscheinlich, auch an den 29. April dachte, in Deutschland leben heißt knietief durch Kot waten – auch angesichts einer Meldung von heute, Einreisestopp für Migranten: Kann Dobrindt „liefern“? Ein „faktisches Einreiseverbot“ für Migranten hat CDU-Chef Merz ab dem Start seiner Kanzlerschaft versprochen, allerdings hatten auch die US-Soldaten an jenem 29. April keine Einreiseerlaubnis, als sie auch in Dachau etwas lieferten, was noch nicht von allen vergessen ist.



MIT 80-CENT-JOBS IN DIE SCHÖNE NEUE WELT

Pressemitteilung des Augsburger Flüchtlingsrates — 28.04.2025:

Echte Teilhabe statt Ausbeutung!
Zur Einführung von 80-Cent-Jobs in Augsburg

Mit der jüngsten Einführung von sogenannten Arbeitsgelegenheiten in Augsburg werden Geflüchtete zukünftig verpflichtet, für 80 Cent Aufwandsentschädigung in der Stunde zu arbeiten. Bei Ablehnung einer „Arbeitsgelegenheit“ (AGH) drohen Leistungskürzungen.

Der Flüchtlingsrat Augsburg verurteilt diese Maßnahme. Geflüchtete für ein Sechzehntel des regulären Mindestlohns zur Arbeit zu zwingen, ist entwürdigend und sittenwidrig. Viele Betroffene der AGH unterliegen zudem einem Arbeitsverbot.

Die Einführung von AGH trägt ebenso wie die Bezahlkarte und die vielen Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre dazu bei, Geflüchtete weiter zu marginalisieren und ihnen die Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilhabe an dieser Gesellschaft zu verwehren.

Die Behauptung, dass AGH in dieser Form zur Integration in den Arbeitsmarkt beitragen sollen, ist fadenscheinig. Vielmehr werden Geflüchtete ihrer Selbstbestimmung beraubt und als billige Arbeitskraft abgewertet, gängigen rechten Narrativen wird dadurch zusätzlich Vorschub geleistet und Belegschaften gespalten.

Wir rufen alle solidarischen Bürger*innen, Initiativen und Organisationen dazu auf, der zunehmenden Entrechtung und Ausgrenzung von Geflüchteten entgegenzuwirken. Wir müssen zusammenstehen und uns für eine Gesellschaft einsetzen, in der alle Menschen respektvoll und fair behandelt werden.

Für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Diskriminierung – Lasst uns für eine grundlegende migrationspolitische Wende streiten!

Informiert Euch auf unseren Homepages, Blogs und Social-Media-Auftritten! Kommt zu unseren Treffen und lasst uns gemeinsam dem Rechtsruck etwas entgegensetzen!“

Augsburger Flüchtlingsrat

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spendekunst.orgDer Augsburger Flüchtlingsrat präsentiert Kunst, Literatur, Musik und schöne Dinge zu Benefizpreisen. Fotografie | Gemälde | Handwerkliches | Literatur | Musik | Performance Künstler*innen spenden ihr Werk und wir spenden den Erlös der Verkäufe an Flüchtlingsprojekte.


HÖLLENSCHLUND KZ FLOSSENBÜRG

Zur Geschichte des Konzentrationslagers Flossenbürg, das am 23. April 1945 von der US Army befreit wurde, ein Beitrag von Thies Marsen:

https://www.br.de/nachrichten/bayern/80-jahrestag-der-befreiung-hoellenschlund-flossenbuerg,UjCzTz8

(Auszug:) „Die Schutzstaffel (SS), die im ganzen Reich für Betrieb und Bewachung der KZ zuständig war, hatte sich seit Hitlers Machtübernahme zu einer weitverzweigten Organisation mit eigenen Wirtschaftsunternehmen entwickelt. Dazu gehörten auch die Deutschen Erd- und Steinwerke, für die Flossenbürg wegen seiner Steinbrüche von Interesse war. Um die dortigen Granit-Vorkommen auszubeuten, ließ die SS ab Mai 1938 das KZ Flossenbürg errichten. Dazu wurden zunächst rund 100 Gefangene aus dem KZ Dachau in die Oberpfalz deportiert. Ihre Zahl wuchs in den darauf folgenden Jahren kontinuierlich an. Die meisten wurden von den Nazis als sogenannte „Berufsverbrecher“ oder „Asoziale“ inhaftiert, ein Stigma unter dem viele Überlebende auch nach der Befreiung zu leiden hatten.“