Produktion

KEINE AHNUNG

warum das Bild da drüben ist. Ausgerechnet am Feiertag des Reinheitsgebots technische Probleme! Und eine innere Stimme, die ich sehr ernst nehme, die zu mir sagt, das ist aber nicht dein bestes Buch. Aber auch eine innere Gegenstimme, die ich sogar noch ernster nehme, die zu mir sagt, aber wahrscheinlich dein seltsamstes und deshalb vielleicht sogar dein mutigstes.

BierherzMit politischen Geständnissen von bleibendem Wert: Die erste Fassung des Haupttexts „Bierherz“ war in Theater Heute 11/1987 erschienen, als Franz-Josef Strauß noch bayerischer Ministerpräsident war. Daher der Satz: „Wer aber wird ihm nachfolgen? Ich rutsche auf bloßen Knien nach Altötting, wenn uns Stoiber erspart bleibt.“ Die Buchfassung erschien 1994, was eine Fußnote dazu erforderte: „Und kann mich nicht darüber freuen, daß mir diese Tortur erspart geblieben ist. Jetzt haben wir die Sauerei daliegen, >der ausgewiesene Rassist Stoiber< (Franz Schönhuber) ist an der Macht. Daß die Reinheit des deutschen Biers nicht von EG-Richtlinien ins Reich der Vergangenheit geschickt wurde, das haben wir seinem couragierten Vorgänger Max Streibl zu verdanken.“

Aber auch mit einer sorgfältigen Analyse des Mythos Bier im Text „Die reine Wahrheit“: „Zu den Mönchen hat Gott gesagt: Braut, was das Zeug hält! Für euch selbst, daß euer Schwanz immer besoffen ist, und für die anderen, daß sie aus dem Pissen gar nicht mehr herauskommen. Immer, wenn ihnen der Kopf sagt, daß er jetzt einmal etwas nachdenken will, dann muß sofort die Blase brüllen, daß sie jetzt geleert werden muß; denn Deutschland ist das Land, an dem ich Gefallen gefunden habe, und von Pisse und dem anderen Dreck, mit der Mensch angefüllt ist, soll es überlaufen, und die Bayern sollen die Bademeister sein und aufpassen, denn nicht ersaufen sollen die Deutschmenschen, sondern fröhlich plantschen und lallen und glücklich sein sollen sie und im Vollsuff dahinvegetieren bis ans Ende ihrer Tage!“

Und mit abenteuerlichen fünfzig Seiten Tagebuch aus Louisiana: „Ich hatte genug von Hubert Fichte gelesen,  um zu wissen, dass wir ein Voodootaxi erwischt hatten.“ Und mit einem Dutzend Sprengtechnik-Bildern von Barbara Weikhart. Kein Wunder also, dass das Buch so erfolgreich war, dass es eine zweite Auflage gab.



DER KOMMISSAR VOM SCHWARZEN SEE

Nachdem wir im Norden Montenegros den „schwarzen See“, den 1400m hoch gelegenen Gletschersee Crno Jezero in der Nähe von Bijelo Polje besucht hatten, wurden wir auf dem Weg zurück zur Brücke über den Tara Canyon von einem Streifenpolizisten rausgewunken. Unser serbisches Nummernschild, sagte der Fahrer. Er blieb ruhig und gab ihm alle Papiere. Sie redeten. Der Polizist gab ihm die Papiere zurück und sie redeten weiter. Dann telefonierte der Polizist und der Fahrer lachte. Was ist denn los? Er hat gesagt, sein Chef muss heute auch nach Belgrad, ob wir ihn mitnehmen könnten. Wir konnten. Hättest du auch nein sagen können? Klar, sagte der Fahrer. Eigentlich hätte er niemanden mitnehmen dürfen, weil es ein Firmenauto war … was heißt hier eigentlich!

Der Polizist fuhr los, um den Chef abzuholen. Wir genossen die Aussicht über die ganze Hochebene, an deren Ende schneebedeckte Berge standen. Wer´s nicht in den Himalaya schafft, kann es sich hier ansehen.

Der Kriminalkommissar sah aus, wie man sich in Deutschland einen SEK-Mann in der Freizeit vorstellt: Turnschuhe, Trainingshose, Kapuzenjacke, Sporttasche, Haare etwa 0,5mm. Wir platzierten ihn neben dem Fahrer, sie konnten sich unterhalten. Der Kommissar sagte ihm, wo das Tempolimit kontrolliert wurde und wo er wieder auf die Tube drücken konnte, und er kannte die Wirtschaft an der Strecke, wo wir was essen sollten. Der Fahrer übersetzte, dass der Kommissar und seine Leute es seit einiger Zeit verstärkt mit deutschen Touristen zu tun hatten, die sich in der Natur dumm verhielten und gerettet werden mussten. Die beiden unterhielten sich so gut, dass wir kaum was übersetzt bekamen.

Der Fahrer aß dann wie immer Cevapi und rührte, wie der Kommissar, den Salat nicht an. Ich habe vergessen, was ich gegessen habe, aber es war gut. Meine Frau hatte Fisch, der auch gut war. Warum kann ich mich an ihr, aber nicht an mein Essen erinnern? Der Kommissar telefonierte viel. Falls ich´s richtig verstanden habe, hatte er Urlaub und fuhr zu seiner Frau nach Belgrad, wo er mal einige Zeit als Security an der montenegrinischen Botschaft eingesetzt war. Ich fragte mich, ob man ihn strafversetzt hatte. Im Film landet der Kommissar dann ja immer in der Natur; kann mich an keinen umgekehrten Fall erinnern.

Der Fahrer war so begeistert wie verblüfft, dass im Fernseher dieses Restaurants an der Straße doch tatsächlich eine Doku über Pina Bausch lief und erzählte dem Kommissar einiges über die Tänzerin und Regisseurin, von der auch ich keine Ahnung hatte (außer Wuppertal, das hat man sich gemerkt). Der Grund wurde nicht herausgefunden, also warum diese Doku a) mitten am Nachmittag lief und b) hier im Fernseher.

Der Kommissar stieg ziemlich am Anfang in den Blockbergen von Belgrad aus. Zuletzt gab er dem Fahrer seine Karte. Super, sagte der Fahrer, sollte ich in Montenegro jemals ein Problem haben, soll ich ihn anrufen. Ich musste daran denken, dass der Bibliotheksleiter mit dem stellvertretenden deutschen Botschafter viel über Politik diskutiert hatte; bald würde darüber abgestimmt werden, ob sich Montenegro auf die Seite Rußlands oder der EU stellen würde; der Bibliotheksleiter hoffte auf die EU und befürchtete, dass es im Moment nicht besser als 50/50 stand. Der Botschafter erklärte mir, dass Montenegro ein unbedeutendes Land war, allerdings mit einem Zugang zum Meer, an dem Rußland sehr interessiert war. Auf der Fahrt durch die Berge viele Häuser und Hütten, die nach Armut aussahen, und der Fahrer erzählte, dass es hier Wölfe und Bären gab und jeder eine Waffe hatte. Der Kommissar erzählte, dass hier jeder legal Schnaps brannte (was ja in der EU nicht so gern gesehen wird); bei Andrzej Stasiuk in Fado gelesen, dass hier noch das Gesetz der Blutrache galt und dass es nirgendwo in Europa innerhalb weniger Kilometer so riesige Unterschiede zwischen arm (Berge) und reich (Küste) gab bzw. einem Leben, das wie seit Jahrhunderten ablief, und einem, das wie in einem topmodernen TV-Magazin aussah … Es konnte also auf keinen Fall was schaden, wenn man einen Kommissar in Montenegro kannte, dem man mal geholfen hatte.

Inzwischen war es Nacht, wir waren seit zehn Stunden unterwegs, am Bahnhof wurde der Verkehr nervenzerfetzend zäh, die Arschloch!-Rufe des Fahrers häuften sich – und dann reichte es ihm plötzlich, er zischte ab wie in einem Highway-Cop-Film, überholte alles auf Teufel-komm-raus und brach in wenigen Minuten einen Berg von Verkehrsregeln. Dennoch hatten wir auch ohne den Kommissar überhaupt keine Angst.

Später gab es keine Einigung über die Frage, ob die spontane Mitfahrgelegenheit für den Kommissar typisch Balkan oder typisch Montenegro war. Und wenige Tage später bekam ich sogar noch eine verblüffende Polizeistory …



DIE FARBE DER FARBE

Mit der Farbe der Farbe stimmte was nicht. Ich glaube, es ging um rot. Zweimal in zwei Tagen. Beim  ersten Mal dachte ich mir nichts, also erst mal nicht viel. Dann kam ein zweiter Verkäufer. Schaute den Tausender an, winkte ab. Beim Rausgehen begegnete ich dem Security-Mann, den der Verkäufer an der Kasse schon benachrichtigt hatte, ohne dass ich es bemerkte. Dann das zweite Mal. Drei Leute in der italienischen Bar-Bäckerei sahen sich genau an, ob mit der Farbe der Farbe tatsächlich was nicht stimmte, und ich fing langsam ebenfalls an, über die Farbe der Farbe nachzudenken. Wieder kam jemand dazu und winkte nach kurzer Prüfung ab. (Während der Banker, bei dem ich am Tag vor dem Abflug Geld tauschen wollte, nicht mal wusste, welches Geld in Serbien gebraucht wird).

Und ein Rom, dem ich einen Schein aus dieser Bankomat-Serie gab, fing sogar an, auf mich einzureden. Aber dann doch nicht wegen der Farbe. Er dachte nur das, was ich auch gedacht hätte. Wenn dir jemand einen Tausender gibt, gibt er der vielleicht noch einen, also bleib dran. Es ist so ähnlich wie mit den Notizen, die man sich unterwegs macht; wenn du tausend gemacht hast, von denen du nicht mehr weißt, wie du sie überblicken, ordnen oder sonstwie verarbeiten kannst, dann bleib einfach dran und mach noch Tausend mehr.

Wie Selman Trtovac am „Tag der Weisheiten“ (wie wir ihn nannten) meinte: Ein Künstler darf sich nicht so ernst nehmen, sonst kommt nur Scheiße dabei raus. (Oder hat er gesagt: darf sich nicht immer so ernst nehmen? Ich muss nicht in meinen Notizen nachsehen, um zu wissen, dass ich es nicht genau notiert habe.)

Bildergebnis für tausend dinar

DON’T DO THIS AT HOME!



EIN WEISSES HEMD

habe ich mir in Zagreb mit der so freundlichen wie nötigen Hilfe von Snježana Božin, der Leiterin der Bibliothek des Goethe Instituts, gekauft (und wir haben dabei nicht über Thomas Bernhard und sein Stück „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ diskutiert).

Hier der Link zum 8-min.-Film, den Nebojsa Vasic und Vesua Grba auf der Zugfahrt von Belgrad nach Zagreb gedreht haben, der am nächsten Tag, nach viel Nachtarbeit logischerweise, vorgeführt wurde. Mit dem wunderbaren Servicemann in der eigentlichen Hauptrolle, den Wes Anderson sofort engagieren würde. Er hat mir gezeigt, wo ich mal eine rauchen kann, wenn die Kontrolleure nicht in Sichtweite sind, und den Kaffeebecher sicher neben dem Feuerlöscher abstellen.

https://www.youtube.com/watch?v=aFNqnZwVcrI

Und hier der Link zu den Kulturnachrichten vom 05.04. – ab Minute 6:54 mit Edo Popovic und mir, und mit der fuckin (würde Edo sagen, der öfter fuckin sagt als Tony Soprano) bitteren Ironie, dass zwei Minuten davor der neue kroatische Kultusminister in der Sendung ist, der „einfach nur ein Faschist ist, da gibt es nichts Drumherum zu reden“, und der Edo Popovic als einen der Protagonisten einer sehr breiten Protestfront gegen sich hat…

http://www.hrt.hr/enz/vijesti-iz-kulture/329616/



IM HOTEL

Palace in Zagreb an der Wand im Flur zur Lobby neben etwa zwanzig anderen auch ein eingerahmtes Foto mit dieser Handschrift:

6 4 1970  for my favorite hotel in Yugoslavia – with many thanks   Orson Welles

Wär das was? Alle Hotels besuchen, in denen der Geist von Orson Welles herumschleichen könnte? Allein der Gedanke fährt schon ins Blut.



GEGENSATZ

Bin mir bei diesem Foto nicht ganz sicher, ob es das Gebäude ist, das wir bei der Stadtführung mit dem Künstlerduo diSTRUKTURA gesehen haben. Aber sehr ähnlich. Was wir gesehen haben, sind zwei damals von der Militärverwaltung genutzte Gebäude, die bombardiert und bis heute nicht repariert wurden. Donald Trump wollte sie mal kaufen, aber sie waren nicht zu verkaufen. Das Szenario dazu hatten wir schnell: der Donald wird Präsident und dann sagt er gleich mal, jetzt wird Serbien gebombt, weil die mal böse zu ihm waren. +++ Vor dem in der Nähe liegenden Parlament anlässlich des Jahrestags ein großes, keineswegs riesiges Transparent: VICTIMS OF ALBANIAN “UCK” TERRORISTS AND NATO AGGRESSIONS. Mit hunderten von Fotos von Opfern. +++ Das kam auch beim Interview (soviel vorab) mit der Autorin Jelena Volic zur Sprache: In den deutschen Medien wurde die Verurteilung von Karadzic gemeldet, aber ein Hinweis auf den Jahrestag des Beginns des Nato-Angriffs war keine Meldung wert; als gebe es heute nicht noch mehr dazu zu sagen als damals, als Joseph Fischer u.a. so viel Unsinn erzählten, um es an dieser Stelle vorerst nur knapp anzudeuten. +++ Man kann schon mal erwähnen, dass es eine andere Nummer war, wenn der Partisan gegen die Nazis, Tito, einen heterogenen Staat (dessen Mängel man nicht entschuldigen muss, vgl. USA und Todesstrafe etc.) baute und lenkte (der nach seinem Tode in Bürgerkriegen unterging), im Gegensatz zu einer BRD, die mit vielen Ex-Nazis im Parlament anfing, um am Ende mit einem Joseph Fischer rauszukommen, der den absurden Auschwitz-Vergleich benutzte, um Bomben in den Konflikt werfen zu können.  +++ Okay, ein Satz, mit dem ich stilistisch gar nicht glücklich bin, aber ich glaube, ihr wisst, was ich meine.

Bin mir bei diesem Foto nicht ganz sicher, ob es das Gebäude ist, das wir bei der Stadtführung mit dem Künstlerduo diSTRUKTURA gesehen haben. Aber sehr ähnlich. Was wir gesehen haben, sind zwei damals von der Militärverwaltung genutzte Gebäude, die bombardiert und bis heute nicht repariert wurden. Donald Trump wollte sie mal kaufen, aber sie waren nicht zu verkaufen. Das Szenario dazu hatten wir schnell: der Donald wird Präsident und dann sagt er gleich mal, jetzt wird Serbien gebombt, weil die mal böse zu ihm waren. +++ Vor dem in der Nähe liegenden Parlament anlässlich des Jahrestags ein großes, keineswegs riesiges Transparent: VICTIMS OF ALBANIAN &ldquo;UCK&rdquo; TERRORISTS AND NATO AGGRESSIONS. Mit hunderten von Fotos von Opfern. +++ Das kam auch beim Interview mit der Autorin Jelena Volic zur Sprache: In den deutschen Medien wurde die Verurteilung von Karadzic gemeldet, aber ein Hinweis auf den Jahrestag des Beginns des Nato-Angriffs war keine Meldung wert; als gebe es heute nicht noch mehr dazu zu sagen als damals, als Joseph Fischer u.a. so viel Unsinn erzählten, um es an dieser Stelle vorerst nur knapp anzudeuten.

Foto: email hidden; JavaScript is required

Mehr dazu: http://textbaufranzdobler.tumblr.com/



MOLIM RAZVIJTE OVAJ FILM

artwork: selman trtovac



HIER DIESE GESCHICHTE

wie ich vor einigen Jahren meinen kroatischen Freund und Kollegen Edo Popovic kennengelernt habe. Und wie es kam, dass wir uns eigentlich schon viel länger kannten … Weshalb es was Besonderes ist, wenn wir uns bald in Zagreb treffen … (Aus meinem Buch Letzte Stories, erschienen bei Blumenbar, Berlin, 2010)

ZUFALL

Die Vorträge waren gelaufen, die Masse der Zuhörer schob sich aus dem Saal ins Freie auf den großen Platz mit den Tischen, an die Getränke geliefert wurden. Endlich raus in den Sommerabend! Ich spürte die Erleichterung des Publikums.

So ein literarischer Abend mit Vortrag, Gedichten und Musik hat´s nicht leicht in einem heißen Sommersaal. Ich selbst war pünktlich zum Ende gekommen. Hatte einen Tag Schreibarbeit hinter mir und wäre eher in ein Scorpions-Konzert mit Sting und Hinterseer als Gastsänger gegangen, als mein Gehirn mit mehr Literatur vollzustopfen. Locker an einem Literatentisch sitzen und bei ein paar Gläsern Bonvivant möglichst besonders gescheit daherreden, das war mein Ziel, mehr war nicht drin.

Der kroatische Kollege Edo Popovic wurde mir von einem bekannten deutschen Verleger vorgestellt. Jener sagte mir nichts, diesen kannte ich nicht. Die Stimmung war schnell aufgeräumt, und irgendwelche Sätze, die nicht unter einer bedeutenden Dichtungslast ächzten, klackerten munter herum; wahrscheinlich lag das mal wieder an der Anwesenheit hübscher Frauen. Michael Krüger verstrickte sich in ein Gespräch über die Geschichte und Bedeutung des Bleistiftrocks mit meiner Tochter, und meine Frau erzählte Friedrich Ani, wie sich der Dr. Stoiber eines Tages an das Werk des jungen Bertolt Brecht hingewanzt und -gelabert hat, und ich hörte dem Lied zu, das mir Frank Spilker vorsang.

Es war so ein Abend, an dem es einem okay vorkam, dass die Amerikaner die Stadt nicht komplett weggebombt hatten.

Nur dieser Edo Popovic schaute doch etwas gequält aus. Selbst dem Verleger gelang es nicht, ihn stärker in die Runde reinzuziehen. Wahrscheinlich nerven ihn solche Literatentische grundsätzlich, auch wenn keine Sprachbarrieren herumliegen, dachte ich, und ganz generell war mir der Mann sympathisch. Er sah aus, als sei er in einem Film von Emir Kusturica vom Weg ab- und hier rausgekommen und wartete auf das Motorrad mit Beiwagen, das ihn endlich wieder reinbringen würde. Mir fiel auf, dass er keinen Alkohol trank. Ich wusste schon, dass das manche aus diesen Gründen tun und andere aus jenen, und mir war klar, dass Popovic aus jenen Gründen nur Wasser trank. Aber von kroatischer Literatur hatte ich keine Ahnung.

In der nächsten Nacht gerieten wir wieder aneinander, diesmal im lauten Partyzentrum des Literaturfestivals. Innerhalb von wenigen Minuten palaverten wir, als würden wir uns schon lange gut kennen.

Don´t mention the war“, sagte ich.

Fuckin why not?“

Weil ich als Deutscher dann eh nur Prügel bekomme.“

Ich war weder prokroatisch noch proserbisch“, sagte Edo.

Das überraschte mich nicht. Was er mir nicht erzählte, war etwas, das mich beeindruckt hätte, und wie ich mich kenne, wäre ich ihm damit auf die Nerven gegangen. Über zehn Jahre lang hatte er die Literatur Literatur sein lassen und Kriegsberichte geschrieben; das Netz erzählte mir, dass er für seine unparteiischen Reportagen geschätzt wurde. Wenn ich mich als Kriegsreporter durchgeschlagen hätte, würde ich das jedem verdammten Kollegen überbraten.

Seine Eltern waren in Münster als Gastarbeiter gelandet, und in den Achtzigern hatte er viel Zeit dort verbracht, um sie zu besuchen und zu jobben. Dort und etwa zur selben Zeit wie ich hatte er wichtige Bücher entdeckt, die auch mir etwas aufgezeigt hatten, von Ludwig Fels oder Peter-Paul Zahl.

Das habe ich dann alles für unsere Literaturzeitschrift Quorum übersetzt“, sagte Edo, „die war dick wie ein Ziegel, da verbreite ich keine Lügen.“

Sicher schwierig, die Rechte zu bekommen“, sagte ich.

Sehr schwierig“, sagte Edo.

Und besonders durch Jörg Fauser fühlten wir uns verbunden, dessen früher, damals kaum bekannter Gedichtband „Die Harry-Gelb-Story“ unser beider Einstieg war. Den hatte Edo dann sogar komplett ins Kroatische übersetzt. Und einem Freund nach Sarajevo geschickt, der ihn veröffentlichen wollte; als seine Wohnung von einer serbischen Phosphorgranate getroffen wurde, verbrannte das einzige Exemplar der Übersetzung.

Da war er schon tot“, sagte ich, „und wir sind jetzt älter als er damals.“

Ich glaube, sein Tod war sehr seltsam, oder?“

Ja“, sagte ich, „man hat nie herausgefunden, warum er am frühen Morgen an der Autobahn am Münchner Stadtrand stand, was er in der Gegend gewollt hatte, wie er dorthin gekommen war.“

Er war betrunken“, sagte Edo.

Schon, aber für einen Trinker nicht besonders betrunken.“

Kann viel mit dir passieren, wenn du betrunken bist, plötzlich kommt was aus dem tiefsten Schatten in deinem Kopf.“

Ich hatte gerade bei einem Dokumentarfilm über Fauser mitgearbeitet, und konnte von einigen seltsamen Begegnungen berichten, die wir bei den Dreharbeiten gehabt hatten; wir trafen einen alten Freund, der behauptete, ihn kurz vor seinem Tod in einer Kneipe außerhalb Münchens getroffen zu haben, und er habe verzweifelt auf ihn gewirkt, und gesagt, er wolle in ein neues Leben untertauchen; aber irgendwann hatten sich die Leute gehäuft, denen wir nicht unbedingt alles glauben wollten, und die uns etwas erzählten, für das es keinen Beleg gab.

Wir sprachen mit dem Lastwagenfahrer, der Fauser als Letzter lebend gesehen hat, fuhr auf der Autobahn, sah einen Typen an der Leitplanke gehen und hielt an. Er kam ihm verwirrt vor, nicht unbedingt betrunken, eher verwirrt. Er fuhr weiter, hat an der nächsten Notrufsäule die Polizei angerufen, aber zehn Minuten später hat ihn der andere Lastwagen erwischt.“

Auch in der nächsten Nacht trafen wir uns im Discobereich des Literaturfestivals, ohne uns verabredet zu haben. Wir tauschten Bücher aus und wandten uns dann sofort den wichtigen Fragen zu, zuerst der Frage, welche Sprache die übelsten Schimpfwörter zu bieten hat.

Die kroatischen sind die schlimmsten“, sagte Edo.

Das behaupten doch alle Jugos.“

Vergiss die Jugos.“

Schlimmer als Bluatshuaraarsch?“

Er lachte nur, winkte ab und nannte einige, die er nichtmal übersetzen wollte.

Schlimmer als Motherfucker?“

Motherfucker?! Dass ich nicht lache.“

Und dein beschissener Nationalstolz soll im Arsch deiner dämlichen Mutter gefickt werden?“

Da geht’s los, kann man sagen.“

Was soll´s“, sagte ich, „die Nationalisten und die religiösen Fundamentalisten werden uns sowieso irgendwann umbringen.“

Und den Rest erledigt der Turbokapitalismus, egal, ob du in Kroatien oder Bayern bist.“

Sein erstes Buch erschien 1987, ein Jahr vor meinem. Wir waren nicht nur von ähnlichen Literaturzonen angezogen worden, in denen man allein mit Seminarscheinen und ein paar grammatikalisch korrekt formulierten Sätzen keine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, sondern hatten uns dann zuerst auch auf ähnliche Art darin bewegt.

Wir haben Lesungen organisiert, bei denen gesoffen und geraucht werden sollte“, sagte Edo, „alles war besser als diese Ruhe in den Buchhandlungen, mit diesen ruhigen Autoren, die aus ruhigen Büchern vorlesen, damit wollten wir nichts zu tun haben, es sollte sich anfühlen wie bei einem Punkkonzert.“

An der Idee haben wir auch die Rechte“, sagte ich, „wir im Westen waren immer schneller, tut mir leid.“

Dobler, dein Name sagt mir irgendwas, aber ich komme nicht drauf“, sagte Popovic zum Abschied.

In den nächsten Tagen las ich sein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt worden war, den Roman „Ausfahrt Zagreb-Süd“, und obwohl ich schon vorher eine präzise Vorstellung von seinem Stil hatte und worum´s ihm ging, war ich doch verblüfft, wie genau ich es vorausgespürt hatte. Als wäre ich im Traum durch die mir unbekannte Szenerie gelaufen.

Einige Tage später bekam ich einen Brief aus Zagreb. Aus dem vagen Gefühl heraus, meinen Namen zu kennen, habe er die alten Ausgaben von „Quorum“ durchgesehen, schrieb Edo. Und in der Ausgabe 1989 zwei Erzählungen von mir gefunden, „Dobro jutro, Gestapo“ und „Karo, moja marka“. Die er selbst aus meinem ersten Buch übersetzt hatte.

Heilandsack, dachte ich, das ist aber eine schöne Geschichte.

Und das wird’s wohl sein, was wir am Ende von unserer Arbeit gehabt haben werden.

Ein paar gute Geschichten.

Ein paar gute Leute.



RIDE THIS TRAIN

Krimiabend



96

wäre meine Mutter an diesem Tag geworden, ich weiß nicht, wo sie gefeiert hat, ich war nicht eingeladen. Es war in einer Reihe von fast schon nicht nur bedenkenswerten, sondern bedenklichen Koinzidenzen die letzte und stärkste, als ich an diesem Tag das Buch abschloss (den Schlüssel jedoch noch nicht wegwarf, weil es noch Korrekturen geben wird), was ich so natürlich nicht geplant hatte. Soviel zu Plänen. Oder vielleicht soviel zu Müttern.